Ein Student ist zur falschen Zeit am falschen Ort – und wird von zwei Killern eiskalt erschossen. Der Anschlag galt einem anderen: Josef Müller alias Mirko Gradic. Der Serbe und seine Familie schweben in akuter Lebensgefahr. Während des Balkankriegs war er in der paramilitärischen Einheit „Sveti Tigar“ aktiv, bis er 1995 desertiert und untergetaucht ist. Gradic hat akribisch Buch geführt über die Einsätze, die ethnischen „Säuberungen“, die Gräueltaten, die Massenmorde. Mit seinem Wissen ist dieser Mann eine Bedrohung für eine Gruppe serbisch-nationaler Kriegsverbrecher, für die Wien ihr neues Zuhause geworden ist. Für Moritz Eisner und Bibi Fellner heißt das: Sie ermitteln nicht allein. Auch eine Abteilung, die nach internationalen Kriegsverbrechern fahndet, ist mit von der Partie. Auch die Wiener Sondereinheit COBRA steht auf Abruf bereit. Doch selbst dieser professionelle Polizeiapparat kann gegen eine Organisation, in der Killer-Mentalität dominiert, nur wenig ausrichten.
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Es herrscht Krieg in Wien. Schallgedämpft preschen die Kugeln durch die Szenerie und knallen MG-Salven in Richtung der ermittelnden Kommissare beim 27. Einsatz von Harald Krassnitzer im ORF-„Tatort“. Da vergeht Moritz Eisner und seiner Partnerin das Scherzen. So ganz ohne Schmäh kommt aber auch „Kein Entkommen“ von Fabian Eder nicht aus. Die Grippe geht um in Wien und sorgt für einen Eisner in Pudelmütze, für viel Schweiß auf den Stirnen sowie für den Austausch bewährter Hausmittel. Doch die Influenza ist mehr als nur ein Gag am Rande, sie ist zugleich handlungstragend. Eisner und Fellner lassen sich anfangs treiben, zunächst vom Virus, dann von Mirko Gradic. In vielfacher Hinsicht bemerkenswert, wie Christoph Bachs Figur in einer Szene auf dem Polizeirevier Tacheles redet, während fünf Polizeibeamte nur große Augen machen. Die Umkehrung der üblichen Verhörsituation.
Auch das Thema, an sich schon europapolitisch spannend und aktuell (Serbien versucht den Anschluss an Europa, und Wien sei die zweitgrößte serbische Stadt nach Belgrad), wird auf sehr klare Weise im Film verhandelt. So berichtet Gradic, der Mann auf der Flucht: „Wir haben nie alle getötet. Wir haben immer paar gelassen. Damit sie von uns erzählen können.“ Er berichtet auch von den Gräueltaten. Keine Rückblenden. Sondern Erfahrung in Worten. Gesprochen, gespielt vom großartig physischen Christoph Bach. Und auch die Hintergründe, die Rekrutierungsmethoden, werden angeschnitten. „Ordnung. Eine Perspektive. Ich habe wo hingehört. Und dann haben sie uns gesagt: ‚die und die und die sind schuld’ – und dann gab es Rache.“ Das Thema ist mehr als Vehikel und doch hemmt es den Krimi nicht. „Kein Entkommen“ – der Titel ist Programm. Der Film ist geradlinig, steckt voller Thrill, besitzt eindrucksvolle Action-Szenen (Gradic flüchtet halbnackt durch Wien) und vergisst auch die Psychologie von Gradics in Agonie lebender Familie nicht. Ein packender ORF-„Tatort“. Krassnitzer und Neuhauser mausern sich zu einem der besten „Tatort“-Duos. Dass sie es mit mindestens 16 Leichen zu tun bekommen, ist nicht ihre Schuld! (Text-Stand: 18.1.2012)