Gibt es nach sieben Jahren für die Dortmunder Langzeitarbeitslosen Günther (Armin Rohde) und Wolfgang (Ludger Pistor) endlich ein Licht am Ende des Tunnels? Sie sehen sich schon hinter dem Tresen ihrer Stammkneipe stehen, Fleisch braten, Bier zapfen und endlich wieder Herr über ihr eigenes Leben sein. Denn Theo (Tilo Prückner), der bisherige Besitzer, macht Schluss mit der Gastronomie. Seine „Schnitzelbude“ zu übernehmen wäre für alle drei ein Segen. Doch das Stehlokal gehört Theos Tochter Jutta (Tina Seydel), die zwar andere Pläne hat, aber geschäftstüchtiger als ihr Vater ist. 10.000 Euro als Sicherheit müssten ihr die beiden „Hartzer“ schon auf den Tisch legen. Wie besessen von dem Gedanken, eine Kneipe zu führen, und beseelt von der Hoffnung, dass sich endlich mal etwas ändern müsse in seinem Leben, schlägt Günther spontan in den Deal ein. Eine Idee, wie sie an einen Kredit kommen, ergibt sich durch das zufällige Auftauchen eines alten Schulfreundes und ehemaligen Verehrers von Wolfgangs besserer Hälfte Karin (Therese Hämer). Dieser Rolf Sonne (Albrecht Ganskopf) ist Multimillionär, dessen Gemüt seinem Namen zwar alle Ehre macht, aber der ein paar Grundsätze hat, einer davon: „niemals Geld verleihen“. Dafür hat er zwei gut bezahlte Jobs für die „in eine Beschäftigungsdelle“ Gerutschten: Den gelernten Tierpfleger engagiert Sonne als Hundesitter, während der penible Ex-Herrenausstatter für ihn seine millionenschwere Kunstsammlung archivieren soll. Doch die beiden Freunde fremdeln mit Sonnes überkandideltem Designer-Haus. Als sich Günther auf eine wertvolle Skulptur setzt, inszenieren die beiden kurzerhand einen Unfall mit Verletzungsfolge, durch den am Ende vielleicht für sie noch ein hübsches Sümmchen an Schmerzensgeld herausspringen könnte.
Foto: WDR / Frank Dicks
Auch im vierten „Schnitzel“-Film bekommen die beiden Hartz-IV-Empfänger, mit denen ihre Jobcenter-Sachbearbeiterin Frau Gottschalk (Ramona Kunze-Libnow) nach sieben langen Jahren der Arbeitslosigkeit diesmal ungleich freundlicher umgeht, einmal mehr in Aussicht gestellt, dass sie an das große Geld kommen, damit sich wieder etwas bewegt in ihrem Arbeitsleben. Der Run auf die benötigten 10.000 Euro erweist sich Plot-technisch als sehr viel komplexer, als oben beschrieben. Natürlich ist Rolf Sonne mehr an Wolfgangs Frau Karin interessiert als an seinen neuen „Freunden“. Und natürlich muss der Haussegen bei den Kretteks auch diesmal wieder schief hängen und natürlich kommt auch Wolfgangs Tochter Jessi (Cristina Do Rego) eine verantwortungsvolle Aufgabe zu, damit der Film dramaturgisch rund laufen kann und auf der Zielgeraden alle wieder ein Herz und eine Seele sind. Apropos Herz: „Großes Herz kriegt kein Stück vom großen Kuchen“, rekapitulieren die Helden von der urkomischen Gestalt ihr Schicksal. Beide, vor allem Günther Kuballa, sind Gemütsmenschen, die nicht mehr in den Spiegel schauen könnten, wenn sie ihr eigenes Glück auf dem Unglück anderer aufbauen würden. Und so darf ein Grieche (Samir Fuchs) mit noch sonnigerem Gemüt als Rolf Sonne köstlich einen Running Gag auf zwei Beinen und vor allem vier Rädern geben. Auf den ersten Blick ist er „nur“ eine Witzfigur und Erzählfunktion für die Haupthandlung, aber auf den zweiten Blick eben auch ein sehr konsequenter Spiegel für die Hauptfiguren, für die sich der moralische Konflikt unerträglich steigert, bevor das Gewissen obsiegt.
Die lose „Schnitzel“-Reihe geht in Serie: Die ersten sechs Folgen von „Schnitzel XXL“ sind abgedreht. Und alle sind wieder dabei! Buch: Ingo Haeb, Katja Kittendorf. Regie: Micha Lewinsky, Wolfgang Murnberger. Wir sind gespannt!
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Für den Zuschauer sind diese Situationen komisch und emotional zugleich. „Ich glaub‘, ich muss jetzt erst mal für mich sein“, reagiert Günther nach den Zeiten der Hoffnung auf den erneuten Tiefschlag. „Okay, wie lange ungefähr?“, will Wolfgang wissen. „Ich weiß nicht, ‘ne Weile.“ Die Schultern hängen auf Halbmast. „Und wie lange ist ‘ne Weile – ungefähr?“, bohrt der Freund weiter. „Ich weiß nicht, mal sehen.“ Diesen Charakteren, aber auch solchen Situationen kann man sich als Zuschauer einfach nicht entziehen. Man spürt das tiefe Loch, in das da einer der beiden fällt. Keine Arbeit, wenig Sinn im Leben – obwohl „Schnitzel de Luxe“ Komödie ist, eine (kleine) Depression ist stets in Reichweite. Diese gibt sich umso deutlicher zu erkennen, je greifbarer der mögliche Umschwung war. Ingo Haeb, auch Autor der dritten Episode „Schnitzel geht immer“, hat seinen Hauptcharakteren eine präzisere Psychologie verpasst als seine Kollegen in den ersten beiden Filmen. Die beiden arbeitslosen Freunde legen über den gesamten Handlungsverlauf gesehen ein geradezu manisch-depressives Verhalten an den Tag, allerdings gaben einem diese beiden selten – vor allem in den Filmen drei und vier – so viel Anlass zu herzerfrischendem Lachen. Besonders die Szenen, in denen sie mit den Tücken des modernen Hightech-Haushalts kämpfen, sind zum Wegwerfen komisch. Da meldet sich die Geisterstimme der Kochassistentin und Schnitzel-Fan Günther, der den Menü-Plan, das feine Filet für die Hündchen und den Doseneintopf für die Herren, kurzerhand tauscht, sieht sich hier bald von allen guten Geistern verlassen. Die Stimmigkeit der Charaktere überträgt sich auch auf die Schauspieler. Armin Rohde und Ludger Pistor waren von Anfang an eine Traumbesetzung. Sie werden aber – gefühlt – immer besser. Es hat den Anschein, als ob sie ihren Figuren noch nähergekommen seien.
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Was sich in „Schnitzel geht immer“ bereits andeutete, führt Haeb in „Schnitzel de Luxe“ weiter. Die ersten beiden Filme waren handlungsorientierter, das Leiden und die Sehnsüchte der „Helden“ wurden vom Komödien-Plot überdeckt. In „Schnitzel für drei“, der 2010 eine echte Überraschung für die seit Jahren so einfallslose TV-Komödie war, vertraute man offenbar dem Sujet noch nicht voll und verjuxte das Ganze mit einem albernen Krimiplot, während man für „Schnitzel für alle“ die sogenannte „gesellschaftliche Relevanz“ etwas übertrieben hat, das Arbeitslosenduo um ein Behindertentrio erweiterte und damit die Geschichte deutlich überfrachtete. Das alles erkennt man so richtig erst jetzt, mit der nötigen Distanz – und weil man den neuesten Streich der losen WDR-Reihe kennt. Denn der ist nicht nur dramaturgisch noch besser, sondern vor allem auch im Umgang mit seinem Personal geradezu humanistisch. Die Komik geht nie auf Kosten der Figuren. Was Günther Kuballa und Wolfgang Krettek angeht, war das schon immer so. In „Schnitzel de Luxe“ werden nun aber alle Figuren ernst genommen. Da ist keiner nur Buhmann oder Erfüllungsgehilfe. Was hätte nicht aus diesem Rolf Sonne, der sich mit einer Ein-Euro-Kette ein Millionen-Euro-Imperium aufgebaut hat, alles werden können: ein Graf Protz, ein asozialer Widerling, ein eitler Sonnenkönig. Dafür gibt es allenfalls Ansätze. Nicht einmal ein richtiger Aufreißer ist er. Und obwohl er sich sogar von den „Hartzern“ aufs Kreuz legen lässt, wobei er ihnen von Anfang an ohne Vorbehalt begegnet, verabschiedet Haeb Sonne nicht als lächerliche Person, nicht als reichen Kretin, der von Kunst keine Ahnung hat, aus dem Film, sondern für Komödien-Verhältnisse als vielschichtigen Charakter: Während die einen keine Arbeit haben, hat Sonne weder Frau noch echte Freunde, er hat allein Geld, mit dem er sich offensichtlich Kunst als Liebesersatz kauft. An Komödien wird gern das Spiel mit Klischees gefeiert, diese Social Comedy macht es noch besser – hebelt gesellschaftliche und dramaturgische Klischees immer wieder aus. Und auch das Ende verläuft etwas anders als gewohnt. Frau Gottschalk, dieser alte Besen, ist plötzlich auch nur ein Mensch. Augenfälliger als der Wohlfühlschluss, der im Übrigen nichts anderes ist als ein uraltes Komödien-Ritual, ist das wohlwollende Verhalten, das Ingo Haeb und Regisseur Micha Lewinsky allen Charakteren angedeihen lassen. Auch so kann Sozialkomödie sein. Nicht nur das Hässliche, sondern auch mal das Liebenswerte im Auge haben. Lebenskluge Utopie und Balsam für die Seele. (Text-Stand: 15.12.2018)