1988 – Grenzgänger zwischen Ost und West
Der Kalte Krieg war geprägt von Krisen – Berliner Blockade, Kuba, Mauerbau, Korea. Von einer anderen Krise weiß die Weltgeschichte so gut wie nichts. „Eine Krise, die bis heute in den Geheimarchiven Moskaus und Washington schlummert.“ Geknüpft ist diese Krise an einen Mann: den ostdeutschen Grenzsoldaten Rolf „Ralle“ Pietzsch. Der hat mit seinem Handeln im Jahre 1988 offenbar den Geheimplan der Russen, den Zerfallsprozess des Ostblocks zu stoppen, zunichtegemacht. Durch einen Wink des Schicksals bekommt dieser die Möglichkeit, heimlich die Vorteile von Deutschland Ost und Deutschland West gleichermaßen zu genießen. Auf dem Sterbebett vertraut ein NVA-Veteran dem arglosen Grenzoffizier einen Schlüssel zu einem Trafohäuschen an, von dem ein geheimer unterirdischer Gang in den Westen führt. Zunächst will Ralle nur ein einziges Mal rüber, um seinem Sohn einen jener kultigen Zauberwürfel zu besorgen. Doch dann verfällt er dem Reiz des Westens – auch wenn’s nur Sedwitz ist, das geteilte thüringisch-fränkische Kaff.
Autor Stefan Schwarz über die Mini-Serie „Sedwitz“:
„In unserer Serie ermöglichen wir es mit einem kleine Trick, dass sich Ost und West vor der Wende wie in einem Laboratorium begegnen, ganz ohne Sektregen und Trabikolonnen. Wir machen die Mauer im Jahr 1988 einen Spalt auf, so dass nur wenige durchschlüpfen können, damit wir besser sehen können, was die Mauer für den Normalbürger war.“
Foto: BR / Günther Reisp.
Die Geschichte des Mauerfalls neu geschrieben
Nach zwei der sechs Folgen „Sedwitz“ (zu der momentan noch nicht mehr Videomaterial zur Verfügung steht), die die ARD wie ein TV-Event ankündigt, aber wie einen Ladenhüter um 23.30 Uhr im Ersten versendet, bekommt man als Zuschauer nur eine Ahnung davon, was den Grenzer diesseits und jenseits der Mauer erwartet: Schmuggelei ist bei dem Szenario naheliegend, dafür spricht aber auch der „Checker“ Hubert „Hubsi“ Weißpfennig, seines Zeichens westdeutscher Bundesgrenzschutzbeamter, der zu allem eine Meinung hat und sicherlich auch weiß, wie man mehr als nur Pfennige Gewinn macht. Ebenfalls angedeutet werden die amourösen Versuchungen, denen der verheiratete Familienvater im goldenen Westen ausgesetzt sein wird: Auch scheinen umgekehrt auf die friedensbewegte Lehrerin Astrid, die Ralle anfangs für einen vermeintlichen Rabenvater eines ihrer Zöglinge hält, dessen blaue Augen mächtig Eindruck zu machen. Korruption könnte auch ein Thema werden. Was allerdings noch völlig unklar bleibt: wie Ralle Pietzschs „Fall“ die Geheimdienste beschäftigen und ihr Wirken bedrohen wird. Irgendwann jedenfalls wird man ihm die geheime Akte „Kaiserwalzer“ verkaufen wollen, bevor sie in die Hände der Russen oder Amerikaner fällt. Und irgendwann werden die Sedlitzer, Ossis wie Wessis, erkennen, dass sie nur gemeinsam eine Chance haben. Die Geschichte des Mauerfalls müsste dann neu geschrieben werden.
