Wenn es in einem Krimi im Wesentlichen um Augenlicht geht, ist das selbstredend auch metaphorisch gemeint: weil die Ermittler ewig lange im Dunkeln tappen. Allerdings konfrontiert Autor Andreas Pflüger die Berliner Kommissare Ritter und Stark auch mit einem selten verzwickten Fall: Er schickt sie in die Welt der High-Tech-Medizin. Es geht um den größten Durchbruch in der Geschichte der Augenchirurgie: Nach jahrelangen Forschungen ist es Professor Manteuffel gelungen, einen Chip zu entwickeln, der auf die Netzhaut implantiert wird und Blinden zumindest einen Teil des Sehvermögens zurückgeben soll. Ausgerechnet am Tag der Operation aber ist Manteuffels junge Frau, die das Implantat einsetzen soll, verschwunden; sie hatte den Gatten nach einem Streit verlassen. Nutznießerin ist ihre Kollegin Mareike Andresen: Sie heimst nun den Ruhm ein. Als Motiv mag das nicht genügen, aber die beiden Frauen waren einander ohnehin verhasst, denn die Tote hatte ihrer Kollegin den Posten als Chefärztin weggeschnappt. Kompliziert wird das Beziehungsgeflecht, als sich herausstellt, dass Tim Nicolai mit der einen verlobt war und mit der anderen ein Verhältnis hatte. Er leitet das Projekt Phydra, in dessen Rahmen der Chip entwickelt worden ist. Da Forschungsgelder in Millionenhöhe auf dem Spiel stehen, muss die Operation unbedingt erfolgreich sein.
Es dauert eine Weile, bis den Kommissaren klar wird, dass bei einem Verbrechen in der Welt der Ärzte und Professoren die gleichen Motive vorherrschen wie anderswo: Eifersucht, Rache, Geldgier. Pflügers Story imponiert auf der sachlichen Ebene durch die Ergebnisse seiner offenbar sorgfältigen Recherche im Bereich der Augenchirurgie und fesselt auf der emotionalen Ebene durch die Komplexität eines Beziehungsgeflechts, in dem jeder mit jedem verbandelt ist. Jürgen Bretzingers Inszenierung hält da nicht ganz mit. Die Führung der Darsteller ist in Ordnung, aber in gefühlsbetonten Momenten lässt der Regisseur seinen Kameramann prompt Nahaufnahmen der Gesichter zeigen. Man kennt diesen „Tränen-Zoom“ aus Doku-Soaps: Wann immer dort Augen feucht werden könnten, geht es in die Großaufnahme; das ist spekulativ und hat in einem Fernsehfilm nichts zu suchen.
Davon abgesehen ist der Krimi dank seiner vielen überraschenden Wendungen jederzeit sehenswert, zumal Raacke und Aljinovic mittlerweile ähnlich eingespielt sind wie ihre „Tatort“-Kollegen aus Köln und München. Die hübschesten Szenen hat wieder Raacke, der sich großkotzig mit einer Mitarbeiterin des Forschungsministeriums zur Tanzstunde verabredet und von Stark im Revier rasch in die Rumba eingeführt wird. Der erste Tanz mit der Wissenschaftlerin ist mit der Titelmelodie aus „Love Story“ unterlegt; da ahnt Ritter noch nicht, dass die Dame genauso tief in der Sache steckt wie alle anderen. (Text-Stand: 2008)