Sein gutes Recht

Wied, Habich, Krumbiegel, Wiersch, Kleefeld. Krank werden ist nichts für Feiglinge

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Foto Rainer Tittelbach

Der Fernsehfilm „Sein gutes Recht“ von Grimme-Preisträgerin Isabel Kleefeld nach dem Buch von Marco Wiersch spielt bis in die letzte Konsequenz durch, was passieren kann, wenn die Betreuungsfalle zuschnappt und man als Betroffener an einen Anwalt gerät, der seine Aufgabe wenig verantwortungsvoll erfüllt. Das ZDF-Drama bringt dem Zuschauer das Thema, die gesellschaftspolitische Dimension einer Krankheit, die den Betroffenen in die Entmündigung führen kann, emotional nahe. Ein gut gespielter, moralischer Themenfilm, dessen Dramaturgie etwas sehr dem aufrechten Gang vertraut. Bürokratie in auffallend frischer Filmsprache.

Über 50 Jahre ist es her, da machten Max und Leni gemeinsam Tanzstunde und waren verliebt ineinander. Jetzt sind sie alt und allein – sind sie sich zufällig wieder begegnet. Sie ist verwitwet, hat ihren Mann vier Jahre gepflegt. Er ist zweifach geschieden, mit seinem Sohn hat er sich überworfen. Sie hat Nachholbedarf, was Leben angeht. Bei ihm zeigen sich erste Anzeichen von Demenz. Dennoch will Leni Max bei seiner Krankheit begleiten und sie will ihm auch eine Hilfe sein in der Auseinandersetzung mit seinem Betreuungsanwalt, der auf Betreiben der Nachbarn per Gerichtsbeschluss eingesetzt wurde. Dieser kommt seiner Betreuerpflicht nur unzureichend nach. Aber wie will das eine fast 70jährige Frau beweisen? Die zuständige Richterin jedenfalls sieht in Sachen Betreuerwechsel keinen Handlungsbedarf. Den aber sieht die Kanzlei nach einer Panikattacke von Max, bei der die Hauspflegerin verletzt wurde. Der wohlhabende Mann muss in ein Heim, obwohl er sich Zuhause eine Rundumbetreuung leisten könnte. Denn die Kanzlei hat andere Pläne: die Villa steht zum Verkauf. Weit unter Marktwert. Wieder schaltet sich Leni ein. Doch der lästigen Seniorin droht nun ein ähnliches Schicksal wie Max. Auch sie soll unter Betreuung gestellt werden.

Sein gutes RechtFoto: ZDF / Willi Weber
Die Aussetzer häufen sich. Leni (Thekla Carola Wied) muss erkennen, dass sich bei Max (Matthias Habich) eine Demenzerkrankung ankündigt. „Sein gutes Recht“

Alt werden ist nichts für Feiglinge. Wenn eine Krankheit hinzukommt, wird es ganz bitter. Der Fernsehfilm „Sein gutes Recht“ spielt bis in die letzte Konsequenz durch, was passieren kann, wenn die Betreuungsfalle zuschnappt und man als Betroffener an einen Anwalt gerät, der seine Aufgabe wenig verantwortungsvoll erfüllt und stark von pekuniären Eigeninteressen geleitet wird. Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive der Freundin, die den Institutionen auf die Pelle rückt und die schon mal übers Ziel hinausschießt. Auch spielen die Aussetzer und heftigen Halluzinationen den Anderen immer wieder in die Karten. Der Film ist durchaus informativ, aber vor allem will er das Thema, die mögliche gesellschaftspolitische Dimension einer Krankheit, die den Betroffenen in die Entmündigung führen kann, dem Zuschauer entsprechend emotional nahebringen. Dazu gehört auch, dass das Gefühl der Ohnmacht in die Geschichte eingeschrieben ist. Während Max fast teilnahmslos der Willkür des Betreuungsanwalts begegnet, dem bald auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen wird, begehrt Leni gegen das zutiefst empfundene Unrecht auf. In dieses Gefühl der Ohnmacht schließt sie den Zuschauer mit ein, der intuitiv auf „Bestrafung“ aus ist. Doch im Kampf mit den Institutionen sind ihr die Hände gebunden. Dass der Film auf der Zielgeraden – gemessen am Demenzthema – einem Teil-Happy-End zusteuert, ist aus der Zwei-Alte-gegen-alle-Dramaturgie heraus verständlich. Dieser Herzblut-Einsatz für das Freundeswohl braucht schon ein bisschen Märchen. Und so kommen nach und nach Verbündete hinzu. „Sein gutes Recht“ endet mit einem Gerichtsverfahren und mit einem Schlussplädoyer der Heldin an „uns alle“, das in seiner moralischen Essenz auch aus einem Hollywood-Drama stammen könnte.

Die ZDF/Arte-Koproduktion ist dramaturgisch ein klassischer Themenfilm, der etwas ins Visier nimmt, das künftig noch mehr gesellschaftliche Relevanz bekommen dürfte: das Betreuersystem für Demenzkranke und andere entmündigte alte Menschen. Ein System, das vor Missbrauch nicht geschützt ist. Auf diesen Aspekt fokussiert Drehbuchautor Marco Wiersch seine Geschichte. Doch anderes schwingt mit in dem für ein alltagsnahes „Bürokratiedrama“ ungemein abwechslungsreich und beiläufig sinnlich von Alexander Fischerkoesen fotografierten Film, der trotz seiner reifen Protagonisten und einem gewissen Muff unter den Talaren keineswegs altmodisch oder übermäßig Innenraum-lastig wirkt. So versuchen Wiersch und Regisseurin Isabel Kleefeld („Im Netz“) immer wieder mit emotionalen Ruhemomenten der persönlichen Beziehung des sich wiedergefundenen Paars ein Gesicht zu geben. Vertieft wird das zwar nach der Phase der „guten“ Zeit mit „Disco ab 60“ und Pflegerin in den eigenen vier Wänden nicht unbedingt, aber mit Matthias Habich und Thekla Carola Wied, die nur gelegentlich ein bisschen zu sehr auf die Tube und die Tränendrüse drückt, sind beste Voraussetzungen dafür gegeben, die Chronologie der Ereignisse erspielt und nicht vorgeführt zu bekommen. Ein bisschen viel ist die Koinzidenz einiger dramaturgischer Motive: Grund für die 12jährige Funkstille zwischen Vater und Sohn war dessen Homosexualität. Dem gegenüber ist der einzige, von denen die beiden Alten zunächst Unterstützung erfahren, der schwule Altenpfleger Sasha. Andererseits ermöglicht dieses Motiv die anrührendste Szene des Films. Dass auf dem Weg zum vorläufig glücklichen Ende der eine oder andere die Seiten wechselt, von denen, die der Heldin gerade noch Steine in den Weg gelegt haben, und dass Max’ Sohn ausgerechnet noch Anwalt ist, auch das kennzeichnet eine populäre Dramaturgie, die alles zu Ende bringt. (Text-Stand: 6.11.2014)

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Fernsehfilm

Arte, ZDF

Mit Thekla Carola Wied, Matthias Habich, Ulrike Krumbiegel, Götz Schubert, Christina Hecke, Navid Navid, Johanna Gastdorf, Martin Lindow

Kamera: Alexander Fischerkoesen

Schnitt: Renata Salazar Ivancan

Produktionsfirma: Zeitsprung Pictures

Produktion: Michael Souvignier

Drehbuch: Marco Wiersch

Regie: Isabel Kleefeld

Quote: 3,93 Mio. Zuschauer (12,1% MA)

EA: 07.11.2014 20:15 Uhr | Arte

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