Humorvolle Provinzkomödie statt Politsatire
Der Mauerfall als Komödie: „Bornholmer Straße“ lässt grüßen. Die erzählerische Tonlage der Mini-Serie „Sedwitz“ ist – trotz des ironischen Doku-Intros – im Vergleich zur viel gesehenen, hoch gelobten und mehrfach preisgekrönten Mauerfallkomödie allerdings weniger knallig-deftige Politsatire als vielmehr humorvolle Provinzkomödie mit eher märchenhaft surrealen Zügen. Absurde Einlagen und schräge Überzeichnungen einiger Charaktere gehören zwar zur „Farbe“ der Serie, aber der Rhythmus der Erzählung entspricht eher dem Fluss eines Fernsehfilms. Der Sechsteiler von Autor Stefan Schwarz und Ösi-Komödienexperte Paul Harather lebt vor allem von den Mentalitäten seiner Charaktere, dem lustvollen Aneinander-Reiben von Ost und West. Und mittendrin der heimliche Grenzgänger, der in den ersten zwei Folgen vor allem die anderen reden lässt. Mit seinem vermeintlich naiven Ost-Blick nimmt er alles wahr, saugt es in sich auf, um irgendwann darauf zu reagieren – zu seinen Gunsten, versteht sich. Denn Wissen (um das Tor in den Westen) ist Macht. Dieser Ralle wird gewiss innerlich den Kopf schütteln über seinen Vorgesetzten, Major Neubert, der die meiste Zeit damit beschäftigt ist, die eigenen Fehler schönzureden. Er wird irgendwann vielleicht nicht mehr so einsilbig und einsichtig den „Vorträgen“ seiner Frau lauschen. Und obwohl der Westen, auch wenn’s nur die thüringisch-fränkische Pampa ist, ihn anfangs doch einschüchtert, dass dieser Hubsi viel Schaum schlägt, ist auch für ihn nicht zu übersehen.
Foto: BR / Günther Reisp.
Vielschichtiger Held, feinsinniger Komödiant
Thorsten Merten („Halbe Treppe“), häufig der Mann für die markanten Nebenrollen, ist die ideale Besetzung. Da ist dieser vielsagende, gern mehrdeutige Blick, da sind seine blauen Augen, seine häufig erprobten Möglichkeiten, sich „klein“ und unauffällig zu machen. Merten besitzt zudem ein großes komödiantisches Talent, sein Timing ist perfekt, sein Witz staubtrocken. So wie er jenen Ralle verkörpert, nimmt dieser kleine Mann im Schatten der vermeintlich übermächtigen Mauer trotz komödiantischer Distanz für sich ein, gerade auch, weil diese Figur nicht um Sympathie bettelt. Ralle Pietzsch versteht man, gerade auch, weil er niemanden zutextet. Und er ist einer, dem zwar die ostdeutsche Mangelerfahrung inklusive Minderwertigkeitsgefühl erkennbar in Kleidern und Körpersprache hängt, aber in seinem Blick blitzt auch eine gewisse Bauernschläue, steckt die Option zum Subversiven. Die Identifikation mit Hubsi fällt dagegen (nicht nur wegen des Dialekts) schwerer. Als Charakter und als Gegenpart zum bislang verschwiegenen Helden ist dieser „Experte“ für alles und nichts allerdings schon ein komödiantisches Pfund. Nicht zuletzt auch durch seinen Darsteller: Stephan Zinner – im wahren Leben und in Serien wie „Franzi“ oder „Im Schleudergang“ kahlköpfig, in „Sedwitz“ mit Perücke unterwegs – erinnert mit seinen Redeschwall-Typen ein bisschen an Wolfgang Fierek – nur, dass Zinner deutlich der bessere Schauspieler ist.
Trotz Todesstreifen über die Grenze lachen
Selbstredend lebt „Sedwitz“ ähnlich wie „Bornholmer Straße“ auch von der absurden Grundsituation dieser Mauer, die einst willkürlich Deutschland in zwei Teile teilte. Auch der Sozialismus würde aufgrund seines hohen Anspruchs zur Komik geradezu einladen, betont Stefan Schwarz. „Den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit fand man in seiner Essenz an der Grenze“, so der Drehbuchautor in einem FAZ-Interview. „Die Grenze war ja nicht nur tödlich, sie war über die Länge ihrer Existenz auch lächerlich. Ihre Errichtung war ein Eingeständnis der Ohnmacht, des verloren gegangenen und weiter verlorengehenden Systemwettstreits.“ Darum solle man trotz Todesstreifen auch über sie lachen.