Keine Grenzen, keine Lügen: Seitensprünge unter Aufsicht des Partners
Sex mit anderen Paaren? Paul (Samuel Finzi) versteht die Welt nicht mehr. „Wir sind erwachsen, wir sind verheiratet, wir haben ein wundervolles Leben“, beschwört der renommierte Chirurg seine Ehefrau Julia (Aglaia Szyszkowitz). Doch der gehen die Worte von Vanessa (Caroline Peters), der Freundin von Pauls bestem Freund Marc (Fritz Paul), nicht aus dem Sinn: „Das hat unsere Beziehung völlig verändert – Marc und ich sind uns wieder völlig vertraut.“ Weshalb sollte das, was bei ihren Freunden nach zehn Jahren so prächtig klappt, nicht auch die 16jährige „glückliche Ehe“ von ihr und Paul sexuell beleben, fragt sich Julia. Besser jedenfalls als heimliche Seitensprünge und Affären! Denn die Swinger-Erfahrungen stärken offenbar nicht nur die Libido, sondern steigern auch die Lebenslust und das gegenseitige Vertrauen. Paul leuchtet das zwar nicht ganz ein, aber Julia setzt ihn so sehr unter Druck, dass er zögerlich einer Probeparty zustimmt. Die bestätigt ihm, dass dieses ach so lockere Lustleben nichts für ihn ist. Wäre besser als Sex mit Fremden vielleicht Sex mit Freunden, mit den besten Freunden? Die Frauen glauben, dass das eine sehr gute Idee ist. Die Männer sind da eher skeptisch. „Das ist nichts für Paare, bei denen es nicht optimal läuft“, gibt Marc zu bedenken. Und Paul weiß zwar immer noch nicht, wofür das Ganze gut sein soll, aber er weiß auch, dass Julia keine Ruhe geben wird, und ganz so abgeneigt, mit der temperamentvollen Vanessa zu schlafen, ist er auch nicht mehr. Also gut, überredet!
Die Unlust im Ehebett zieht abendfüllend ins öffentlich-rechtliche Fernsehen ein
Mit Sex als Thema eines Fernsehfilms ist es ähnlich bestellt wie mit dem Sex in den vielen „guten Ehen“. Die vermeintlichen Höhe- oder Tiefpunkte der Lust sind gelegentlich gerade noch gut als Beigaben für Beziehungsdramen („In der Falle“) oder fidele Ehekomödien, („Seitensprung“) und sie taugen für des Deutschen Lieblingsgenre als kriminelle Motive, als Morde aus Leidenschaft oder als krankhaft kanalisierter Trieb („Mord in Ludwigslust“). „Seitensprung mit Freunden“ ist von daher eine Rarität im Fernsehfilm der 2010er Jahre. Insbesondere auch, weil das Thema Sex in dem ARD-Fernsehfilm befreit wird aus der jungen Kuschelzone der Privatsender, wo es bis vor zehn Jahren im Züge von „Sex and the City“ mit Komödien wie „Sex & mehr“, „Popp dich schlank“ oder „Die Nacht, in der ehrlich überhaupt niemand Sex hatte“ immer mal wieder Versuche gab, Romantik mit Sex Talk und einem Schuss optischer Erotik augenzwinkernd zu würzen. Nun zieht die Unlust im Ehebett abendfüllend ins öffentlich-rechtliche Fernsehen ein. Und wer glaubt, in dieser Komödie, die Regisseur Markus Herling („Opa, ledig, jung“) so inszeniert, dass man kaum wahrnimmt, hier einem Kammerspiel beizuwohnen, würde das Thema nur verdruckst in Boulevard-Manier abgehandelt, um am Ende nur wieder das Hohelied auf die monogame Beziehung zu singen – der sieht sich aufs Angenehmste enttäuscht. Auch wenn sich dieser Seitensprung unter Aufsicht des Partners tatsächlich als ein Spiel mit dem Feuer entpuppt und erwartungsgemäß kein Glück bringen wird und auch wenn sich im Schlussbild der Bauch einer der Hauptfiguren verdächtig wölbt (was durchaus die Möglichkeit geben würde für eine Fortsetzung, die die Freundschaft des Quartetts noch einmal ganz anders auf die Probe stellen könnte), zwischen Filmen wie „Ich schenk’ dir einen Seitensprung“ (2002), „Treuepunkte“ (2008) oder „Rosamunde Pilcher – Lizenz zum Seitensprung“ (2016) und „Seitensprung mit Freunden“ liegen Welten. Der letzte TV-Film, der das Bäumchen-wechsel-dich-Spiel auf ähnlich lebenskluge Weise, aber mit weniger erotischer Direktheit erzählt hat, ist „Die Verzauberung“ (2007) mit Christoph Waltz, Katharina Abt, Katharina Müller-Elmau und Heio von Stetten. Im selben Jahr gab es launig, aber ohne Tiefgang im ZDF den Film „Partnertausch“, auch gut besetzt mit Bjarne Ingmar Mädel, Christina Große, Nadeshda Brennicke und Pierre Besson.
Soundtrack: Nina Simone („Tomorrow is my Turn“), Frederic Auger („Tears of Gold“), Krewella („Enjoy the Ride“), Oystar („Not quite Cigarettes & Alcohol“), Michael Pras feat. ODB & Mya („Ghetto Superstar“), Moby („Lift me up“), Dvine Brothers („Morning Breeze“), Micatone („Handbrake“), Mahala Rai Banda („Mahalageasca“), Laetitia Frenod („Be yourself“), Henri Salvador („Mademoiselle“)
„Ich weiß nicht, warum ich mich so angestellt hab’“: alle zufrieden – tatsächlich?
