Die Verpackung entspricht dem üblichen Schema, aber der Inhalt dieses „Pilcher“-Films kann sich durchaus sehen lassen. Der Titel „Pralinen zum Frühstück“ ist jedoch unpassend, denn er bezieht sich gar nicht auf die Hauptfigur; Annabelle Rosewood sieht ohnehin nicht wie eine Frau aus, die den Tag mit Süßigkeiten beginnt. Die womöglich erhoffte Assoziation zu „Bridget Jones – Schokolade zum Frühstück“ führt erst recht in die Irre, denn der Film ist keine romantische Komödie. Es geht zwar auch um eine Liebesgeschichte, doch Autorin Susanne Hertel erzählt die Romanze als Krimidrama. Ihr Drehbuch trug den Arbeitstitel „Koffer, Kunst und Schokolade“, und mit dem Koffer beginnt der Film auch: Annabelle ist Moderatorin der TV-Show „Lost & Found“. In der Sendung werden die rechtmäßigen Besitzer von vor Jahren verloren gegangenen Gepäckstücken gesucht. Jüngstes Fundstück ist ein Koffer, der offenbar eine lange Odyssee hinter sich hat. Er enthält neben teuren Kleidern auch ein ganz besonderes Collier. Annabelles Recherche führt sie an die Küste Cornwalls. Dort findet sie mit Hilfe von Boutique-Besitzerin Elsa Green (Fanny Stavjanik) heraus, dass der Koffer der vor Jahrzehnten bei einem Sturm an den Klippen ums Leben gekommenen Schriftstellerin Victoria Marlowe gehört. Sie lernt deren Urenkel Tom Fitzgerald (Max Engelke) kennen und verliebt sich in ihn, aber Tom, Autor von Kriminalromanen, ist bereits vergeben. Elsa wiederum ist äußerst angetan von seinem Onkel Walden (Max Tidof), der in seiner Schokoladenmanufaktur erlesene Pralinen herstellt. Die beiden Frauen ahnen, dass ein Geheimnis auf der Familie Fitzgerald lastet. Am Ende klären sie nicht nur den mysteriösen Tod der Schriftstellerin, sondern finden auch die Liebe; Elsa allerdings nicht beim vermeintlichen Gentleman Walden, denn der hat ordentlich Dreck am Stecken.
Regisseur Marc Prill hat in den letzten zehn Jahren rund vierzig Filme gedreht, die meisten für die ZDF-Reihen „Rosamunde Pilcher“, „Traumschiff“ und „Kreuzfahrt ins Glück“, und so sieht „Pralinen zum Frühstück“ auch aus: Ein Klischeebild à la „Cornwall von oben“ reiht sich ans andere. Die Musik von Patrick M. Schmitz trägt ihren ähnlich stereotypen Teil dazu bei. Mit Hilfe von Bildgestaltung und Komposition feiert Prill Waldens Pralinés, als handele es sich um die Kronjuwelen. Den überwiegend weiblichen Fans der Reihe sind solche Einwände erfahrungsgemäß egal, denn die entsprechenden Versatzstücke bilden schließlich den Markenkern von „Rosamunde Pilcher“. Dass es vermutlich selbst aus Sicht der Redaktion nicht verboten wäre, sie etwas anspruchsvoller zu präsentieren, steht auf einem anderen Blatt.
