Zum Genre der Spionagefilme gehört es, dass sich Agenten bei drohender Gefahr im letzten Augenblick buchstäblich in Luft auflösen können. Im „Tatort – Funkstille“ gibt es eine hübsche Szene, die darauf liebevoll – vielleicht auch etwas ironisch – Bezug nimmt: Gretchen Fisher (Tessa Mittelstaedt) lauscht, einen Korb voll Wäsche in den Armen, an der Tür ihrer Tochter. Doch als Emily (Emilia Bernsdorf) plötzlich die Tür aufreißt, ist Gretchen von der Bildfläche verschwunden. Dank eines Kameraschwenks sieht man, wie sie sich im Türrahmen eines anderen Zimmers versteckt. Den Wäschekorb presst sie mit der linken Hand flach gegen die geschlossene Tür. Auch sonst würzt Regisseur Stanislaw Mucha die Reminiszenz an das Agenten-Genre mit hintergründigem Humor. Fisher arbeitet im US-Konsulat gemeinsam mit ihrem Chef an der „Operation Gekrakel“. Daheim horcht sie, digitaler Totalüberwachung zum Trotz, mit einem altmodischen Kurzwellengerät in den knarzenden Äther.
Alles beginnt, wie es sich für einen „Tatort“ gehört, mit der Leiche: Sebastian Schneider (19) wird vor den Ruinen einer leer stehenden Industriehalle gefunden, Emily wartete vergeblich auf ihn. Sebastians alleinerziehender Vater Ulrich (Henning Peker) ist tief erschüttert und sucht Trost bei seinem besten Freund Raymond Fisher (Kai Scheve), Emilys Vater. Ulrich denkt, sein Sohn studiere, doch der war meist unterwegs, spürt „Lost Places“ auf, dreht Videos und stellt sie ins Netz. Von dieser Subkultur, die die Jagd nach vergessenen Orten zum Hobby gemacht hat, handelt der Film allerdings nicht. Nicht das Opfer und seine Leidenschaft, nur der Schauplatz mit den Graffiti-Botschaften an den Wänden und einem im Mauerwerk versteckten Briefkasten spielt eine gewisse Rolle. Das Geheimnisumwitterte passt allerdings ins Bild, und in gewisser Weise ist ja auch das Einfamilienhaus der Fishers ein „lost place“. So wie die Ruine für den Untergang des Industriezeitalters steht, wirken die Fishers wie Relikte, wie Fremdkörper aus der Zeit des Kalten Krieges, denen allerdings auch hochmoderne Überwachungstechniken nicht fremd sind. Gretchen Fisher nimmt jedenfalls erst mal den Fernseher vom Netz, bevor sie und ihr Mann den Kommissaren Rede und Antwort stehen.
Neben den Genre-Zitaten machen den Frankfurter „Tatort“ häufig unkonventionelle Einfälle aus, die die Darstellung der Polizeiarbeit vom Realismus-Anspruch entkoppeln. Das hält sich in „Funkstille“ in Grenzen, sieht man davon ab, dass sich Janneke, Brix und Sidekick Fanny (Zazie de Paris) zum Grillen am Main-Ufer treffen, während im Gegenschnitt ein festlicher Empfang im US-Konsulat zu sehen ist. Dass der Pathologe mal wieder ein seltsamer Typ ist, Brix mit E-Rollern kämpft und gern an Assistent Jonas (Isaak Dentler) herum mäkelt, ist eher Krimi-typisches Beiwerk. Nicht so sehr die Ermittlungen treiben die Handlung voran, die Geschichte entwickelt sich eher aus dem Innenleben der seltsamen Familie Fisher. Angeblich sind die Eltern auf amerikanischen Militärstützpunkten groß geworden. Das akzentfreie Deutsch der Schauspieler ist da freilich ebenso irritierend wie die Tatsache, dass Gretchen und Raymond nur dann in die englische Sprache wechseln, wenn sie miteinander streiten. Aber das mag man „kaufen“, schließlich handeln Agentenfilme vom Spiel mit falschen Identitäten.
Anderes ist weniger stimmig: Emily nennt ihren Vater „so streng“, doch Kai Scheve alias Raymond wirkt weder besonders streng noch wird sein dringender Wunsch, aus dem Agentenleben auszusteigen, einigermaßen plausibel erzählt. Nachvollziehbar ist dagegen, dass die Welt der von Emilia Bernsdorf überzeugend gespielten Tochter ins Wanken gerät. Nach Sebastians Tod erfährt sie nicht nur, dass der von ihr umschwärmte Junge eine Affäre mit ihrer Mutter hatte, sondern auch dass ihre Eltern eine falsche Identität haben. Was die Frage aufwirft: Wer ist sie selbst? Die interessanteste Figur aber ist Gretchen Fisher. Tessa Mittelstaedt, die einst als Assistentin von Ballauf und Schenk fester Bestandteil des Kölner „Tatorts“ war, spielt sie scheinbar vordergründig und plump: als dauerlächelnde amerikanische Hausfrau, der man dank eines betont unauffälligen Agentenblicks jederzeit ansieht, dass sie etwas zu verbergen hat. Ist das wieder ein ironischer Seitenhieb auf das Genre? Oder nur ein Trick, damit das Publikum die Figur unterschätzt? Nervenkitzel und Agententhrill darf man in dieser originellen, unkonventionellen, aber nur bedingt spannenden „Tatort“-Folge weniger erwarten. Dafür sind die langen und ruhigen Nah-Einstellungen eine schöne Reminiszenz an das Kino und die Erzählweise vergangener Jahrzehnte. Höhepunkt ist die Parallelmontage von zwei Szenen, in denen Gretchen ein Café aufsucht und Raymond Fahrstuhl fährt.