„Es gibt viele Arten zu sterben, man muss heraus finden, wie man leben kann“, sagt Polizistin Melanie Sommer (Anna Brüggemann). Sie hat Schreckliches durchgemacht. Mit ihrem Kollegen Frank Schneider wurde sie auf Streife zu einem Routineeinsatz wegen Ruhestörung in ein leerstehendes Haus gerufen. Dort wurde ihr Partner von Unbekannten hingerichtet, sie selbst schwer verletzt. Erinnerungen an den Abend hat sie keine. Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) nehmen die Ermittlungen auf. Sie befragen den Besitzer des Hauses, den smarten Gastronom Thomas Theissen (Ronny Miersch). Dessen jüngerer Bruder, der polizeibekannte drogenabhängige Ben (Hauke Diekamp), gerät in den Fokus. Doch kurz darauf ist auch er tot – erschossen, als er am Tatort des ersten Mordes versteckte Drogen holen will. Der Verdacht fällt auf den homosexuellen Partner und Kollegen des ersten Opfers, Stefan Pohl (Maximilian Simonischek). Wollte er Rache an Ben nehmen? Und welche Rolle spielt der Vorgesetzte Pohl, Schneider und Melanie, Bernd Schäfer (Götz Schubert)? Ballauf ermittelt emsig in Richtung Selbstjustiz, was Jütte (Roland Riebeling) auf die Palme bringt. Dann wird ein zweiter Tatbeteiligter, Lukas Strauss (Luke Neite), erschossen aufgefunden. Die Suche nach der dritten Person im Haus, Selina Greve (Svenja Jung), läuft auf Hochtouren. Zunehmend haben Ballauf und Schenk Zweifel, ob die besonnen und umsichtig wirkende Melanie auch alles gesagt hat, was sie über den Einsatz weiß.
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Rainer Butt („K1 – Kripo Hamburg“, „Ein starkes Team“, „Polizeiruf 110“) hat nach „Narben“ (2016) seinen zweiten „Tatort“ für das Duo Ballauf/Schenk geschrieben – gemeinsam mit der Regisseurin Christine Hartmann. Beide haben eine Menge reingepackt in diesen Krimi: Umgang mit Homosexualität bei der Polizei, Diskriminierung von Frauen im Berufsalltag, Aufarbeitung des Verlustes der Eltern, Drogenabhängigkeit, prekäre Lebensverhältnisse, Missachtung der und Gewalt gegen die Polizei, Selbstjustiz, interne Ermittlungen und Abschottung eines Berufsstandes gegen Einmischung von außen. Vieles davon haben die Autoren wendungsreich in eine Krimistory gegossen, doch manches wirkt allzu plakativ und ungelenk. Etwa die Szene, als ein Sportwagenfahrer in eine Geschwindigkeitskontrolle gerät, die Polizistin anpöbelt und sie damit demütigt, dass sie wenig verdient. Das kann man geschickter erzählen, ohne Holzhammer. Auch die Dialoge der Polizisten beim Feierabendbier über Homosexualität sind arg platt geraten, Klischee ist dafür wohl ein noch zu harmloses Wort. Auch die Milieuzeichnung für die junge Selina, die bei der Tat in dem leerstehenden Haus dabei war, hat eher billiges Serienniveau. Mutter: „Dein Chef hat angerufen, deine Lehrzeit wird nicht verlängert“. Tochter: „Scheiß drauf“. Mutter: „So geht das nicht, ich muss zur Arbeit“. Tochter: „Hau ab, verpiss dich.“ Das war‘s. Nachmittags im Privatfernsehen würde man sich über so einen Dialog nicht wundern, im „Tatort“ schon. Mehr Mühe und Esprit bei der Milieuzeichnung hätte man erwarten dürfen.
Erst vor wenigen Wochen begann ein „Tatort“ mit einem Routineeinsatz, der aus dem Ruder lief, „Der gute Weg“ hieß der, spielte in Berlin, thematisierte auch die Gefahren des Berufs und die zunehmende Gewalt gegen Beamte. Und es ging ebenfalls um eine Art Trauma-Bewältigung. Vor Jahren schuf die ARD ja mal eine Koordinierungsstelle für den „Tatort“, die lag im WDR beim mittlerweile entlassenen Gebhard Henke. So wird wohl nicht mehr darauf geachtet wird, dass thematische Doppelungen vermieden bzw. die Ausstrahlungstermine besser koordiniert werden. Klar, dafür kann der Film nichts, den Christine Hartmann in Szene gesetzt hat. „Kaputt“ ist bereits ihr achter „Tatort“, im vergangenen Jahr hat sie bei „Familien“ bereits mit dem Kölner Duo gearbeitet. Das geht erneut nach dem bekannten und dadurch ein wenig ermüdenden Schema an den Fall: einer ist skeptisch, der andere weniger oder nicht. Diesmal übernimmt Ballauf die polizeikritische Position, forciert die internen Ermittlungen gegen Beamte, Schenk zeigt mehr Verständnis für den eigenen Berufsstand. Assistent Jütte darf den Hardliner geben, der mit Law & Order-Tönen überrascht. Bei der bisherigen Entwicklung der Figur – er spielte zuletzt eher den Amtsstuben-Clown und Langsam-Arbeiter – kommt das reichlich unvermittelt und überraschend daher. Was man dem Krimi aber nicht absprechen kann, ist durchgehende Spannung. Die hält der Film bis zum Showdown. Und auch die schauspielerische Leistung von Anna Brüggemann als traumatisierte Polizisten Melanie ist sehenswert. Wer also klassische Ermittlungsarbeit ohne viel Schnörkel und filmische Experimente mag, der wird im „Tatort – Kaputt“ gut unterhalten.