Tatort – Das perfekte Verbrechen

Meret Becker, Mark Waschke, Comtesse, Bertele. Die Rechnung ohne Karow gemacht

Foto: RBB / Volker Roloff
Foto Rainer Tittelbach

„Kann man einen Angeklagten wegen Mordes verurteilen, wenn weder die Tatwaffe gefunden wird, noch ein Motiv nachweisbar ist?“ Um diese Frage kreist „Das perfekte Verbrechen“ (die film gmbh Berlin), der 11. RBB-„Tatort“, der Karow/Rubin ins Milieu einer Elite-Hochschule für Juristen führt. Ausgangspunkt ist ein realer Fall aus Italien: der Mord an einer Studentin. Ein Verbrechen aus Überheblichkeit. Auch der Berliner Mord könnte die Machtdemonstration eines „Übermenschen“ im Sinne Nietzsches sein. Ist dieser Krimi auch ein Whodunit, so hebt doch der Mythos vom perfekten Mord die Narration auf ein höheres Niveau. Die Kommissare dringen mehr denn je in eine fremde, seltsame Welt ein, die Autor Michael Comtesse durch die Reduktion auf wenige, markante Schauplätz und Regisseurin Brigitte Maria Bertele durch eine konzentrierte, edle Inszenierung zu einem Film aus einem Guss machen. Die Optik ist abwechslungsreich, der Score exzellent, und Becker, Waschke & Kurth sind extrem cool.

„Kann man einen Angeklagten wegen Mordes verurteilen, wenn weder die Tatwaffe gefunden wird, noch ein Motiv nachweisbar ist?“ Benjamin Renz (Anton von Lucke) ist ein kluger Kopf, der sich gern mit solchen kniffligen Fragen beschäftigt. Der Stipendiat einer Berliner Elite-Hochschule für Juristen steht kurz davor, in einen exklusiven Geheimbund, das Kolloquium Conatus, aufgenommen zu werden. Es bedarf nur noch einiger letzter Prüfungen. Das Referat zum Thema „Das perfekte Verbrechen“ war eine vergleichsweise leichte Aufgabe. Als ein Anruf von Unbekannt die nächste sogenannte „Probatio“ ankündigt, lässt der junge Mann wieder mal seine Freundin (Paula Kroh) stehen. Wenige Minuten später muss sie mitansehen, wie einer befreundeten Kommilitonin auf dem Gendarmenmarkt in den Hinterkopf geschossen wird. Der Schuss kam aus dem Gebäude eben jener Berlin School of Law, abgefeuert wurde er von einem Seminarraum aus, an dem an diesem Tag vier Studenten ein Kolloquium abhielten, vier Oberschicht-Sprösslinge: Quembach (Franz Pätzold), Falkenstein (Lukas Walcher), Dodlewsky (Johannes Scheidweiler) und Wolfram Liere (Max Krause). Diese Vier sind es auch, die Renz seine Aufgaben stellen für die Aufnahme in den Club der Clubs. An diesen Juristen-Schnöseln werden sich Nina Rubin (Meret Becker) und Robert Karow (Mark Waschke) noch die Zähne ausbeißen. Staranwalt Dr. Perner (Ulrich Friedrich Brandhoff) und Hochschulgründer Prof. Richard Liere (Peter Kurth), in dessen ehrwürdiger Villa die vier Studenten wohnen, haben nur einen Rat: konsequentes Schweigen. Und was ist mit Renz? Er hat eine Falschaussage gemacht – und er hat kein Alibi.

Tatort – Das perfekte VerbrechenFoto: RBB / Volker Roloff
„Wir bestimmen, was die Wahrheit ist. Man kann machen, was man will, solange man die Führung hat.“ Ist es mit der Hybris doch nicht so weit her? Etwas verunsichert sind sie langsam schon: Liere (Max Krause), Falkenstein (Lukas Walcher) und Quembach (Franz Pätzold). Und Benjamin Renz (Anton von Lucke) hat kein Alibi.

