Tatort – Babbeldasch

Folkerts, Bitter, Andresen, Axel Ranisch. Impro-Krimi ohne Perfektionsanspruch

Foto: SWR / Martin Furch
Foto Volker Bergmeister

Es ist der ungewöhnlichste und wohl auch gewöhnungsbedürftigste Film in der 46-jährigen Geschichte der ARD-Vorzeige-Reihe: Der „Tatort – Babbeldasch“ ist komplett improvisiert und das Ensemble besteht größtenteils aus Amateuren, nämlich den Mitgliedern des Ludwigshafener Laientheaters Hemshofschachtel. Regisseur Axel Ranisch ist bekannt dafür, dass er stets ohne Drehbuch arbeitet. Auch hier. So ist alles anders bei diesem “Tatort“ aus Ludwigshafen. Nur die Ermittler-Crew um Ulrike Folkerts ist geblieben. Ein mutiges, interessantes Experiment, das man aber nur phasenweise als gelungen bezeichnen kann.

An diesem „Tatort“ ist nicht nur die Tatwaffe ungewöhnlich: Es handelt sich um Mohn, und der lauert im leckeren Schokocroissant. Das Ludwigshafener Mundart-Theater Babbeldasch feiert sein 30-jähriges Jubiläum. Gespielt wird „Die Oma gibt Gas“, eine Komödie auf Pfälzisch. Im Mittelpunkt: Sophie Fetter (Marie-Luise Mott), Hauptdarstellerin und Prinzipalin des Theaters. Unter den Gästen ist auch Kommissarin Lena Odenthal. Während der Vorstellung stirbt Sophie an einem allergischen Schock. Das Ensemble ist entsetzt, die Aufführung wird abgebrochen, die Besucher nach Hause geschickt. Tags darauf findet Kriminaltechniker Becker (Peter Espeloer) heraus, dass das besagte Croissant, zusätzlich mit Mohnmasse gefüllt war. Es war Mord. Aber wer wusste, dass die beliebte Theaterleiterin derart schwer allergisch auf die Samen reagieren würde? Bäcker Oehlenschläger gerät unter Verdacht. Johanna Stern (Lisa Bitter) übernimmt den Fall, da Kollegin Odenthal Überstunden abbummeln soll. Aber Lena beginnt undercover zu ermitteln. Unter den Theaterleuten herrscht Trauer & Bestürzung, alte Feindschaften brechen auf. Sophie mischt weiter mit, sie erscheint Lena im Traum und verlangt von ihr, ihren Mörder zu finden. Johanna sammelt fleißig Indizien – und Lena gerät immer mehr in ein Zwischenreich aus Ermittlung, Bühne & Traum. Dann fliegt ihre Identität auf und ein zweites Mitglied des Ensembles wird tot aufgefunden.

Über das Theater: Die im Film gezeigte Bühne ist das Ludwigshafener Theater Hemshofschachtel. Die französisch-stämmige Prinzipalin der Hemshofschachtel, Marie-Louise „Malou“ Mott, und ihre Tochter Petra spielen auch im Krimi Mutter und Tochter. 1987 gegründet, bietet die volkstümliche Bühne mit rund 80 Sitzplätzen eine intime Zimmeratmosphäre. Vor allem Komödien werden hier in Mundart von Amateurschauspielern aufgeführt. Marie-Louise Mott kam einst von Paris nach Ludwigshafen und lernte schnell den pfälzischen Dialekt lieben.

Tatort – BabbeldaschFoto: SWR / Martin Furch.
Gleich geht’s los. Schon der Beginn zieht sich. Odenthal (Folkerts) fühlt sich auf diesem Parkett unwohl. Espeloer & Malou Mott

