Jan Casstorff ist kein Kommissar wie viele andere. Er hat eine Gabe: Ganz egal, wie verstockt sich ein Verdächtiger im Verhör gibt, Casstorff knackt ihn. Bloß zu seinem halb erwachsenen Sohn Daniel findet der allein erziehende Vater keinen richtigen Draht. Und dann taucht auch noch seine Ex-Frau wieder auf, die sich vor 15 Jahren davongemacht hat. Pikanterweise ist die Reedertochter in Casstorffs jüngsten Fall verwickelt: Auf einem Schiff starben beim Löschen eines vermeintlichen Feuers drei Afrikaner. In Hamburg fallen die Beteiligten an dem Vorfall nach und nach einem Messerstecher zum Opfer. Bald stellt Casstorff fest, dass er es nicht bloß mit Rache, sondern auch mit Waffenschmuggel zu tun hat.
„Exil!“ war bei der Premiere im Herbst 2001 nach 16 Jahren der erste „Tatort“ aus Hamburg ohne die legendären Kommissare Stoever und Brockmöller (Manfred Krug und Charles Brauer), doch diese eine Ausgabe genügte bereits, um Robert Atzorn zumindest als würdigen Nachfolger zu etablieren. Gerade die ausführlichen privaten Szenen tragen viel dazu bei, den neuen Kommissar als Persönlichkeit einzuführen. Atzorn spielt Casstorff als einen Menschen, der sichtlich in sich ruht, aber auch um seine Fehler weiß. Unterstützt wird Atzorn, der konsequent im Zentrum steht, von einem Ensemble, das es in sich hat. Seinen gutmütigen Kollegen spielt Tilo Prückner, den etwas miesepetrigen Vorgesetzten Dietrich Hollinderbäumer. Dritte im Bunde des Ermittler-Trios ist die junge Jenny Graf als idealistische Nachwuchspolizistin, verkörpert von Julia Schmidt. Besonders gelungen sind die gemeinsamen Szenen von Atzorn mit seinem Filmsohn Fjodor Olev. Nina Petri schließlich dürfte dafür sorgen, dass Casstorff immer wieder von seiner Vergangenheit eingeholt wird.
Erfunden hat den Casstorff Felix Huby, der Schöpfer des Stuttgarter „Tatort“-Kommissars Bienzle, doch Thomas Bohn hat ihm die Figur mehr oder weniger weggenommen. Bohn, der bis dahin für den SWR eine Vielzahl von Lena-Odenthal-Krimis inszeniert hatte, hat konsequent verhindert, dass Casstorff eine ähnliche Columbo-Hommage geworden ist wie Bienzle. Viele stimmungsvolle Hamburg-Bilder betonen immer wieder den Weltstadtcharakter des Schauplatzes, und die hanseatisch großzügigen Räumlichkeiten lassen die typische Kammerspielhaftigkeit der „Tatorte“ aus Stuttgart gar nicht erst aufkommen.