Eine Schule, nachts, nach einer Fete. Ein Paar, in einem zärtlichen Kuss versunken. Da marschieren auch schon Springerstiefel auf, das junge Glück zu stören. Es krachen Baseballschläger, werden Messer gezückt. Ein bisschen James Dean, ein bisschen Walter Hill – so beginnt der neue „Tatort“, ein Film des HFF-Absolventen Friedemann Fromm, sein erster unter Profibedingungen gedrehter Langfilm. Kontrastiert in telegener Parallelmontage wird der rassistische Bandenkrieg, der Ausbruch zu Tode gelangweilter Halbstarker, gleich zu Beginn durch einen Kammerspielton, den routinierte Mimen wie Dieter Kirchlechner und Axel Milberg ebenso eindrucksvoll ins Bild setzen. „Abschreckung – das ist zwar nicht modern, aber immer noch wirkungsvoll!“ Der Schuldirektor als kalter Krieger. Die Fronten sind klar: die Kids bekämpfen sich gegenseitig, es rangeln Deutschnationale gegen „Jugos“, und alle messen sie ihre Kräfte an der verhassten Pädagogensippe. Und dann fällt ein Skin aus dem Fenster.
Es wäre kein richtiger „Tatort“, wenn der Fall nicht Widerhall finden würde im Verhalten der beiden Münchner Kommissare. So muss natrlich Ivo Batic einige Male rot sehen und sein bayerischer Kollege Franz Leitmayr dazwischen gehen – was ihm sofort eine verbale Retourkutsche einbringt: „Soso, kurz den Jugoslawen vor die Tür stellen, damit die Arier unter sich sind.“ Das ist bei „Klassen-Kampf“ weniger das rituelle Gekampel, das gewohnte selbstreferentielle Augenzwinkern, das an die treue „Tatort“-Fangemeinde gerichtet ist. Hier ist der Bezug zwischen den Biographien und der Story tiefer, ohne dass der Krimi mit Problemen und Psychologie überladen wird. Was die Leute tun steht genregemäß im Vordergrund.
Da wird nicht nur kopflos geschlägert und pädagogisch dahergeredet, da wird auch geschwiegen. Wenn sich der mordverdächtige Drago mit der Schwester des Toten des Nachts auf dem Riesensprungbrett eines Hallenbades in den Armen liegen, die Kamera durch den Raum schwebt und ein bläulich flirrendes Schattenspiel einfängt, dann schwinden nicht nur den beiden langsam die Sinne. Was die neue Generation der No-Future-Jugendlichen verbindet, ist aber nur selten so schön anzusehen: „Ich bin eh‘ nur Müll!“ sagt ein Zwölfjähriger, um im nächsten Moment mit dem Kopf gegen eine Eisenstange zu donnern. Ich zerstöre mich selbst – also bin ich. Als Vorform hat er sich die nötige Portion Video-Horror reingezogen. Aber auch im journalistischen Bereich sind die Medien längst keine moralische Anstalt mehr: In „Klassen-Kampf“ wittern quotengeile Privatfunker ihre Chance, treten als „Aasgeier“ auf, die den Konflikt aufheizen und die Kamera draufhalten.
„Friedemann Fromm hat für seinen ‚Tatort‘, der sich dem aktuellen und vieldiskutierten Thema der Gewalt an Schulen widmet, nicht nur an offiziellen Stellen recherchiert, sondern auch intensiven Kontakt zu Jugendlichen gesucht. Nach anfänglicher Skepsis waren diese begeistert von dem Filmprojekt. Die Kids erzählten nicht nur freimütig von ihrer Situation, sondern führten dem Regisseur auch voller Stolz ihre Tanz-Nummern und Skateboard-Künste vor. Manches davon findet sich auch im ‚Tatort‘ wieder, denn Fromm hat viele seiner jugendlichen Gesprächspartner als Komparsen eingesetzt.“ (Tatort-Fundus)
Dem 30jährigen Fromm ist ein dichter, durchweg überzeugend gespielter Milieukrimi mit vielen sozial richtigen Beobachtungen gelungen. Er streut sie beiläufig ein und lädt sie so auf mit den ästhetischen Mitteln des Genrekinos. Das sieht man so gelungen zur Primetime selten, vor allem, weil dieser bayerische „Tatort“ trotz großer Bilder ein kleiner, etwas schmutziger Film bleibt. Er entwickelt bisweilen eine physische Wucht, die so manchen Zuschauer aus der bequemen Couchgarnitur heben dürfte, und versetzt einen am Ende des Films in eine nachschwingende Spannung, wie sie guten Geschichten eigen ist. (Text-Stand: 1994)