Die Idee zu diesem Plot, der ein wenig an den Miss-Marple-Klassiker „Vier Frauen und ein Mord“ erinnert, hatte SWR-Fernsehfilmchefin Martina Zöllner. Als Pfälzerin kennt sie das volkstümliche Theater Hemshofschachtel und die Zusammenarbeit mit Axel Ranisch, der von Kritikern gelobte, aber im Kino wenig erfolgreiche Low-Low-Budget-Filme wie sein Debüt „Dicke Mädchen“, „Ich fühl mich Disco“ und Alki, Alki“ gedreht hat, ist für sie Teil eines Modernisierungskonzepts: „Ich möchte in unseren Produktionen ein lebendigeres, authentischeres Sprechen etablieren“, sagt sie, „an Ranischs Filmen gefällt mir besonders, dass sie sehr poetisch, aber auch sehr realitätsnah und milieugetreu sind.“ Milieugetreu ist dieser „Tatort“ auf jeden Fall, denn er spielt zu weiten Teilen in einem echten kleinen Theater, dem hier nur der Name „Babbeldasch“ (= Labertasche oder Plappermaul) verpasst wurde, und die Besetzung besteht – außer dem bekannten Ermittlerteam – ausschließlich aus den Mitgliedern des Ludwigshafener Laientheaters. Dass hier authentisch gesprochen wird, ist unüberhörbar. Der pfälzische Dialekt dominiert, Ulrike Folkerts gefällt es („das versteht man wahnsinnig gut, wir werden da auf keinen Fall Untertitel drunter setzen“), für den Betrachter ist es jedoch äußerst gewöhnungsbedürftig. Es verleiht dem Krimi zwar etwas Gemütliches, Bodenständiges, gar Herzliches, wirkt auf der anderen Seite aber auch sehr bieder und brav.

Axel Ranisch bezeichnet sich bei seinem „Tatort“-Debüt nicht als Regisseur, sondern als Spielleiter. Das trifft es wohl, denn Ranisch arbeitet – gemeinsam mit seinem Improvisationstrainer und Schauspielcoach Peter Trabner – mit einem Ensemble, dessen Mitglieder größtenteils Variationen ihrer selbst spielen und ihren Text improvisieren. Es gab keine fest formulierten Dialoge, nur ein rudimentäres Drehbuch. Erst kurz vor dem Dreh einer Szene erfuhren die Akteure, was grob passieren würde. Spontan mussten sie auf das Gesagte ihres Gegenübers reagieren, entsprechend authentisch wirkt das gefilmte Geschehen. Und die Szenen wurden chronologisch gedreht, so dass niemand vor der Kamera wusste, wie sich die Story entwickeln würde – und wer der Täter oder die Täterin ist! Das hat seinen Reiz, der sich in manchen Szenen auch vermittelt, das wirkt durchaus authentisch und sympathisch. Zumeist kommt das aber hölzern und stellenweise auch dilettantisch rüber. Dass auch Profis bei der Improvisation an ihre Grenzen stoßen, wird bei der Szene im Kommissariat deutlich, wenn Kopper (der flieht in diesem „Tatort“ übrigens nach einem kurzen Auftritt gen Italien), Frau Stern, die Odenthal und die gute Sekretärinnen-Seele Keller sich am Tag nach dem Mord aus der Zeitung informieren mit Sätzen wie „die Presse übertreibt doch immer“. Natürlich kann man argumentieren, im Tatort werden seit Jahrzehnten öde Sätze wie „Wo waren sie gestern um…“ oder „Habt ihr Fingerabdrücke gefunden“ runtergeleiert. Dem etwas entgegenzusetzen, ungekünstelt, lebensnah, quasi frei nach Schnauze zu reden, ist ein interessanter, ehrenwerter Versuch. Doch am Ende zählt gerade beim „Tatort“ das Ergebnis. Und das lautet: Auch (und vielleicht gerade) bei der Improvisation kommen in „Babbeldasch“ oft nur belanglose Sätze und Allerweltsgebabbel heraus.

Tatort – BabbeldaschFoto: SWR / Martin Furch
Spielleiter Axel Ranisch. Den Charme seiner Low- und No-Budget-Filme lässt sich schwer auf den „Tatort“ übertragen. Besonders das Eigen(artig)e, das durch die Laiendarsteller entsteht, nervt bei diesem Format. Voraussetzung für Ranischs Filme ist, dass man seine ungewöhnlichen Außenseiterfiguren bereit ist zu mögen. Das aber ist bei diesen bieder-braven „Babbeldaschen“ äußerst schwierig. Mit Distanz funktionieren diese Charaktere nicht. Und Ironie ist nun mal nicht Ranischs Sache.

