Kriminelle Machenschaften nicht mehr decken
„Ich kann nicht mehr so weiterleben…“ Der Jurist Jens Adam kann seinem Arbeitgeber gegenüber nicht länger loyal bleiben. Doch bevor er sein brisantes Material über die Plünderung der Meere und einen Auftragsmord an einem neuseeländischen Journalisten an die große Glocke hängen kann, wird er während einer Firmenfeier auf dem Deck eines Party-Schiffs erschossen. Die Chefetage hat damit ein Alibi. Dennoch kursiert ein Anklage-Video – und macht die Konzernchefin nervös. „Marex geht über Leichen und ich bin eines der Opfer… Wenn Sie das sehen, bin ich tot.“ Borowski rückt der Managerin auf die Pelle, hat aber auch ein Auge auf Adams Frau geworfen, die bei einem Ehemann, der als notorischer Fremdgeher bekannt war, zwar durchaus ein klassisches Motiv hätte, die sich Borowski aber nur sehr schwer als Mörderin vorstellen kann. Nur weil sie ihn an eine Jugendliebe erinnert?
Borowski und die Frauen – das nächste Kapitel
„Seltsamer Fall, seltsame Frauen“, sinniert der Kieler Kommissar, der selten so locker daherkam wie in „Borowski und das Meer“ – auch in Sachen Dresscode: Jeans, sportliche Outdoor-Jacke, dazu gelegentlich ein salopp gebundener Schal – da passt kein grämiges Grübeln, da kommt ein süffisantes Lächeln fast von allein. Die Beamtenseele erfährt eine Seebestattung. Auch wenn der Titel etwas hoch gegriffen ist. Mehr als einen wenig aufregenden Ausflug in die Kieler Förde gab das Budget offenbar nicht her. Das alles, insbesondere die Unterwasserfahrt mit dem Tauchschiff Jago, liest sich im Presseheft sehr viel spannender, als es sich im Film vermittelt. Besser als Titel für diesen „Tatort“ hätte sich – wie zuletzt so häufig – „Borowski und die Frauen“ angeboten. Da ist die Chefin des Rohstoffförderers, die offenbar über Leichen geht – und die Karoline Eichhorn so spielt, als ob sie auch noch ein bisschen Mensch geblieben ist. Da ist die letzte Eroberung des plötzlich moralisch erwachten Juristen, eine Ozean- und Tiefseeforscherin, die kein Alibi hat, aber die Größe des Täters. Da ist Kollegin Sarah Brandt, mit der Borowski gewohnt rücksichtsvoll umgeht, wie es ein erfahrener Chef mit einer jungen, engagierten Kollegin tun sollte, und mit der er bald ein weiteres kleines Geheimnis teilt: seine klaustrophobischen Anwandlungen. Und schließlich ist da jene Marte Adam, die er offensichtlich nicht nur freundlich umflirtet, um sie – wie er es gern bei anderen Verdächtigen tut – in Sicherheit zu wiegen,damit er sie anschließend umso leichter überführen kann. Auch der Cast dieser holden Weiblichkeit ist vielversprechend: neben Kekilli und Eichhorn dürfen sich Florence Kasumba und besonders Nicolette Krebitz, die ihre betrogene Ehefrau „leidenschaftlich“ masochistisch spielt, mit Axel Milberg im Borowski-typischen Versteckspiel zwischen Nähe und Distanz messen.
Ein Genre der begrenzten Möglichkeiten
Politkrimis wie dieser Film von Sabine Derflinger („Tatort – Angezählt“) sind kein leichtes Unterfangen, insbesondere wenn sie den Whodunit-Konventionen nicht von vornherein völlig abschwören wollen. Christian Jeltsch, sehr erfahrener „Tatort“-Autor auf dem Gebiet des Verschwörungsthrillers, hat eine Konstruktion gewählt, die ein bisschen Rätselraten ermöglicht, etwas das Kombinationsvermögen testet, die professionelle Zuschauer allerdings recht bald die „Lösung“ erahnen lassen dürfte. Die Möglichkeiten, solche systemkritischen Krimis zu erzählen, sind begrenzt, weil die dramaturgischen Muster begrenzt sind. Die Vermittlung der Rechercheergebnisse in solchen Filmen ist oft eine Gratwanderung zwischen zu belehrend und zu beliebig. In „Borowski und das Meer“ ist die Vergabe der realen Hintergrundinformationen recht gut austariert. Dafür rutschen Jeltsch etliche Ermittlerkrimi-Klischees (die typischen Alleingänge, die typischen Fragen nach dem Alibi…) durch – und Aleksandar Teslas geschniegelter Killer, ein ganz schlimmer Finger, lässt Regisseurin Derflinger haarscharf am Rande der Räuberpistole agieren. Außerdem verfährt Jeltsch bei der Dramaturgie ein bisschen sehr nach Script-Handbuch: genau nach einer Stunde nimmt der Plot seine entscheidende Wende. Und die Botschaften, Menschen mit politischem Gewissen müssen privat nicht genauso vorbildlich sein, diese moralische Wertung („was für eine Pfeife“) passt eigentlich so gar nicht zum Kombinationskünstler Klaus Borowski.
Gutes Krimi-Konstrukt, Charakterbilder nur angerissen
Christian Jeltsch arbeitet sich bei diesem „Öko-Krimi mit realem Hintergrund“ (NDR) am Genre ab. Das Ergebnis ist ein schlüssiges Konstrukt, das auch im Nachhinein an den Scharnierstellen weder klemmt noch quietscht. Eine Schlüsselrolle kommt der betrogenen Ehefrau zu. Anders als in den offen geführten Ausnahmekrimis aus Kiel bleibt „Borowski und das Meer“ über weite Strecken ein Whodunit. Entsprechend kann Nicolette Krebitz’ Rolle nicht so tief und lustvoll ausstaffiert werden, wie beispielsweise die Weibsbilder in „Borowski und der Engel“ oder „Borowski und die Frau am Fenster“. Abwechslung muss sein. Beim nächsten „Borowski“ darf es dann ruhig wieder atmosphärischer und artifizieller werden – und nichts hätten wir dagegen, wenn die neue Lockerheit des Kommissars weniger „gesetzt“ (& erdacht) erschiene, sondern ihrerseits mit mehr Leichtigkeit präsentiert würde und – wie bei Borowskis Zehnjährigem im Duett mit Lavinia Wilson – mit mehr „Ironie“ versehen wäre.