Berthold Geier, ein nobler Herr um die 80, wohnt in einem Pflegeheim. Er ist Melancholiker, aber alles andere als lebensmüde. Als der ehemalige Koch in der Heimküche Hand anlegen darf, lebt er richtig auf. Umso mehr bricht er in sich zusammen, als ihm die Aufsichtbehörde diese angenehme Abwechslung untersagt. Und so rührt er sich eines Nachts einen tödlichen Schlummertrunk. Herr Geier ist einer von mehreren Heiminsassen in dem Fernsehfilm „Späte Aussicht“, denen die Würde und das letzte Bisschen Freude am Leben genommen wird. Sein Schicksal zeigt, wie es oft läuft in deutschen Pflegeheimen. „Der menschlichen Situation wird stets nur mit Verordnungen begegnet“, sagt Drehbuchautorin Ariela Bogenberger. „Darin spiegelt sich die Verdrängung, die unsere Gesellschaft der letzten Lebensphase und dem Tod entgegenbringt.“ Sie weiß, wovon sie spricht. Sie hat selbst in der Altenpflege gearbeitet.
„Reglementierungen dienen immer nur dem Ablauf im Heim“, weiß Bogenberger. „Warum können die alten Menschen nicht ausschlafen?“, hat sie sich während ihrer Dienste in Altenheimen stets gefragt. Es gebe vieles, was man besser machen könnte in der Altenpflege. Kleinere Wohneinheiten, weniger Zwänge und mehr auf die Wünsche der alten Menschen achten, das ist die Richtung, in die neuere Therapieansätze gehen. Das Heim im Film sei noch eines der besseren Sorte. „Der Alltag in vielen Pflegeheimen ist noch sehr viel trauriger“, sagt Bogenberger, „aber das will sich ja sicher keiner anschauen.“ Die Autorin wollte vom Leben in Pflegeheimen erzählen und ein wenig nachdenklich machen, „ohne die Dampfhammer-Methode“, wie sie sagt, sondern lieber leise, wahrhaftig. „Eine kleine Geste, das Nehmen oder Loslassen einer Hand, ist mir wichtiger, als das Thema Tod dramatisch auszuspielen.“
Foto: HR / Krause-Burberg
In „Späte Aussicht“ geht es um die alten Menschen, die auf ihre letzten Tage aussortiert werden aus dem „normalen“ Leben der produktiven Bevölkerung. Dass Schauspieler wie Ernst Stankovski als Geier, Rosemarie Fendel, Heinz Baumann oder Veronika Fitz, im übrigen die Mutter von Ariela Bogenberger, die Rollen der Alten übernommen haben, ist ein Indiz dafür, dass es dem HR ernst ist mit dem Thema. Der Film zeigt auch die andere Seite: die Heimleitung, die den personellen Notstand verwalten muss, und überforderte Pfleger, die immer wieder an ihre Grenzen stoßen. Um die Identifikation mit dem Gezeigten zu erhöhen, hat die Autorin einen dramaturgischen Trick gewählt: Eine junge Auszubildende (Anna Maria Mühe) will hinschmeißen, doch ihr Vater (Herbert Knaup), ein erfolgreicher Manager, will mit gutem Beispiel voran gehen: Er wettet mit der Tochter, dass er es 2 Monate als Pflegehelfer in ihrem Altenheim problemlos aushalten wird. Bogenberger: „Mir ging es darum, jemanden mit dem Thema Lebensende zu konfrontieren, der es für gewöhnlich vermeidet, über den Tod nachzudenken, obwohl er mit Anfang 50 vom Alter nicht mehr so weit entfernt ist.“
„Späte Aussicht“ ist Ariele Bogenbergers zweites Drehbuch. Ihr erstes bescherte ihr, der ARD und den anderen Beteiligten, allen voran Monica Bleibtreu, einen Preissegen. „Marias letzte Reise“, ein Film über eine Sterbebegleitung einer eigenwilligen Krebskranken, war fraglos eines der Fernsehereignisse 2005. „Der Film hat mir die Türen geöffnet, ist aber auch eine Last.“ Dass der Erfolg nicht zu toppen sein wird, weiß Bogenberger. Sie hat es auch gar nicht erst versucht, sondern hat sich sehr integer einem schweren Thema angenommen.