Tatort – Königinnen

Wachtveitl, Nemec, Ferres, Fierek, Robert Löhr, Rudi Gaul. Von altem Schrot und Korn

Foto: BR / Luis Zeno Kuhn
Foto Tilmann P. Gangloff

Der originelle BR-„Tatort“ (Odeon Fiction) ist trotz des ernsten MeToo-Themas mindestens so sehr Komödie wie Krimi: Der Veranstalter eines jährlichen Erntedankfestes, bei dem Produkt-Königinnen aus ganz Bayern für ihre Region werben, wird leblos in seinem Hotelzimmer gefunden; allerdings ist unklar, ob sein Nahtoderlebnis ein Unfall, ein missglückter Suizid oder ein Mordversuch war. Für die letzte Variante gäbe es eine Reihe von Kandidatinnen: Alle wissen, dass der Mann für seine Unterstützung der jungen Frauen gewisse Gefälligkeiten erwartete. Robert Löhr (Buch) und Rudi Gaul (Regie) haben genau den richtigen Tonfall für diese Geschichte gefunden, die immer wieder durch kleine Heiterkeiten erfreut.

Mit Otto I. endete vor gut hundert Jahren in Bayern die Monarchie. Die Vorliebe für gekrönte Häupter hat man sich im Freistaat jedoch bis heute bewahrt. Die Krönung ist mittlerweile allerdings allein Damen vorbehalten, und von denen gibt es gleich mehrere Dutzend. Dass sich die Verehrung indes womöglich in Grenzen hält, legt eine despektierliche Anrede nahe. Die Königinmutter benennt die Frauen grundsätzlich nur nach dem Produkt, für das sie stehen: „Milch“, „Zwiebel“, „Spargel“. Die auf Zeit gewählten Regentinnen repräsentieren beim jährlichen Treffen indes nicht nur Agrarerzeugnisse, sondern auch ihre Region. Es handelt es sich daher keineswegs um eine zweifelhafte Ehre, zur Honig- oder Kirschkönigin gewählt zu werden. Dennoch schreit das Sujet förmlich danach, als Komödie verarbeitet zu werden, was Robert Löhr in seinem zweiten BR-„Tatort“ auch genüsslich getan hat.

Tatort – KöniginnenFoto: BR / Luis Zeno Kuhn
Moderatorin Sylvie (Veronica Ferres) betrachtet das Treiben mit der nötigen Distanz.

Ein Krimi ist „Königinnen“ trotzdem: Als der Präsident des „Bavaria-Bunds“ leblos in seinem Hotelzimmer gefunden wird, stellt sich die Frage, ob seine Nahtoderfahrung das Ergebnis eines Mordversuchs oder eines fehlgeschlagenen Suizids war. Ein Unfall ist ebenfalls nicht auszuschließen: Tatwaffe war ein sogenannter Schlachtschuss-apparat, ein Bolzengerät, mit dem Tiere vor dem Schlachten betäubt werden. Eine tote Biene legt die Vermutung nahe, dass sich ein Schuss gelöst hat, als Josef Gehrling das Gerät inspizieren wollte. Aber warum ist dann die Weißwurstkönigin, wie eine Reinigungskraft beobachtet hat, in offenkundiger Panik aus seinem Zimmer gestürmt? Bei ihrer Flucht hat Sina (Bernadette Leopold) einen Schuh verloren, und diese Aschenputtel-Anspielung ist nur einer von vielen Späßen, die sich Löhr erlaubt. Ein weiterer ist ein Insider-Gag in eigener Sache, als Ivo Batic (Miroslav Nemec) unter Pseudonym zum Follower der Zwiebelkönigin wird: Als „Constabler Partridge“ hatte er in Löhrs originellem Münchner Weihnachtskrimi „Mord unter Misteln“ (2022) ermittelt.