Im Gegensatz zu jenen Filmen, die den Seitensprung als Gift für die von ihnen propagierte Romantik sehen und die allenfalls noch ein kleines Seitentürchen offen lassen für Zuschauer, die auch gern einmal ausbrechen und über die Stränge schlagen würden, setzen sich die vier Figuren durchaus ernsthaft mit dem Thema auseinander. Das ist möglich, weil sie keine Pappkameraden weder einer alles bestimmenden Moral noch einer übermächtigen Dramaturgie sind. Im ersten Drittel des Films werden die beiden Novizen mit dem Gedanken vertraut gemacht, dass Sex mit Fremden bes(ch)wingt. Sie glaubt es sofort. Er braucht das alles nicht. Die Pool-Party, mit Uwe Ochsenknecht und Lore Richter bewusst überzogen als Swingerclub-Karikatur inszeniert („Du bist so heissss“), bestätigt beide. Dann arbeiten die drei vom geplanten Seitensprung mit klaren Absprachen („alle zusammen unter einem Dach“) Überzeugten daran, den Widerwilligen zu dem „Experiment“ zu verführen. „Du musst es nur einfach zulassen“, versucht die Freundin seines Freundes den Schüchternen zu enthemmen. Es folgt ein „Probelauf“ zu viert, der am nächsten Morgen in der überraschenden Erkenntnis des Bremsers gipfelt: „Es war großartig… Ich weiß nicht, warum ich mich so angestellt hab’“. Die Stimmung droht zu kippen, als ausgerechnet der experimentierfreudigen Gattin plötzlich Zweifel kommen, ob die Nacht mit den Freunden wirklich eine gute Idee war. Was sie gemeint haben könnte, fabuliert schließlich das Schlussdrittel amüsant aus: Jetzt ist nicht mehr wie zu Beginn der konservative Chirurg verwirrt & verunsichert, sondern ausgerechnet die, die das Karussell der Triebe in Gang setzte, wird plötzlich von rasender Eifersucht gepackt. Und Marc kann sich nur wiederholen: „Damit kannst du keine Ehe retten.“
Eine gute Komödie: „anschlussfähig“, überzeugende Charaktere, sexy-Ensemble
Auch wenn das Partnertausch-Prinzip unter Freunden erwartungsgemäß im Film auf Dauer kaum von allseitigem „Gewinn“ gekrönt sein dürfte, so hat man allerdings nicht den Eindruck, als wollten die Macher uns eine Lehre geben und jene, die da vor dem Fernseher sitzen, in der Hoffnung wiegen, dass mit deren Ehen alles in allerbester Ordnung sei. Dass der Film als Komödie so gut funktioniert, liegt sicherlich daran, dass das, was er verhandelt, durchaus „anschlussfähig“ ist (es bleibt zu hoffen, dass die Zuschauer dazu bereit sind und nicht zum ZDF-Krimi flüchten). Und das wiederum resultiert aus den überzeugenden Charakter-Zeichnungen der vier Protagonisten. Auf den Punkt gebracht: Paul ist ein intelligenter Zeitgenosse, emotional zurückhaltend, etwas schüchtern, der seinen Beruf und die Kontinuität in seinem Leben liebt. Julia hat sich an dieses Muster angepasst, sie hat aber manchmal das Gefühl, in ihrer Sturm-und-Drang-Zeit „zu wenig ausprobiert zu haben“. Vanessas Lebensentwurf war dagegen immer schon sehr viel offener – „für alles und jeden“, wie Marc lächelnd ergänzt. Er ist ein lockerer Typ, einer, für den das Leben ein Spiel ist. So nimmt er es seinem besten Freund auch nicht lange übel, dass dieser beruflich immer allein die Meriten einstreicht, obwohl sie doch ein Team sind. Die vier sind Charaktere einer „erwachsenen“ Komödie, und sie sind viel mehr als die Erfüllungsgehilfen der Zeitgeist-Autorin Silke Neumayer, die das Drehbuch nach dem Originalscript von Juan Vera und Daniel Cúparo zu dem argentinischen Film „Dos más Dos“ entwickelt hat. Dazu kommt ein vortrefflich gecastetes, im Zusammenspiel traumwandlerisch sicheres Ensemble voller Esprit: Aglaia Szyszkowitz darf ihr einzigartiges Lächeln auflegen, Fritz Karl schlüpft nach seinem Kaputt-Bullen in „Zum Sterben zu früh“ mal wieder in die Rolle des attraktiven Charmebolzen und Caroline Peters vereint wundervoll das Laszive mit etwas Ironie. Und Samuel Finzi, der hier – anders als sein Flemming – nicht der Mann vom Abschleppdienst ist, dürfte jenen braven Pantoffelhelden vor den Fernseher ein sympathisches Sprachrohr geben. „In ihrer Tragikomik schafft die Figur von Paul in einer komprimierten Form eine Wahrhaftigkeit zu erzeugen, die sehr ansteckend ist“, nährt auch Finzi die Vermutung, dass dieser irgendwie ganz normale Mann die Schlüsselfigur von „Seitensprung mit Freunden“ ist. (Text-Stand: 31.1.2016)