Die Geschichte beginnt mit dem Titel: Auf der Treppe vor Schimanskis Tür sitzt Katja (Anja Jaenicke). Die junge Frau wohnt in der Nachbarschaft und vermisst ihre Mutter; die Wohnung ist durchwühlt worden. Der Duisburger Kommissar nimmt Katja bei sich auf und versichert ihr, es werde schon nichts passiert sein. Am nächsten Morgen wird die Mutter gefunden, erschossen und mehrfach mit einem Auto überrollt. Das knapp 18jährige Mädchen bleibt in der Obhut der Polizei, denn offenbar trachtet auch ihr irgendjemand nach dem Leben.
Abgesehen von Götz George, dessen frühe Filme Zeitgenossen nach seinem Tod fast nicht ohne Wehmut anschauen können, zeichnet sich „Das Mädchen auf der Treppe“ vor allem durch die Musik von Tangerine Dream aus. Die Elektroniker haben gerade in den Achtzigern viele noch heute hörenswerte Kino-Soundtracks komponiert. Dies war eine ihrer wenigen TV-Arbeiten; gerade Katjas melancholisches Leitmotiv („White Eagle“) ist ein Ohrwurm und ersetzt hier ausnahmsweise auch die Abspannmusik. Gemessen an der für Fernseh-Verhältnisse hochmodernen Musik wirkt die Inszenierung wie eine Reminiszenz an jene Jahre, als Fernsehspiele noch live aufgenommen wurden: In langen Einstellungen schaut die Kamera den Schauspielern bei der Arbeit zu. In Dialogszenen wandert sie in aller Ruhe von einem Mitwirkenden zum nächsten. Die Methode ist gewöhnungsbedürftig, entwickelt aber einen eigenen Reiz. Verantwortlich für die Bildgestaltung war Joseph Vilsmaier, der einige Jahre später mit „Herbstmilch“ sein Regiedebüt gab und sich mit Filmen wie „Schlafes Bruder“ und „Comedian Harmonists“ kurzzeitig in die erste Reihe der deutschen Regisseure arbeitete.
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Typisch für den „Tatort“ aus Duisburg ist die Rollenverteilung zwischen Schimanski und seinem stets korrekt gekleideten Partner: Die beiden Kommissare sind Herz und Kopf. Während Thanner (Eberhard Feik) den Bedenkenträger verkörpert, der sich an die Regeln hält, will der impulsive Schimanski, dem gern auch mal der Kragen platzt, dauernd mit dem Kopf durch die Wand. Entsprechend verteilt ist die Action: Für Verfolgungsjagden ist selbstverständlich George zuständig. Auch dabei arbeitet Regisseur Peter Adam nach Möglichkeit ohne Schnitt, was beispielsweise bei einer Bahnhofsszene, als Schimanski erst ein paar Schienen überwindet, dann in einen abfahrbereiten Zug springt, dort nach Katja sucht und schließlich mitsamt dem Mädchen wieder rauskommt, logistisch sicher nicht einfach war.
Echte Krimispannung aber kommt aufgrund der etwas langatmigen Inszenierung nur selten auf. „Das Mädchen auf der Treppe“ ist eines der frühen Drehbücher von Martin Gies, dem jüngeren Bruder von Schimanski-Schöpfer Hajo Gies. Der Autor konzentriert sich dem Titel entsprechend vor allem auf die Beziehung zwischen dem Mädchen und dem Kommissar. Die Suche nach dem Mörder und erst recht dessen Motive spielen über weite Strecken nur eine Nebenrolle, weil sich Katja in Schimanski verliebt, während die Gefühle des Polizisten eher väterlicher Natur sind. Umso mehr ärgert es ihn, wie sehr die junge Frau ihn und Thanner auf Trab hält, weil sie immer wieder verschwindet. Während diese Ebene gerade auch dank der darstellerischen Leistungen jederzeit überzeugt, mutet der Krimiplot eher wie ein Vorwand an.
Sehenswert ist der Film trotzdem, zumal es einige Momente und Bilder gibt, die in Erinnerung bleiben, etwa die Beerdigungsszene, in der alle Trauernden schwarz gekleidet sind; nur Katja ist ganz in weiß erschienen. Interessant sind auch die Gastdarsteller: Der damals noch kaum bekannte Jörg Hube spielt den Chef der Toten, Günter Lamprecht, kurz zuvor dank „Berlin Alexanderplatz“ zum Star avanciert, ihren undurchsichtigen früheren Liebhaber. Als Schimanski den Mann in dessen Büro aufsucht und auf ihn einredet, sagt dieser „Stop!“ – und nun schweigt nicht nur der Kommissar, sondern auch die Musik. Der junge Jan Fedder ist in seiner tiefenentspannten Rolle als Kleinganove Wolli wegen des Vollbarts fast nur an der Stimme zu erkennen. Während der Vernehmung spielt Wolli Mundharmonika. Zum Abschied schenkt er Schimanski das Instrument mit den Worten „Du hast es auch nicht leicht.“ Eine Art Insider-Gag ist die Mitwirkung von Erich Bar, der wegen seiner eindrucksvollen Statur auf Bösewichte abonniert war, was stets in krassem Gegensatz zu seiner sanften Stimme stand, zumal ihn seine unverkennbare Sprechweise wie einen Laiendarsteller wirken ließ. Er tauchte in einigen Schimanski-Filmen auf uns musste sich regelmäßig neue Jobs suchen. „Das Mädchen auf der Treppe“ war Fall 4 des 1981 gestarteten Duos Schimanski/Thanner und hatte bei der Erstausstrahlung für heutige Verhältnisse sagenhafte 48 Prozent Marktanteil.