Stolzow feiert seinen Schützenkönig. Zuerst fließt der Schnaps, dann fallen Schüsse. Das Opfer ist der insolvente Unternehmer Herbert Marstein. Sein Sohn hatte mit ihm am Abend noch eine ernsthafte Auseinandersetzung. „Was hindert mich eigentlich, einfach abzudrücken?“, tönte der Besitzer eines heruntergekommenen Fabrikgeländes. Betrunken richtete er die Pistole auf sein eigen Fleisch und Blut. Mehr erfährt der Zuschauer nicht. Wenig später ist Marstein tot. Keiner mochte ihn im Ort. Und dass er die Ansiedelung eines polnischen Großbäckers mutwillig verhindern wollte, machte ihn nicht beliebter.
Ein ganzes Dorf am Rande der Existenz. Arbeitslosigkeit, marode Bausubstanz, Verfall der Sitten und die Folge: Landflucht. Es kann also mal wieder jeder gewesen sein in diesem „Polizeiruf 110“ aus der brandenburgischen Pampa. Kein leichtes Spiel für Johanna Herz, die sich politisch bedenklichen Tendenzen gegenüber sieht. Mit dem Gefühl der zunehmenden Wertlosigkeit der eigenen Existenz nimmt offenbar das Gefühl der bedrohten „Inneren Sicherheit“ zu. Und so bevölkern Waffenfetischisten und Überwachungsfreaks die trostlose ostdeutsche Gemeinde – und die Schützenvereinskameraden holen sich zwischen Theke und Schießstand ihr Selbstbewusstsein zurück. „Als nach Fertigstellung des Drehbuchs und nur wenige Wochen vor Drehstart der Amoklauf von Winnenden passierte, untermauerte dies leider die Plausibilität und andauernde Aktualität unserer Fiktion“, sagt Autor Stefan Rogall.
Dieser sozialkritische Impetus liegt in „Alles Lüge“ mehr in der Szenerie, den Situationen, als dass er explizit in die Mitte des Geschehens gerückt wird. Ed Herzog überzog die Optik des Films mit einer Patina des Niedergangs. Ausgezehrte Gesichter, ausgebrannte Körper in grobkörnigen Bildern und verwaschenen, düsteren Farben. Nicht schlecht passte dazu das altmodisch anmutende Montageprinzip, bei dem eine Szene vor der entscheidenden Information geschnitten wird, um so mit erhöhtem Tempo in die nächste Szene zu gehen.
Foto: RBB / Arnim Thomaß
Auch die knorrigen Ostschauspieler entsprachen ganz dem Film-Look. In André M. Hennicke, Julia Jäger, Tom Jahn und Lutz Teschner fand Herzog die richtigen Gesichter für sein verzweifeltes, nicht Klischeebilder-freies Endspiel. Diese Welt hat so gar nichts von der Welt, in der sich der schreibende Ehemann der Kommissarin bewegt: „Essen und Erotik“ heißt sein neues Buch. Und so ist Johanna Herz nach Bella Block die nächste Kommissarin mit Leib und Seele, die von ihrem Partner verlassen wird. Und selbst Krause ist nicht gut drauf. Der Polizeihauptmeister soll acht Wochen zur Nachschulung. (Text-Stand: 30.8.2009)