Für diese Club-Mitgliedschaft lässt man schon mal die Freundin sausen oder sich erniedrigen; Mord aber ist keine Option für diesen jungen Mann aus einfachen Verhältnissen. Der „Tatort – Das perfekte Verbrechen“ führt einem in der ersten Szene, eine Art Schock-Appetizer, den Moralkodex des Elite-Clubs vor Augen: Nach einem blutigen Kampf mit Schlägen und Tritten gegen einen Mann, den die vier von der Straße geholt haben und dem ein dickes Preisgeld winkt, wird dem „Primaner“ ein Gewehr in die Hand gegeben. „Er hat es verdient“, sagt einer der Kommilitonen. Doch Renz weigert sich zu schießen. Daraufhin gibt es Applaus. Der Kandidat hat die Prüfung bestanden. Für den kaltblütigen Mord am Gendarmenmarkt wird man ihn also wohl aus dem Kreis der Verdächtigen streichen müssen. Ist der Täter also einer der vier schamlosen Studenten? Oder müssen die Söhne den Kopf hinhalten für die Taten ihrer einflussreichen, schuldigen Väter? Ob Rache, ob Verschwörung oder ob Machtdemonstration eines „Übermenschen“ im Sinne Nietzsches – alle vier erkaufen sich jedenfalls ein Alibi, halten dicht und schweigen sich aus. Schlechte Karten für die Kommissare. Der Täter treibt offenbar mit ihnen ein Spiel. Die Beweislage reicht nicht einmal aus, um die Handydaten der Verdächtigen abzufragen. Also müssen Rubin und Karow die Regeln brechen und andere Methoden anwenden – illegale. Und noch etwas könnte helfen: Karow hat ein Jura-Studium hinter sich, ja, er kennt sogar Prof. Liere, die graue Eminenz des Kolloquium Conatus.

Tatort – Das perfekte VerbrechenFoto: RBB / Volker Roloff
Die nächste „Probatio“ ruft – und Benjamin Renz (Anton von Lucke) springt. Für den Stipendiaten aus einfachem Elternhaus ist das Kolloquium Conatus die Chance. Seine Freundin Luise (Paula Kroh) stellt ihn vor die Entscheidung: sie oder der Männerclub.

Ausgangspunkt für die Geschichte zum elften „Tatort“ von Karow und Rubin ist ein realer Fall aus Italien aus dem Jahr 1997: Der Mord an der Jurastudentin Marta Russo, die auf dem Campus von einer Kugel getroffen wurde. Die Angeklagten waren zwei Doktoranden der Rechtsphilosophie. Es war ein Verbrechen aus Überheblichkeit. Für Michael Comtesse, Autor der außergewöhnlichen „Tatort“-Episoden „Dein Name sei Harbinger“ und „Wir kriegen euch alle“ sowie des etwas anderen ZDF-Krimis „Schwarzach 23 und die Hand des Todes“, war der Fall aus Italien „eine große Tragödie, aber bei weitem kein perfektes Verbrechen“. Das hat er sich nun für diesen Berliner „Tatort“ ausgedacht. Doch Karow, der Ex-Jura-Studiosus, der sich einmal mehr als Koryphäe in Sachen Logik und Kopfakrobatik beweisen darf, ist noch einen Tick perfekter, sodass „Das perfekte Verbrechen“ – so viel sei verraten – am Ende aufgeklärt werden kann. Hilfreich ist dabei ein Satz, der zur goldenen Regel für das Phänomen erhoben wird: „Wenn alle Beteiligten nur wissen, was sie wissen dürfen, wenn alle nur denken, was sie denken sollen, dann wird kein Ermittler – und sei er noch so gut – ausreichend Beweise finden, die für eine Anklage reichen.“ Der Mörder hat die Regel ohne Karow gemacht.

Ist dieser Krimi auch ein Whodunit, so hebt doch der Mythos vom perfekten Mord die Narration auf ein höheres Niveau. Die Kommissare dringen mehr denn je in eine fremde, seltsame Welt ein. Die Regeln, Rituale und symbolischen Akte des Kolloquiums werden als ein hermetisches System dargestellt, zu dem allerdings die bodenständige Bauchkommissarin und Urberlinerin Rubin keinen rechten Zugang findet. Dem entspricht, dass in diesem „Tatort“ nicht ausschließlich aus der Ermittlerperspektive erzählt wird. Immer wieder sieht man die Verdächtigen unter sich. Auch gibt es Familienszenen in Benjamin Renz‘ kleinbürgerlichem Zuhause. Besonders reizvoll, da dicht erzählt und reich an spannenden Informationen, sind die Momente, in denen beide Perspektiven gleichzeitig bedient werden: Wenn die Kommissare die Gespräche in der Villa belauschen, die sie – als letzten Ausweg – kurz zuvor verwanzt haben.

