Aus einer Rache-Aktion wird ein Kampf ums eigene Überleben
Aus dem entspannten Vorruhestand wird nichts: Der ehemalige LKA-Beamte Frank Hennings (Heiner Lauterbach) muss sich auf einen Rachefeldzug begeben. In Berlin hat er bei einem Bombenanschlag Frau und Tochter verloren, in Marokko trifft er nun auf den vermeintlichen Schuldigen: Sharif Nader (Michele Cuciuffo), ein steinreicher Geschäftsmann mit guten Kontakten nach Deutschland und ebenso zu islamistischen Terrornetzwerken. Weil das BKA den Fall eingestellt hat, will Hennings, Zeit seines Lebens Schreibtischtäter, die Sache selbst in die Hand nehmen. Als Privatlehrer für dessen 13jährige Tochter Yasmin (Maya Lauterbach) findet er Zugang zu Nader, der sich europäisch und weltmännisch gibt. Der Deutsche besorgt sich eine Waffe – und wartet auf eine günstige Gelegenheit, um den Marokkaner zu erschießen. Doch Naders Anwesen gleicht einem Hochsicherheitstrakt und jeder Schritt von Hennings wird vom Sicherheitspersonal genauestens überwacht. Als seine Tarnung aufzufliegen droht, bekommt er überraschenderweise Schützenhilfe aus Deutschland. Hennings Freund Martin Ritzenhoff (Uwe Preuss) hat die coole Bille Ritter (Julia Thurnau) vom BKA um Intervention gebeten. Doch plötzlich wird die Lage völlig unübersichtlich. Nader wird Opfer eines Anschlags, der mit einem Blutbad endet. Wer es angerichtet hat, ist nicht ersichtlich. Hennings kann entkommen, in seinem Schlepptau Naders Teenager-Tochter. Das Mädchen hat ein Notizbuch ihres Vaters bei sich: für beide die beste Lebensversicherung.
Leichen pflastern den Weg eines Verwaltungsbeamten
Für einen Verwaltungsbeamten macht jener Frank Hennings im ARD-Zweiteiler „Spuren der Rache“ zunehmend eine gute Figur. Kämpft Heiner Lauterbachs blindwütiger BKA-Mann a.D. in der ersten Filmstunde vor allem gegen die innere Erregung und die marokkanische Hitze an, findet er im Überlebenskampf, bei dem er seine Rolle als Vater wiederentdeckt, zu immer größerer Souveränität. Dennoch scheint der Schauspieler, der zuletzt mit Rollen wie „Harms“, „Wir sind die Neuen“ oder „Letzte Ausfahrt Sauerland“ nachhaltig beweisen konnte, dass er nicht das mimische Leichtgewicht ist, für das ihn viele Kritiker seit Jahren halten, hier seine Reputation wieder ein Stück weit zu verspielen. Das könnte man jedenfalls annehmen, wenn man sich die Geschichte vor Augen führt: Denn diese „Spuren der Rache“ tragen Spuren von Kolportage. Um seine Rachegelüste (die man im Rahmen des Genres einfach mal als gesetzt nehmen muss) zu befriedigen, wird der Held von Berlin nach Tanger, dann nach Spanien und schließlich wieder zurück in die Hauptstadt geschickt. Der gelegentliche dramaturgische Leerlauf, der sich aus dieser an einem einzigen dünnen Faden aufgezogenen Geschichte ergibt, wird dafür mit einigen actionhaltigen Gewalt-Intermezzi knallig kontrastiert.
Gewalt, Moral-Diskurs und Lauterbachs markantes Spiel
Ab der Mitte des zweiten Teils reißt die Blutspur ab. Wieder in der Heimat, die Haut gerettet, gerät die Aufklärung in den Fokus, schließen sich die politischen Erklärungen für die Gewalttaten an. Überhöht und goutierbar gemacht für ein (erhofftes) Millionenpublikum werden die vagen realpolitischen Bezüge der Geschichte durch einen simplen Moral-Diskurs, den die 13jährige Begleiterin des einsamen Rächers schon während des Aufenthalts in Spanien zu beginnen versucht – als sie erfährt, weshalb dieser Mann ins Haus ihres Vaters gekommen ist. Alles in allem ist „Spuren der Rache“ eine dramaturgisch einfach gestrickte Heldenreise im Thriller-Gewand, ein linear erzählter Überlebenstrip mit aufgesetzter Friedensbotschaft, bei dem sich der Zuschauer mit dem Helden bzw. mit dem ungleichen Heldenpärchen anfreunden muss, will er dem Zweiteiler 180 Minuten lang die Treue halten. Und hier schließt sich der Kreis zu Heiner Lauterbach: Mit seiner markanten Physiognomie, die lange die Spannung halten kann, gelingt es ihm mit reduzierter Mimik, die zahlreichen handlungsarmen Momente zu überbrücken, aber auch in atmosphärischen Bilderfolgen, wenn Regisseur Nikolai Müllerschön den Helden in Autorenfilm-Manier stumm handeln lässt, ist der Schauspieler in der Lage, den undramatischen Erzählton zu stützen. Einfacher ausgedrückt: Lauterbach ist ein Typ, der auch gegen schwächere Drehbücher und eine wenig inspirierte Inszenierung in der Lage ist, erfolgreich anzuspielen. Dass die Tochter seines Erzfeindes von seiner eigenen Tochter Maya gespielt wird, ist ein Besetzungscoup, von dem sich die Macher einen Publicity-Effekt versprochen haben werden; diese Besetzung ist aber auch für den Film keine schlechte Wahl. Sicher mag es bessere Schauspielerinnen in dem Alter geben, aber Maya Lauterbach macht bis auf ein, zwei etwas überzogen trotzige Reaktionen („Ich hoffe irgendjemand schießt ihnen irgendwann eine Kugel in den Kopf“) auf den dramatischen Konflikt (dieser Mann wollte ihren Vater umbringen) ihre Sache für eine „Anfängerin“ gut.
Dialogschwächen, dramaturgische Zufälle, gute Bildsprache
Dass die Schauspieler überzeugen, ist alles andere als selbstverständlich bei den Sätzen, die ihnen hier teilweisen in den Mund gelegt werden, wie „Dein Vater war ein Mörder, Yasmin – ob dir das passt oder nicht, das ist mir egal“ oder „Überall ist es besser als da, wo Sie sind“. Gegen Ende werden die Dialoge grundsätzlicher, aber nicht unbedingt besser: „Wir rechnen Tote gegeneinander auf; wir opfern Menschen, um Hunderte oder Tausende retten zu können“, darf Uwe Bohms BND-Mann die Arbeit seiner Behörde interpretieren. Dass bei solchen Einer-gegen-alle-Geschichten der Zufall immer mitspielen muss, damit diese narrativen Konstruktionen aufgehen, mag ein kleineres Übel sein, das man bei solchen großspurigen Genrefilmen in Kauf nehmen muss: Welch eine glückliche Eingebung, dass der Held, nachdem er sieht, dass sein „Zielobjekt“ eine Teenager-Tochter hat, ihn auf die Internetseite „Agentur für Privatlehrer“ gehen lässt, und was für eine wundersame Fügung, dass die Hauslehrerin der Nader-Tochter sich gerade in den Ruhestand verabschiedet hat. Und auch die blutige Tragödie braucht die Koinzidenz der Ereignisse – und so trifft ein weiblicher Killer zeitgleich mit Hennings Freund in dem spanischen Dorf ein, in dem der Held untergetaucht ist. „Ja, irgendwie hängt das alles zusammen.“ Dieser banale Dialogsatz stimmt, irgendwie zumindest! Dass für diesen Plot, diese Dramaturgie und vor allem diese Dialoge der dreifache Grimme-Preisträger Holger Karsten Schmidt verantwortlich ist, mag man nur schwer glauben. Er firmiert hier unter „Klaus Burck“, so heißt Schmidts Held seines zweiten Romans, „Auf kurze Distanz“. Dass der renommierte Autor seinen Namen zurückzog, liefert Anlass für allerlei Spekulationen. Hat Schmidt vielleicht die Umsetzung des Drehbuchs durch Regisseur Müllerschön nicht gefallen? An der Besetzung, dem authentischen Umgang mit Fremdsprachen (die Untertitelung, wenn Einheimische untereinander reden) und einem gewissen Realismus in der Bildsprache, der gelegentlich etwas Arthaus-mäßiges an sich hat, jedenfalls kann es nicht gelegen haben – das alles gehört zu den Stärken von „Spuren der Rache“. Dagegen gehört das Inszenieren von Spannung – nicht ganz unwichtig für diesen Film – eher nicht zu den Stärken von Nikolai Müllerschön. (Text-Stand: 12.12.2016)