Tatort – Hochzeitsnacht

15 Jahre „Tatort“ Bremen. Postel, Mommsen & die Karikatur eines Geiseldramas

Foto: RB / Jörg Landsberg
Foto Rainer Tittelbach

Aus einer Dorfhochzeit wird ein Geiseldrama. Doch die Bösen scheinen nicht wirklich die Bösen zu sein. Ein junger Mann saß offenbar unschuldig im Knast. Für wen – das will er endlich wissen. Die Ausgangsidee ist gut, die Durchführung schwach. Buch & Regie kamen mit den Herausforderungen eines Massen-Kammerspiels nicht zurecht. Dramaturgisch stimmt wenig in diesem Jubiläums-„Tatort“ aus Bremen. „Hochzeitsnacht“ ist weder spannend noch als Drama plausibel und beim Finale heißt es für den Zuschauer: Krimi-Fremdschämen!

Eine Hochzeit auf dem Land. Stedefreund ist eingeladen. Und auch Kollegin Lürsen ist mit dabei. Zwar hängt der Nebel tief über der norddeutschen Herbstlandschaft, doch der Stimmung im Festsaal mit den rund 60 Gästen tut das keinen Abbruch. Bis plötzlich zwei maskierte Männer die Hochzeitsfeier stürmen und die Gäste mit schwerem Geschütz brutal angehen. Während Stedefreund Glück hat und während des Überfalls gerade mit dem Hund Gassi geht, versucht Kommissarin Lürsen die Situation zu entspannen. Das tut Not, nachdem der Vater des Bräutigams tot im Keller liegt. Was anfangs wie ein Raubüberfall aussieht, entpuppt sich als eine wenig durchdachte Racheaktion eines jungen Mannes, der neun Jahre wegen dem Mord an einer jungen Frau aus dem Dorf im Gefängnis saß. Unschuldig. Auf der Hochzeitsfeier, bei der das ganze Dorf versammelt ist, will er nun den wahren Mörder stellen. Will er Rache oder Gerechtigkeit? Lürsen ist sich nicht sicher. Außerdem wird auch der „Kollege“ immer unberechenbarer. Der will jetzt plötzlich Geld. Stedefreund hat es mit dem Einsatzleiter „draußen“ auch nicht unbedingt leichter. Die Scharfschützen stehen schon bereit.

Die Ausgangsidee ist gut, die Durchführung weniger. Die Planlosigkeit und Unorganisiertheit der bösen Buben schlägt leider auch auf die Dramaturgie der Geschichte durch. Spätestens nach 45 Minuten ist die Luft raus aus dieser Konstellation, die Chaos-Situation ausgereizt. Ob Eskalation oder Entspannung – die Gefühlslagen ergeben sich eher zufällig. Das mag „realistisch“ sein, bezogen auf die zwei Möchtegern-Schweren-Jungs, der Spannung tut das alles andere als gut. Ohnehin nimmt man den beiden ihre Gefährlichkeit nicht ab – was mit an den Schauspielern liegt. Auch das Wechselspiel „guter Junge“ hier, „böser Junge“ dort funktioniert nicht. Das Bedrohungspotenzial schwindet ständig, was nichts ausmachen würde, wenn die dramatischen Momente diametral dazu an Glaubwürdigkeit und Wirkkraft gewinnen würden. Aber die finale Mördersuche mit den Verdächtigen im Halbkreis ist die Karikatur einer Whodunit-Auflösung. Da wird viel schlecht verbalisiert, die Figuren bleiben leblos – Mitgefühl beim Zuschauer entsteht so nicht. Und der Film will kein Ende finden – und so wartet der Mörder, an einen Baum gefesselt, auf Rache oder Gerechtigkeit in einer Szene, in der bestenfalls so etwas wie Krimi-Fremdschämen aufkommen kann.

Tatort – HochzeitsnachtFoto: RB / Jörg Landsberg
Die finale „Gerichtsverhandlung“ ist eine gute Idee, die Durchführung eher schwach! Denis Moschitto & Julie Engelbrecht

Das Grundproblem dieser „Hochzeitsnacht“: weder der Autor noch der Regisseur kamen mit der Masse Mensch klar. Die Gesichtsausdrücke von zehn und mehr Personen in einer Einstellung zu haben, ist immer ein Problem. Irgendeiner liegt immer daneben, schaut zu betroffen oder chargiert sich anderweitig in den Vordergrund. So geschehen bei der bereits erwähnten „Verhörszene“ im Halbkreis im Schlussteil des Films. Der Schmerz, der da aufbricht, bewegt sich an der Grenze zur unfreiwilligen Komik. Und wie soll jemand wie Lürsen so einer Situation begegnen: betroffen und irgendwie leer schauend? Diese Szene enthält so viele Fallstricke, dass man sie hätte anders auflösen müssen. Aber wahrscheinlich ist schon die Idee, 60 behauptete Gäste in einer Geschichte zu laden und davon knapp zehn des Mordes zu verdächtigen, ein zu dreistes Unterfangen für einen Fernsehfilm.

Es sieht so aus, als ob kein Schauspieler bei seinen Einsätzen so richtig wusste, in welchem Teil des Films sich diese Szene eigentlich befindet. Ein solches Thriller-Drama-Kammerspiel braucht ein klares Phasenmodell der Gefühle. Und die Hauptfiguren müssen sich ein solches Phasenmodell für ihren Charakter zurechtlegen, um ihm Tiefe und der Geschichte einen emotional glaubwürdigen Flow zu geben. Und was im Kleinen nicht stimmt, stimmt dann auch im Großen nicht. Da torkelt Stedefreund anfangs kafkaesk durch die Nacht – mit Hund und ohne Hose. Gut für ein paar Schmunzler. Später wird dieser aufgesetzte Schabernack unvermittelt fallengelassen. So ist das bei diesem Film. Sogar das Zusammenspiel aus Krimi, Drama und Komik scheint allein dem Zufallsprinzip überlassen zu sein. 15 Jahre Bremer „Tatort“ – Sabine Postel & Oliver Mommsen hätten einen besseren Jubiläumsfilm verdient!

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RB

Mit Sabine Postel, Oliver Mommsen, Denis Moschitto, Sascha „Ferris“ Reimann, Arved Birnbaum, Barbara Nüsse, Julie Engelbrecht, Henning Nöhren, Michael Witte, Tobias Langhoff, Pamela Knaack, Oliver Breite

Kamera: Marcus Kanter

Szenenbild: Heike Lauer-Schnurr

Produktionsfirma: Bremedia

Drehbuch: Jochen Greve

Regie: Florian Baxmeyer

Quote: 8,88 Mio. Zuschauer (25,8% MA)

EA: 16.09.2012 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

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