Foto: ZDF / Jon Ailes
„Am Schluss sind alle glücklich“
Anlässlich des im Mai 2019 ausgestrahlten 150. Films („Schwiegertöchter“) sagte „Pilcher“-Produzent Michael Smeaton, das große Plus der Reihe sei ihre Verlässlichkeit: „Pilcher-Filme behandeln Themen wie Liebe und Leidenschaft. Das kann sich durchaus auch mal dramatisch entwickeln, aber es gibt eine Happy-End-Garantie; man kann sich darauf verlassen, dass nicht im dritten Akt eine der Hauptfiguren stirbt. Am Schluss sind alle glücklich.“ Den Vorwurf, die Filme seien „Kitsch von gestern“, wies Smeaton zurück: „Wir produzieren Liebesfilme im besten Sinne, das ist kein Kitsch, sondern Romantik.“ Außerdem sei die ästhetische Gestaltung eine andere als in den 90er Jahren, die Geschichten seien heute viel moderner, „zumal wir immer auch gesellschaftlich relevante Themen aufgreifen. Die Zeit ist auch bei uns nicht stehen geblieben.“ ZDF-Redakteurin Andrea Klingenschmitt versichert, sie reagiere auf den Vorwurf mittlerweile „ganz leidenschaftslos“. Sie betreut die Reihe seit dem Start 1993. „Für uns wie auch für die Zuschauer ist entscheidend: Wo ‚Rosamunde Pilcher’ draufsteht, muss auch ‚Rosamunde Pilcher’ drin sein.“ Die positiven Rückmeldungen des Publikums zeigten, „dass wir mit unseren Themen auf dem richtigen Weg sind. Sonst würden wir auch keine neuen Zuschauer dazu gewinnen.“ tpg
Von der Kritik an der optischen Einfallslosigkeit mal abgesehen ist der Film dennoch sehenswert, weil die Geschichte einfach gut ist. Das galt auch schon für Hertels Drehbücher zu „Haustausch mit Hindernissen“ (2016) und „Das Vermächtnis unseres Vaters“ (2018); in beiden Fällen war die Umsetzung ebenfalls eher einfallslos (hier Stefan Bartmann, dort Marco Serafini). Ein echter Einschaltgrund ist außerdem Hauptdarstellerin Hedi Honert. Sie gehörte 2016/17 zum Ensemble der ARD-Telenovela „Rote Rosen“ und hatte eine durchgehende Rolle in „Familie Dr. Kleist“; nach „Pralinen zum Frühstück“ sollte die Zeit der Nebenfiguren vorbei sein. Auch die weitere Besetzung ist sehenswert, selbst wenn sich die nicht minder attraktive Michaela Saba als Annabelles Nebenbuhlerin Paula offenbar derart darauf konzentriert hat, ihren Wiener Akzent zu unterdrücken, dass ihre Dialoge etwas seltsam klingen. Max Engelke verströmt den Charme eines Nussknackers, aber bei ihm lässt sich das mit der Rolle erklären: Tom möchte nur in Ruhe seine Romane schreiben, und die Beziehung mit Paula hat er eigentlich längst beendet.
Gerade die Filme der Reihen „Rosamunde Pilcher“ und „Inga Lindström“ verdanken ihren besonderen Charme nicht zuletzt der Liebe zum Drehbuchdetail. Auch hier sind viele Szenen innerhalb der einzelnen Handlungsstränge für die Geschichte nicht weiter von Bedeutung, aber sie tragen zur Komplexität der Charaktere bei; das gilt zum Beispiel für Annabelles Moderationen oder für ihre zunehmende innigere Beziehung zu Elsa. Die ältere Freundin besitzt ein „Vintage“-Geschäft, also eine Boutique für Kleidung und Accessoires, die für die einen altmodisch und für die anderen klassisch sind. Amüsant sind auch die Auftritte einer uralten Frau, die am Lieblingsplatz der Schriftstellerin mehrfach wie durch Zauberei auftaucht und ebenso spurlos wieder verschwindet. Sie war einst die Sekretärin von Victoria Marlowe und gibt Annabelle wertvolle Tipps für ihre Spurensuche. Diese Momente sind ungleich sympathischer als die unnötigen Surferbilder und andere typische „Pilcher“-Elemente, die angeblich vom Publikum der Reihe erwartet werden. Womöglich machen sich die Macher ja selbst darüber lustig, dass Annabelle wie die meisten „Pilcher“-Heldinnen ein Mini-Cabrio fährt. Ihre erste Begegnung mit Tom ist ein Streit um eine Parklücke; auch nicht gerade originell, aber immerhin amüsant inszeniert. Romantik pur ist dagegen der erste gemeinsame Abend des Paars, bei dem Prill alle Register zieht und Schmitz mit einem eigens für diesen Film komponierten Lied für entsprechende Stimmung sorgt. Auffallend elegant und geschmackvoll ist auch Annabelles Kleidung (Kostüm: Friederike Tabea May), und vermutlich ist es eine typisch männliche Überlegung, wenn man sich fragt, wie sie die ganze Garderobe in ihrem kleinen Auto untergebracht hat; neben Victorias Koffer kann eigentlich gar kein Platz mehr für weiteres Gepäck sein. (Text-Stand: 25.7.2019)