Tatort – Das perfekte VerbrechenFoto: RBB / Volker Roloff
„Alles, wofür das Kolloquium steht, droht, in den Schmutz gezogen zu werden.“ Der Uni-Gründervater, Prof. Richard Liere (Peter Kurth), ist sauer. Sein juristischer Rat: Schweigen. „Wir machen das unter uns aus.“ Franz Pätzold und Max Krause

Diese exklusive Aura des geschlossenen Zirkels und des unhinterfragten Elite-Status‘ wird verdeutlicht durch die Reduktion auf wenige, markante Schauplätze und die konzentrierte, edle Inszenierung von Brigitte Maria Bertele („Die vierte Gewalt“, Grimme-Preis für „Grenzgang“). Die altehrwürdige Villa dieses akademisch-männerbündelnden Geheimclubs ist eine perfekte Location: Sie spiegelt nicht nur Reichtum, noble Herkunft und ein privilegiertes Dasein, Räume und Mobiliar verweisen zugleich auf die bleierne Schwere, die die Tradition mit sich bringen kann. Und der psychologische Druck, der auf den schmalen Schultern der Elite von morgen lastet, lässt sich nun mal nicht immer mit einem Jagd-Gang („ein paar Schüsse werden dir guttun“) beheben. „Dieses Erschaffen einer eigenen Welt zog sich durch alle Gewerke – Bildgestaltung, Szenenbild, Kostüm und Maske“, sagt Bertele im RBB-Presseheft. „Angefangen von dem Entwerfen eines Logos, von Kleidungscodes und Interieurs bis hin zur Lichtgestaltung haben alle Gewerke sehr eng vernetzt miteinander gearbeitet.“

Das zeigt sich in jedem Bild, aber auch zwischen den Szenen. Der Rhythmus des Films besitzt eine große Klarheit, und die Kommissare – allen voran Karow – bewegen sich trotz der anfangs aussichtslosen Lage selbstbewusst und entspannt durch die Szenerie. Ein bisschen Pokerface gehört dazu – auf beiden Seiten. Mark Waschke, Meret Becker und Peter Kurth, jeder ist auf seine Art äußerst smart. Auch die Besetzung der Studenten kann sich sehen lassen; sehr überzeugend ist Anton von Lucke („Polizeiruf – Crash“) als „der Primaner“. Für den großartigen filmischen Flow kann es auch eine wahrnehmungspsychologische Erklärung geben. So besticht der Film durch sein harmonisches, beiläufig wirkendes Wechselspiel von natürlich düsteren, künstlich verdunkelten und hellen, lichtdurchfluteten Szenen. Dazu gibt es einen Score der Extraklasse, für den zurückhaltend Sounds und immer wieder nur einzelne Töne stimmungsvoll angeschlagen werden. Mal schwingt – bezogen auf die Charaktere – etwas Bedrückendes, Nachdenkliches mit, mal verleihen die zarten Toncollagen der Situation etwas Unheilvolles, Verunsicherndes. Fazit: eine faszinierende Idee für einen Krimi, ein dichter, vielschichtiger Plot, coole Optik. Ein Film aus einem Guss. (Text-Stand: 25.2.2020)

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Reihe

rbb

Mit Meret Becker, Mark Waschke, Anton von Lucke, Franz Pätzold, Peter Kurth, Lukas Walcher, Max Krause, Johannes Scheidweiler, Carolyn Genzkow, Paula Kroh, Ulrich Friedrich Brandhoff, Rosa Enskat, Andreas Nickl, Daniel Krauss

Kamera: Timon Schäppi

Szenenbild: Anke Osterloh

Kostümbild: Gitti Fuchs

Schnitt: David Jeremy Rauschning

Musik: Sven Rossenbach, Florian van Volxem

Redaktion: Josephine Schröder-Zebralla

Produktionsfirma: die film gmbh

Produktion: Uli Aselmann, Sophia Aldenhoven

Drehbuch: Michael Comtesse

Regie: Brigitte Maria Bertele

Quote: 9,32 Mio. Zuschauer (25,3% MA)

EA: 15.03.2020 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach