Sarah Kohr – Schutzbefohlen

Lisa Maria Potthoff, Simonischek, Blomberg, Berndt, Grass. Mord ist immer persönlich

Foto: ZDF / Marion von der Mehden
Foto Tilmann P. Gangloff

Wenn im Krimi bis zur letzten Szene unklar bleibt, wer die Guten und wer die Bösen sind, haben Buch und Regie schon mal sehr viel richtig gemacht. Davon abgesehen knüpft die erste Arbeit von Bruno Grass für die ZDF-Reihe „Sarah Kohr“ (die film GmbH) nahtlos an die Qualität der letzten Filme mit Lisa Maria Potthoff an. Timo Berndt, der seit der zweiten Episode alle Drehbücher geschrieben hat, erzählt eine reizvoll rätselhafte Geschichte rund um einen vermeintlichen Anschlag auf einen chinesischen Investor, der in großem Stil in den umstrittenen Ausbau des Hamburger Hafens einsteigen will. Die Story ist klasse, zumal es Berndt auf verblüffende Weise gelingt, aus Tätern Opfer und aus Opfern Täter zu machen, und auch die Actionszenen können sich dank Potthoffs Nahkampffertigkeiten sehen lassen.

Im Krimi geht es in der Regel darum, ein Verbrechen aufzulösen. Ein Thriller dagegen bezieht seine Spannung daraus, ein Verbrechen zu verhindern. Richtig reizvoll werden die entsprechenden Geschichten, wenn Held oder Heldin bis zum Schluss rätseln, wer von den Beteiligten zu den Guten und wer zu den Bösen gehört. Im Fall von „Schutzbefohlen“, dem insgesamt fünften Film mit Lisa Maria Potthoff als nahkampferprobte LKA-Einzelgängerin Sarah Kohr, stellt sich allerdings irgendwann die Frage, ob es überhaupt Gute gibt. Tatsächlich gelingt es Timo Berndt, der die Reihe nach dem Auftakt („Der letzte Kronzeuge – Flucht in die Alpen“, 2014) von Stefan Rogall übernommen hat, auf verblüffende und dennoch plausible Weise, aus Tätern Opfer und aus Opfern Täter zu machen.

Sarah Kohr – SchutzbefohlenFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Scharfschütze & Sprengsatz. Im Hamburger Hafen kommt „Schutzbefohlen“ gleich in den ersten Filmminuten zur Sache. Anna Unterberger, Vu Dinh & Max Simonischek

Die Handlung beginnt mit einem Anschlag: Wenige Tage, bevor der chinesische Investor Mian Chen (Vu Dinh) das Werk seines vor drei Jahren bei einem Unfall ums Leben gekommenen Vaters vollenden und mit seiner Unterschrift ein Großprojekt im Hamburger Hafen besiegeln will, erfüllt er den Wunsch seiner kleinen Tochter: Das Mädchen möchte einen Strauß Vergissmeinnicht am Unfallort ablegen. Das Auto von Chen senior ist damals ins Wasser gestürzt, weil die Fahrerin, eine Personenschützerin des LKA, unter Drogen stand; sie liegt seither im Koma und wird nicht mehr aufwachen. Kein Wunder, dass Chen junior kein Vertrauen ins LKA hat und seinen Schutz lieber dem früheren Polizisten Stölzer (Max Simonischek) anvertraut. Als ein Scharfschütze erst auf Chen, seine Tochter und die Übersetzerin Marie (Anna Unterberger) schießt und dann einen in einem ferngesteuerten Spielzeugboot versteckten Sprengsatz zündet, ist es jedoch Sarah Kohr, die das Trio rettet. Sie weiß auch, wer hinter dem Anschlag steckt: Ihr Ex-Kollege Lanz (Sebastian Blomberg), ein früherer Elite-Polizist, war damals gemeinsam mit ihr und der Fahrerin für den Schutz des alten Chen zuständig. Wirtschaftspolitikerin Broschke (Julika Jenkins) geht davon aus, dass militante Umweltaktivisten das Attentat in Auftrag gegeben haben. Kohr hingegen vermutet, dass Lanz ein persönliches Motiv hat. Außerdem macht er nicht den Eindruck eines skrupellosen Killers; aber welchen Grund könnte er haben, Chens Sohn zu töten?

Sarah Kohr – SchutzbefohlenFoto: ZDF / Marion von der Mehden
Henning Lanz (Sebastian Blomberg) baut sich seine Munition zusammen.

Regisseur Bruno Grass hat mit „Verliebt in Masuren“ (2018) eine sehr sympathische Komödie über eine deutsch-polnische Romanze zwischen einem pensionierten Kapitän und seiner resoluten Pflegekraft gedreht, aber seine Beiträge zur ARD-Reihe „Kommissar Dupin“ waren zuletzt wenig fesselnd. Mit dem zweiteiligen „Mordkommission Istanbul“-Thriller „Im Zeichen des Taurus“ (2016) hat er allerdings bewiesen, dass er durchaus in der Lage ist, Spannung selbst über 180 Minuten hochzuhalten. Für „Schutzbefohlen“ gilt das auch dank der Bildgestaltung (wie zuletzt Tobias Schmidt) und der Thriller-Musik (Alex Komlew) nicht minder. Lisa Maria Potthoff hat sich ihre Rolle ohnehin wie eine zweite Haut übergestreift, zumal sich selbstredend auch Grass zunutze macht, dass er mit seiner Hauptdarstellerin dank deren Geübtheit in der Selbstverteidigungstechnik Krav Maga packende Actionszenen inszenieren kann. Die Zweikämpfe, die sich Kohr mit Lanz liefert, sind für einen TV-Krimi ziemlich gut choreografiert und mehr als bloß Selbstzweck, zumal der Ex-Kollege sie sogar rettet, als sie in die Tiefe stürzt. Die Aktion widerspricht nur scheinbar jeder Logik: Lanz will, dass sie am Leben bleibt, weil er weiß, dass sie die richtigen Fragen stellt; aber welche?

Berndt, der seit einigen Jahren auch alle Drehbücher für die ZDF-Reihe „Die Toten vom Bodensee“ schreibt, hat seine Geschichte bis ins Detail sehr clever konzipiert: Weil Lanz als ehemaliger Polizist natürlich weiß, wie die Ex-Kollegen vorgehen werden, kann Kohr ihn nur austricksen, wenn sie ihm zwei Schritte voraus ist. Selbst ihr Besuch bei einem vermögenden Reeder (Michael Hanemann), der das Hafenprojekt inklusive Elbvertiefung um jeden Preis verhindern will, ist mehr als bloß das obligate Ablenkungsmanöver, das in keinem Reihen-Krimi fehlen darf; und so stößt die Polizistin schließlich auf ein ganz anderes Komplott. Zu einem rundum gelungenen Film wird „Schutzbefohlen“ durch die Besetzung der Episoden-Hauptrollen. Anna Unterberger ist als Chens heimliche Geliebte nicht zuletzt dank ihrer filmografischen Vorgeschichte unter anderem als Ensemblemitglied der ZDF-Reihe „Die Toten von Salzburg“ automatisch Sympathieträgerin, womit sich trefflich spielen lässt, und Max Simonischek ist schon allein wegen seiner Körpergröße und seiner düsteren Präsenz ohnehin grundsätzlich ein Gewinn für Filme, in denen sich die Hauptfiguren in einer Grauzone bewegen. Stölzer war anfangs alles andere als begeistert, dass Kohr seinen Job erledigt, aber später ist er doch ganz froh, sie in seinem Team zu haben, zumal beide aus demselben Holz geschnitzt sind; kein Wunder, dass es nicht beim kollegialen Austausch bleibt.

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Reihe

ZDF

Mit Lisa Maria Potthoff, Max Simonischek, Sebastian Blomberg, Vu Dinh, Anna Unterberger, Herbert Knaup, Julika Jenkins, Maya Ai-Nhi Nguyen, Corinna Kirchhoff

Kamera: Tobias Schmidt

Szenenbild: Anna Alaeddine

Kostüm: Astrid Möldner

Schnitt: Simone Klier

Musik: Alex Komlew

Soundtrack: Portishead („Glory Box“)

Redaktion: Daniel Blum

Produktionsfirma: die film gmbh

Produktion: Uli Aselmann, Sophia Aldenhoven

Drehbuch: Timo Berndt

Regie: Bruno Grass

Quote: 7,66 Mio. Zuschauer (23,1% MA); Wh. (2022): 3,69 Mio. (15,8% MA)

EA: 01.02.2021 20:15 Uhr | ZDF

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