Man muss diesen Film als experimentellen Spaß sehen, als einen Krimi, in dem quasi live ermittelt wird. Denn selbst Ulrike Folkerts wusste bis zum Finale nicht, wer die nette Sophie gemeuchelt hat. Doch das Problem liegt darin, dass die Geschichte von Sönke Andresen („Ich fühl mich Disco“, „Ostfriesisch für Anfänger“), der mit Ranisch den groben Krimiplot entworfen, das Bildertreatment geliefert und an den Figuren gearbeitet hat, äußerst dünn ist und sich nur mühsam dahin schleppt. Es passiert fast nichts, kaum mal ein komischer Moment, der für Auflockerung sorgen könnte. Auch die eingestreuten Schmunzel-Elemente – wie etwa, wenn die derzeit allein erziehende Frau Stern für ihre Kinder ständig nach einem Babysitter sucht oder die Kleinen bei den Ermittlungen dabei hat – zünden nicht. Gefühlt dauert dieser „Tatort“ drei Stunden, man ertappt sich des Öfteren dabei, auf die Uhr zu schauen, statt sich für die Aufklärung des Falles zu interessieren. Filmisch hat der „Tatort“ seine Reize. Er wurde mit Handkameras und einer 360-Grad-Kamera gedreht, um so ganz im Sinne der Improvisation alle Ereignisse und Reaktionen einfangen zu können. Das wird gut deutlich bei der Szene, als Sophie beerdigt wird, ihre Tochter am Grab auftaucht und die Kamera einfängt, wie das Ensemble sich verhält. Neben der realen Ebene spielen Lenas Träume eine große Rolle. Ranisch liebt die fantastischen Momente, den Kontrast zwischen Traum und Realität. So taucht die Kommissarin regelmäßig ein in eine bunte Scheinwelt, die tote Sophie erscheint ihr und auch ihr Team verfolgt die Kommissarin – sogar bis zum Finale auf der Bühne. Diese Elemente sorgen für Auflockerung und geben Ulrike Folkerts neue Spielmöglichkeiten. Und noch etwas ist neu für Lena: Sie wohnt jetzt in einem schicken Loft und auch im Verhältnis zu Kollegin Stern zeigt sie ungewohnte, überraschende Seiten.

Eine „Kriminaloperette ohne Gesang“ nennt Ranisch seinen ersten „Tatort“. Nun, nicht ganz, denn bei der Beerdigung wird am Grab „Ave Maria“ gesungen. Aber sonst wird nur gesprochen. Zur Operette gehört Musik. Und die gibt es reichlich in diesem Film – von Rossini über Bartók bis Edvard Grieg. Doch meist wird geredet – und das ermüdend. Durch die Improvisation sollen größere Möglichkeiten für spielerische Momente geschaffen werden. So die Idee. Doch anders als bei dem preisgekrönten Projekt „Altersglühen – Speed Dating für Senioren“, in dem Jan Georg Schütte auch ohne festes Drehbuch gearbeitet hat und die Akteure auf höchstem Niveau improvisiert haben, sind hier eben Laien am Werk – und das sieht, hört und spürt man in nahezu jedem Moment. Für „Tatort“-Niveau reicht das nicht. So bleibt der Mut zu loben, neue Wege beim „Tatort“ zu gehen, zu experimentieren und mit den Mitteln der Improvisation zu arbeiten. Doch würde ein kurzes Treatment für einen erfolgreichen „Tatort“ ausreichen, wären künftig Autoren eher überflüssig. Wie wichtig sie sind, macht gerade dieser Versuch deutlich. Der 65. Odenthal-Krimi wollte eindeutig zu viel: Improvisation und zugleich das Arbeiten mit einem Ensemble von Laienschauspielern. Da wundert es nicht, wenn selbst Ulrike Folkerts sagt: „Ich habe mich mitunter wie auf der Schauspielschule gefühlt“. Bei über 1000 „Tatort“-Krimis ist – flapsig gesprochen – sowas auch mal drin. Es zeigt, dass die Reihe sich stets weiterentwickeln will. So muss man „Babbeldasch“ als Experiment sehen, den Klassiker neu zu beleben, aber auch als eines, das nur phasenweise geglückt ist, und nicht in Reihe gehen sollte. (Text-Stand: 31.1.2017)

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Mit Ulrike Folkerts, Lisa Bitter, Andreas Hoppe, Peter Espeloer, Annalena Schmidt sowie Schauspieler der Hemshofschachtel: Marie-Luise Mott, André Assanoff, Petra Mott, Gerd Rohrbacher, Vito Schito, Christian Borowski, Harald Dimmler

Kamera: Stefan Sommer Szenenbild Lena Moritzen

Kostüme: Stephanie Kühne

Schnitt: Susanne Heller

Produktionsfirma: Südwestrundfunk

Drehbuch: Sönke Andresen

Regie: Axel Ranisch

Quote: 6,35 Mio. Zuschauer (17,6% MA)

EA: 26.02.2017 20:15 Uhr | ARD

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