Zypern ist nicht Berlin. „Hier sind die Frauen zurückhaltender“, sagt Lili (Julia Brendler), eine der beiden Hauptfiguren in Matti Geschonnecks „Reise in die Nacht“. Doch Mutter Irene (Ulrike Kriener) weiß es wieder einmal besser: „Hast Du das an der Uni gelernt!?“ Der Spott wird ihr noch vergehen, denn die beiden Frauen erleben ihren vermeintlichen Traumurlaub als Alptraum in die moslemische Männergesellschaft… Irene Weber will mit einem Urlaub das Verhältnis zu ihrer Tochter Lili aufbessern. Doch die Vorbehalte gegenüber der Mutter, die einst die Familie verließ, sind groß. Auch die offene Art, mit der die selbstbewusste Mittvierzigerin, die zuhause türkischen Kindern Deutsch beibringt, hier den einheimischen Männern begegnet, empfindet Lili als peinlich und aufdringlich. Eines Nachts werden sie von einem jungen Mann überfallen, die Tochter wird vergewaltigt, erleidet einen Schock, die Mutter fällt in Ohnmacht. Als beide wieder zu sich kommen, ist der Mann tot. Für sie ein klarer Fall: Notwehr. Die Bevölkerung und der Richter aber sehen das anders.
Der arte/ZDF-Koproduktion liegt ein realer Fall aus dem Jahre 1989 zugrunde. Zwei Kulturen, zwei Generationen – in diesen Spannungsfeldern bewegt sich die Geschichte dieses eindrucksvollen Kammerspiels. Die Heldinnen sind zurückgeworfen auf sich selbst, ihre Beziehung erscheint scharf wie in einem Brennglas, sie können nicht fliehen vor ihren Gefühlen. Diese Reise in die Nacht wird aber auch (filmisch) atmosphärisch festgemacht: es ist eine Reise zwischen Tag und Nacht, Hell und Dunkel, zwischen sonnenüberfluteten Landschaften und dem kalten Schwarz der Gefängniszelle. Matti Geschonneck („Angst hat eine kalte Hand“, „Rosenmörder“) und sein ständiger Kameramann Rudolf Blahacek sind das perfekte Gespann für diese filmische Reise ins Innere der Seele. „Mit einer kargen, minimalistischen Erzählweise einen dichten Film machen“ ist Geschonnecks erklärtes Ziel.
Für Ulrike Kriener hat der ZDF-Film nichts zu tun mit den Spekulationsfilmchen der Privat-Sender. „Die Vergewaltigung ist nur der Anlass für eine andere Art und Weise der Betrachtung vom Leben zweier Frauen.“ Durch die Vergewaltigung bekomme die Beziehung aus werbender Mutter und reservierter Tochter eine andere Qualität. Die Geschichte ist hart, die Tonlage schwer. Dennoch, so Kriener, habe man bei den Dreharbeiten durchaus herzhaft lachen können, ja müssen. „Den Druck sollen die Zuschauer haben, nicht die Schauspieler.“