Spuren des Bösen – Liebe

Heino Ferch, Martin Ambrosch, Andreas Prochaska. Entschleunigte Hochspannung

Foto: ORF / Petro Domenigg
Foto Rainer Tittelbach

Auf den Grimme-gekrönten Autor Martin Ambrosch und Regisseur Andreas Prochaska ist Verlass. Auch zum fünften Mal setzen sie in der ORF-ZDF-Krimireihe „Spuren des Bösen“ auf ihren existentialistischen Realismus mit der so typischen entschleunigten Erzählweise und setzen damit dem TV-Krimi ein weiteres Glanzlicht auf. Der Schauplatz von „Liebe“ ist Wien; die Welt des „Helden“, seine Perspektive sind das Maß aller Dinge. Hier passt wieder mal alles zusammen: vom Plot bis zur Mikrogeste, vom Subtext bis zur introvertierten Klangwelt des Scores, vom feinsinnigen Spiel Heino Ferchs bis zur Moll-Tonart & der bewegt-bewegenden Kameraarbeit, vom unterschwelligen Schmäh bis zur Farb- und Lichtdramaturgie.

Ein Mann in Schockstarre. Gerade hatte er noch eine Pistole auf seinen Nebenbuhler gerichtet. Klaus Willer (Hary Prinz) hat sich in seinem Haus verschanzt. Bisher war er ein unauffälliger Nachbar, ein ganz normaler Bürger. Weil der neue Liebhaber von seiner Ex, Konstantin Steinmann (Christoph Luser), dennoch das Schlimmste befürchtet, hat er die Polizei verständigt. Das MEK und der ermittelnde Inspektor Gerhard Mesek (Juergen Maurer) rücken an, doch Willer will nur mit dem Psychologen Richard Brock (Heino Ferch) reden. Sie waren Schulfreunde. Brock geht ins Haus. Auf dem Boden liegt die blutige Leiche der Ex-Freundin; sie war schwanger von Steinmann. „Ich war es nicht, ich habe die Lisa echt geliebt“, stammelt Willer. Brock kann ihn beruhigen und zum Aufgeben überreden, verspricht aber, ihn nicht im Stich zu lassen. Während Willer den Mord gesteht und wenig später sein Geständnis widerruft, schaut sich Brock in Steinmanns Umfeld um: Mit zwei Männern (Maximilian Brückner, Stefan Pohl) und drei Frauen (Cordelia Wege, Emily Cox, Cornelia Ivancan) wohnt der Student in einer kommunenartigen Gemeinschaft und lebt den Traum von Freundschaft und freier Liebe. Das Projekt finanziert ausschließlich Steinmann mit seinen vor zwei Jahren geerbten Millionen. Brock ist misstrauisch, hakt nach und gerät in Lebensgefahr.

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Brocks Jugendfreund (Hary Prinz) wird festgenommen, nachdem er aufgegeben hat.

Auf Drehbuchautor Martin Ambrosch („Tatort – Angezählt“, Grimme-Preis 2014) und Regisseur Andreas Prochaska („Das finstere Tal“) ist Verlass. Auch zum fünften Mal setzen sie in der ORF-ZDF-Krimireihe „Spuren des Bösen“ auf ihren – man könnte sagen – existentialistischen Realismus mit der für sie so typischen entschleunigten Erzählweise in die Tiefe (der Psyche) und setzen damit dem Krimi-Genre im deutschen Fernsehen ein weiteres Glanzlicht auf. So fiebrig die erste Szene, so grundentspannt und weitgehend Action-frei ist der Rest des Films, der ganz einfach „Liebe“ heißt. Prochaska & Co senken geschickt das Reiz-Niveau, versetzen mit ihrer reduzierten Geschichte und einem überschaubaren Personal, das nach 25 Minuten vollständig eingeführt ist, quasi auch den Zuschauer in einen Zustand höchster Konzentration. Wofür andere Geschichtenerzähler ein Vielfaches an Personal, an Schauplätzen und Handlungsapparat benötigen – das gelingt Prochaska mit kleinem Besteck. Und wenn es dann doch einmal „kracht“ wie in einer Szene, in der Brock (in Bildern mit reduzierter Wahrnehmbarkeit: der Raum ist dunkel, die Bildausschnitte sind stark begrenzt) Opfer eines Anschlags wird, dürfte der emotional-dramatische Effekt beim Zuschauer größer sein als wenn Til Schweiger & Konsorten zu den Schnellfeuerwaffen greifen.

Dieser ungewöhnliche, die Wahrnehmung stimulierende Erzählstil korrespondiert aufs Vortrefflichste mit dem Helden der Geschichte(n): Richard Brock ist Psychologe, Kopfmensch, ein Beobachter, der Zeit braucht, um seine Schlüsse zu ziehen. In anderen Fällen hatte er diese Zeit nicht; in einem Entführungsfall beispielsweise zählt jede Minute. Dieses Mal aber, kann er dem Fall seinen eigenen Rhythmus geben. Der Tatort ist Wien; außerdem wird Brock dieses Mal nur sporadisch in die Ermittlungen mit einbezogen. Dass er den Kommunarden auf die Pelle rückt, ist eher ein Freundschaftsdienst auf Basis seines Versprechens. Offenbar ist auch keine Gefahr in Verzug. Dennoch dürfte sich Brock am Ende zumindest einige Vorwürfe machen… Wie immer ist dieser einsame, so gut wie beziehungslose Mann das Maß aller Dinge. Mit ihm bewegt sich der Zuschauer durch die Stadt, seine Perspektive ist es, die einen die Welt und den Fall erschließen lässt. Da dieser Einzelgänger sich und sein Handeln nur selten jemandem erklärt (ähnlich wie Matthias Brandts von Meuffels im „Polizeiruf 110“), rückt der Zuschauer in die Rolle des stillen Beobachters. Da kann er in „Liebe“ auch wieder vieles mitnehmen, was Brock betrifft: Zwar hat er es geschafft, umzuziehen, aber eingerichtet ist er noch nicht, macht auch keine Anstalten, es zu tun. Dieser Mann macht für einen Psychologen angenehm wenig Worte. Lakonisch ist der Umgang mit seinen Mitmenschen. Aber ehrlich: „Danke – dass du mich aushältst“, sagt er zu seiner Tochter ohne eine Spur Koketterie. Großartig wie drei, vier kurze Szenen eine psychische Zustandsbeschreibung dieses Mannes geben: Neben den Situationen mit der Tochter enthält der Film wunderbare Momentaufnahmen zwischen dem Psychologen und dem Wirt seines Stamm-Cafés, der ihn zum Essen einlädt und ihn ahnen lässt, was es heißt, mit jemandem Gedanken und Gefühle zu teilen; im Vorbeigehen trifft er seine Ex („Du fehlst mir“); und auch der kurze Dialog mit seiner Haushälterin ist erhellend & launig zugleich. Sie: „lauter Nackerte.“ Er: „Meine Nackerten gehen Sie nichts an.“ Sie: „Dann löschen Sie halt den Verlauf.“ Er: „Ich geh duschen.“ Sie: „Mein Cousin war auch sexsüchtig.“ Er: Ich nicht.“

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Brock (Heino Ferch) ist nur aushilfsweise für Kommissar Mesek (Juergen Maurer) tätig.

„Immer ist es düster, mal eher grau, mal eher blau, während die Umrisse zweier Verbrechen sichtbar werden und eines Finales, das Recht und Gerechtigkeit unmöglich macht. Dass man trotz der ausgestellten Ereignisarmut und Bedächtigkeit, mit der sich das Geschehen entfaltet, immer weiter zuschauen mag, wäre ohne einen Schauspieler wie Heino Ferch und einen Kameramann wie David Slama schwer vorstellbar.“ (Ursula Scheer, FAZ)

„Es gibt Gefängnisse, die haben gar keine Mauern. Und trotzdem kommt niemand raus“ (Psychologe Richard Brock)

Mehr braucht es nicht, um Liebe, Sex und Freundschaft, die der Film eher beiläufig zu seinen Themen macht, von des „Helden“ Seite her zu beleuchten. Formal gesehen sind die Krimi-Dramen aus der „Spuren-des-Bösen“-Reihe mit ihrem minutiösen „Sekundenstil“ und einem Psychologen, der „versucht, einzelnen Menschen zu helfen“, dabei aber sich selbst seelisch vernachlässigt, ja sowieso immer auch „Beziehungsfilme“. Und so hat man am Ende von „Liebe“ einmal mehr den Eindruck, als ob hier einfach mal wieder alles (zusammen) passt – vom Plot bis zur kleinsten Geste, vom Subtext der Geschichte bis zur introvertierten Klangwelt, die der Score entwirft, vom feinsinnigen Spiel Heino Ferchs bis zur Moll-Tonart und der bewegt-bewegenden Kameraarbeit, vom unterschwelligen Witz bis zur Farb- und Lichtdramaturgie. Das ist Verlässlichkeit auf höchstem Niveau. (Text-Stand: 27.1.2016)

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Reihe

ORF, ZDF

Mit Heino Ferch, Hary Prinz, Christoph Luser, Maximilian Brückner, Juergen Maurer, Cordelia Wege, Emily Cox, Cornelia Ivancan, Sabrina Reiter, Gerhard Liebmann, Stefan Pohl

Kamera: David Slama

Szenenbild: Verena Wagner

Schnitt: Daniel Prochaska

Musik: Matthias Weber

Produktionsfirma: Aichholzer Filmproduktion

Drehbuch: Martin Ambrosch

Regie: Andreas Prochaska

Quote: 5,07 Mio. Zuschauer (15,2% MA)

EA: 29.02.2016 20:15 Uhr | ZDF

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