Es klingelt nachts an der Tür. Eine Frau öffnet, schon hat sie eine Faust im Gesicht. Kurz darauf steht Oberstleutnant Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) nach einem anonymen Anruf vor der Leiche der Frau. Jana Gruber (Susi Ramberger) wurde nach einem Kampf erstochen. Gemeinsam mit seiner Kollegin Bibi Felnner (Adele Neuhauser) schaut Eisner sich die Wohnung genauer an: das Opfer hat als Prostituierte gearbeitet. Und in der Wohnung lebte auch ein Kind. Doch der zehnjährige Samuel (Eric Emsenhuber) ist verschwunden. Ein heiße Spur führt zu dem Mann, der der Polizei den Hinweis gab: Gustav Langer (Christian Strasser), vorbestraft, Stammfreier und somit verdächtig. Schon bald stoßen Moritz und Bibi auf einen weiteren ungeklärten Fall nach dem selben Muster. Auch hier wurde ein Junge entführt. Hat man es mit einem psychopathischen Serientäter zu tun? Während Moritz Hilfe von Janko (Max Mayer), einem Undercover-Ermittler vom Drogendezernat in Graz, erhält, leidet Bibi unter Schlaflosigkeit. Sie ist deshalb gereizt und herrscht auch die Neue im Team an: Meret Schande (Christina Scherrer). Bei einer Informantin und Dealerin (Sophie Aujesky) besorgt sich die Majorin Schlaftabeltten, während Moritz in Rotlichtbars ermittelt und auf ein weiteres Opfer des Psychopathen stößt: Christa Koller (Andrea Wenzl). Die hat den Angriff überlebt.
Kennen Sie noch den Oberinspektor Marek, gespielt von Fritz Eckhardt? Der ermittelte zwischen 1971 und 1984 in 14 Fällen am „Tatort“. Und der kauzige Fichtl brachte es zwischen 1989 und 1996 auf acht Einsätze. Allerdings wurden damals auch noch Krimis mit den Ermittlern nur für Österreich gedreht. 1999, also vor über 20 Jahren, übernahm dann Harald Krassnitzer als Oberstleutnant Moritz Eisner den Staffelstab beim ORF-„Tatort“. Lange hatte er wechselnde Kollegen und Kolleginnen an seiner Seite, 2011 kam dann Adele Neuhauser als Bibi Fellner fest ins Team. Jetzt löst Eisner im „Tatort – Die Amme“ seinen 50. Fall. Ein düsteres Krimidrama um einen psychopathischen Frauenmörder und Kindesentführer hat Autor Mike Majzen dem Wien-Cop zum Jubiläum geschenkt. Majzen ist Musiker und Drehbuchautor, „C(r)ook“ war sein erster Film, es folgten „Nitro“ oder „Vatertage“ sowie u.a. einige Episoden der Krimiserie „SOKO Wien“. Im Gegensatz zu vielen vorherigen Einsätzen, die sich durch pointierte Dialoge und einen witzigen Grundton auszeichneten, ist „Die Amme“ eine todernste Angelegenheit. Eisner ist nicht nur mürrisch wie einst, dieser Fall geht auch ihm an die Nieren. Und Bibi Fellner findet keinen Schlaf, ist so übermüdet, gereizt und – das ist inszenatorisch sehr gut gelungen – unkonzentriert, hat ein Tinnituspfeifen im Ohr. Zur düsteren Tonlage trägt auch bei, dass der leicht komödiantische Sidekick Fredo nicht mehr mit von der Partie ist. Seine Nachfolgerin ist eine Figur, die bereits 2017 im „Tatort – Schock“ einen Auftritt hatte: Meret Schande, gespielt von Christina Scherrer. Die muss hier in erster Linie Bibis schlechte Laune ertragen und hat noch keine rechte Bindung an das eingespielte Duo.
„Natürlich hat sich die Rolle verändert. Was begonnen hat mit Sturm und Drang sowie einer gewissen Ruppigkeit hat sich zu einer Gesetztheit mit einer etwas ruhigeren und klareren Art entwickelt. Vor allem seit der Konstel-lation mit Adele ist es hier zu einer Verdichtung gekommen. Und es hat uns zwischendurch auch in die Höhen des Grimme Preises gebracht.“ (Harald Krassnitzer)
Christopher Schier, der bereits zwei „Tatort“-Folgen für die Wiener („Wehrlos“, 2017, und „Die Faust“, 2018) sowie einen für die Münchner („Lass den Mond am Himmel stehen“, 2020) gedreht hat, schickt die Kommissare auf die Suche nach zwei verschwundenen Kindern und arbeitet mit dem klassischen „uns rennt die Zeit davon“-Motiv. Als Zuschauer sind wir den Ermittlern stets voraus: Wir kennen den Täter, wir wissen, dass er sich als Frau zurechtmacht und mit den Kindern merkwürdig umgeht, wir sehen, dass er sich Eisner als verdeckter Drogenfahnder nähert und wir bekommen mit, dass er selbst Drogen nimmt. Moritz und Bibi tappen im Dunkeln, sind dem Täter eigentlich so nah, aber doch noch so fern. Damit spielt der Regisseur sehr überzeugend. Zu der düster-traurigen Atmosphäre tragen wesentlich die gut ausgewählten Schauplätze bei. Die Ausstattung der Wohnung, in der kleine Samuel gefangen gehalten wird, ist so detailgenau und milieugerecht ausgestattet, dass man den Mief förmlich riechen kann. Und die Szene, in der die Ermittler eine Frau aufsuchen, der es gelang, dem Täter zu entkommen, die aber unter den ihr zugefügten Stichverletzungen stark leidet, ist von einer großen Intensität: triste Sozialbauwohnung, die Frau am Küchentisch, Zigarettenqualm, sie erzählt von ihrem Martyrium, die Kamera nah an ihrem Gesicht.
Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer beeindrucken als Bibi und Moritz auch ohne Pointen, Ironie und Sticheleien. Es sind diesmal die emotionalen Abgründe, die vor allem Bibi fordern. Weil ihr permanent durch den Kopf geht, dass sie immer eine Spur zu spät kommen. Und weil sie unter extremem Druck steht, weil ein Kind geschützt, befreit oder gefunden werden muss. Moritz kümmert sich um seine Kollegin, sorgt sich und versucht, Wege zu finden, wie er ihr helfen kann. Am Ende steht ein „schön, dass es dich gibt“. Doch im Fokus dieses Krimis steht die Figur des Psychopathen im Rollenwechsel der Geschlechter. Max Mayer spielt Mann/Frau beängstigend gut, erinnert ein wenig an Lars Eidinger als Kai Korthals in den beiden „Borowski und der stille Gast“-„Tatort“-Krimis (ein dritter wurde gerade gedreht). Und so ist der Jubiläums-„Tatort“ ein schaurig-intensiver Psycho-Krimi.