Der vergnügliche Ansatz der Geschichte ist offenkundig, allerdings verzichtet das Drehbuch darauf, die Frauen zu diskreditieren. Zielscheibe des Spotts ist vielmehr der Veranstalter, zumal der Mann keineswegs Opfer, sondern Täter ist, wie diverse Rückblenden offenbaren. Der unsympathische Präsident des Bavaria-Bunds ist ein jovialer Zeitgenosse von altem Schrot und Korn, der unschwer als bayerisches Pendant zum Filmproduzenten Harvey Weinstein zu erkennen ist. In der Tat erzählt „Königinnen“ eine „MeToo“-Geschichte in Reinkultur: Gehrling hat den jungen Frauen versprochen, sie zu unterstützen, wenn sie ihm gewisse Gefälligkeiten erweisen. Wolfgang Fierek verkörpert den Mann jedoch keineswegs als verabscheuungswürdigen alten Grabscher; Gehrling ist schlicht ein Fossil. Außerdem, rechtfertigt die von den Königinnen „Queen Mum“ genannte Organisatorin (Veronica Ferres) das Fehlverhalten, gehörten ja immer zwei dazu. Und schließlich zeigt sich bald, dass selbst die Kommissare nicht gegen Fehltritte gefeit sind, schließlich sind auch sie nicht mehr die Jüngsten. Gerade Leitmayr (Udo Wachtveitl) stolpert von einem Fettnäpfchen ins nächste, zumal sich die attraktive Aichacher Spargelkönigin (Phenix Kühnert) als Transfrau entpuppt. Ihre Wahl war dem konservativen Gehrling selbstredend ein Dorn im Auge, aber sogar in der bayerischen Provinz ist die Zeit nicht im vergangenen Jahrhundert stehen geblieben.

Tatort – KöniginnenFoto: BR / Luis Zeno Kuhn
Die spinnen, die Bayern! Ein Krimi voller köstlicher Heiterkeiten: Josef Gehrling (Wolfgang Fierek) und die Altöttinger Mehlkönigin (Corinna Blädel, links), die Tirschenreuther Teichnixe (Franziska Wagner) und die Gunzenhausener Krautkönigin (Corinna Grimmeißen) im Werbefilm des bayerischen Produktköniginnen-Tages.

Rudi Gaul hat zuletzt mit einem sehenswerten „Tatort“ aus Stuttgart („Videobeweis“, 2022) ebenfalls einen „MeToo“-Film gedreht und auch diesmal den richtigen Tonfall gefunden. Die Stimmung ist vorwiegend heiter, zumal das Drehbuch immer wieder witzige Momente einstreut: Der junge Kollege Kalli (Ferdinand Hofer) kann sein Glück gar nicht fassen, als er im Rahmen der Befragungen wie ein Schmetterling von einer Königin zur nächsten gaukeln darf, und Rechtsmediziner Streinbrecher (Robert Joseph Bartl) wird ganz wuschig, weil er den komatösen Gehrling nicht aufschneiden darf. Eine besondere Rolle spielt die Nördlinger Zwiebelkönigin: Annelie (Daria Vivien Wolf) entpuppt sich als Polizeianwärterin und wird von den beiden Kommissaren kurzerhand zur verdeckten Ermittlerin gemacht. Als Hauptverdächtige drängt sich die Kemptener Hönigkönigin (Lilly Wiedemann) auf, denn ihr Tête-à-Tête mit Gehrling hatte Folgen, unter denen sie noch heute leidet. Da die Regentinnen aus ganz Bayern kommen, spielt Lokalkolorit dank der vielen Dialekte eine noch größere Rolle als sonst. Abgerundet wird der Film durch die flotten Klänge von Stefan Dettls Blasmusikkapelle LaBrassBanda. (Text-Stand: 4.10.2023)

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Reihe

BR

Mit Udo Wachtveitl, Miroslav Nemec, Veronica Ferres, Wolfgang Fierek, Ferdinand Hofer, Daria Vivien Wolf, Lilly Wiedemann, Max Rothbart, Phenix Kühnert, Robert Joseph Bartl, Bernadette Leopold

Kamera: Michael Hammon

Szenenbild: Andreas C. Schmid

Kostüm: Caroline Sattler

Schnitt: Carmen Kirchweger

Musik: Stefan Dettl & LaBrassBanda

Redaktion: Cornelius Conrad

Produktionsfirma: Odeon Fiction

Produktion: Claudia Schneider

Drehbuch: Robert Löhr

Regie: Rudi Gaul

Quote: 9,21 Mio. Zuschauer (31,1% MA)

EA: 29.10.2023 20:15 Uhr | ARD

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