Der neunte Schweizer „Tatort – Ihr werdet gerichtet“ (mit Antoine Monot jr.) war so überraschend wie gut, dass man hoffen konnte, die Eidgenossen wissen nun, wie man gute Krimis innerhalb der ARD-Vorzeigereihe macht. Doch der „Tatort – Kleine Prinzen“ ist wieder ein großer Schritt zurück. Eine uninspirierte, vorhersehbare und belanglose Geschichte wird erzählt. Am Anfang steht der Tod eines Mädchens. Ava, Schülerin eines Eliteinternats, wird nachts auf einer Landstraße von einem Lastwagen totgefahren. Der Fahrer hatte die junge Frau in der Dunkelheit nicht gesehen. Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) nehmen den Mann (Urs Jucker) am nächsten Morgen fest. Der gesteht die Fahrerflucht. Doch die Autopsie der Leiche ergibt, dass Ava bereits tot war, als sie überfahren wurde. Jemand hat sie erschlagen. Die Kommissare suchen einen Mörder. Und auch Laurant Fleury (Luc Feit) will den Tod seiner Tochter nicht ungesühnt lassen. Die Spur führt ins Internat, in dem Sprösslinge der internationalen Elite zur Schule gehen – auch der kleine Bruder eines Emirs, der gerade als Minister in Luzern zu Besuch ist und diplomatische Immunität genießt. Flückiger gerät in einen Interessenskonflikt mit der Bundespolizei, zeigt sich aber unbeirrt und riskiert so, dass aus den Ermittlungen eine Staatsaffäre wird.
Nehmen wir die Geschichte, so wird das Gefühl nicht los, alle Motive schon x-mal gesehen zu haben. Im Internat wurde schon ermittelt (im MDR-„Tatort“, aber auch am Bodensee), die schwierige Polizeiarbeit in Diplomatenkreisen spielte schon eine Rolle (im BR-“Tatort – Der Wüstensohn“), das junge Mädchen, das mit ihren Reizen spielt, ein bekanntes und beliebtes Motiv – und so weiter und so weiter. Es ist ein weitgehend belangloser Fall, den die Autoren Lorenz Langenegger und Stefan Brunner (sie arbeiten schon an weiteren SR-“Tatort“-Krimis) hier erzählen. Die Dialoge plätschern so dahin oder sind nervig erklärend, wenn es heißt: „Diplomat müsste man sein, die können sich einfach alles erlauben“ oder „Nur, weil es da unten keinen Rechtsstaat gibt, heißt das noch lange nicht, dass wir unseren aufgeben“. Die politische Ebene – hier ein Mitglied der Familie des Emir unter Mordverdacht, dort wird ein Schweizer Geschäftsmann willkürlich verhaftet, um ein Druckmittel zu haben – ist sehr oberflächlich, nichts wird gezeigt, es wird viel zu viel geredet. Die falschen Fährten wirken bemüht, Spannung sucht man bis zum – allerdings sehenswert inszenierten – Finale vergeblich. Und dass der Kommissar eine Affäre haben muss („sie ist prominent und verhei-ratet“, verrät Flückiger), ist hier nicht nur äußerst uninteressant und auch uninspiriert eingeflochten, sondern dieses Bild ist man innerhalb eines „Tatort“-Krimis auch langsam leid.
Gegen-Meinung:
„Die Schweiz zeigt Kante: Stylish inszeniert, mit flottem Tempo und einer Handvoll cooler Newcomer besetzt, zeigt der bittere Fall die Frustration und Enttäuschung von Ermittlern und Angehörigen in komplizierten Fällen, in denen Beweise greifbar, aber nicht gerichtsfest zu machen sind.“ (TV-Spiefilm)
Regisseur Markus Welter, der sein Regiedebüt mit „Im Sog der Nacht“ gab und auch für die Suter-Verfilmung „Der Teufel von Mailand“ verantwortlich zeichnet, versucht, der angestaubten Story etwas Frische einzuhauchen. Phasenweise gelingt das auch. Stark die Szene der Auflösung, wenn Welter eine Bedrohungssituation schafft und dann den Tathergang als Rückblende auf diese Szene quasi drauflegt. Delia Mayer und Stefan Gubser sind ein eingespieltes Team, aber die Rollen sind längst klar, zu klar, verteilt, daran aber will man beim Schweizer Sender wohl nichts ändern. So passiert nichts Überraschendes in der Interaktion. Schade. Und dass die Kommissarin sich so intensiv für die Affäre ihres Kollegen interessiert, auch da wird schnell klar, dass Liz ein wenig eifert. Es soll etwas menscheln, tut es aber auch nicht richtig. Und die Figuren drum herum sind fast durchgehend leblos und konturlos: Die Internatsleiterin, die Freundin des Opfers, der trauernde und nach Rache dürstende Vater, der junge Minister, die schöne Ava. Alles in allem: enttäuschend! (Text-Stand: 24.2.2016)