Nach dem Tod ihres Vaters wird Ottilie von Faber (Kristin Suckow) von ihrem Großvater Lothar von Faber (Martin Wuttke leider in nur einer kleinen Rolle) als Alleinerbin und Leiterin des florierenden Unternehmens eingesetzt. „Sie wird alles lernen von der Pike auf und dann Ihre Vorgesetzte sein“, verkündet der Patriarch in der Geschäftsleitung. Wuttke spielt das sehr schön mit einer fast unmerklich zu spürenden diebischen Freude daran, dass er der steifen Herrenrunde eine intelligente, forsche junge Frau vor die Nase setzen kann. Ottilie allerdings ist noch minderjährig und kann auch dann noch nicht die Geschäfte alleinverantwortlich übernehmen, als der geliebte Großvater stirbt – vorerst ist ihre Großmutter (streng und unnachgiebig: Eleonore Weisgerber) der gesetzliche Vormund. Zwischen den Parteien vermittelt Ottilies Mutter (Maren Eggert), so dass hier ein interessantes und spannungsreiches Drei-Generationen-Ensemble entsteht, flankiert von Ottilies stets fröhlicher Freundin Clarissa von Straaten (Jasmin Schwiers) und deren exaltierter Tante (Leslie Malton), bei denen Ottilie ihre Ferien verbringt und auch mal Zuflucht suchen kann. Deren märchenhaft anmutender Garten bietet den Kontrast zum prächtigen Schloss des Adelsgeschlechts von Faber mit den weitläufigen Grünanlagen – und einem eigenen Tennisplatz.
Foto: Degeto / Martin Spelda
Kristin Suckow spielt die Titelrolle als temperamentvolle und ehrgeizige junge Frau, die entschlossen ist, den Auftrag des Großvaters zu erfüllen. Sie streift resolut mit Gewehr und Hund abends über das Anwesen, kann reiten, ist eine talentierte Zeichnerin mit kreativen Ideen, prüft akribisch und sachkundig die Geschäftsunterlagen und zeichnet sich auch nicht durch übermäßigen Standesdünkel aus, sondern ist freundlich zu den Bediensteten – alles ein bisschen zu schön, um wahr zu sein. Asta Scheib hatte 1998 die von ihr recherchierte Biographie dieser bemerkenswerten Frau bereits in einen Roman gegossen, den Claudia Garde hier „frei“ als Vorlage benutzt hat. „Nun lag es natürlich auf der Hand, dass im Rahmen des Drehbuchs, welches eine Zeitspanne von mehr als 20 Jahren umfasst, ein dramatischer Aufbau sowie ein Figurenensemble erstellt werden muss, das sich nicht immer an die Fakten hält. Gleichsam haben wir diese nie aus dem Auge verloren“, schreibt Garde in den Presse-Unterlagen der ARD. Soll wohl heißen, dass das korrekt eingehaltene Gerüst an biographischen Daten recht großzügig ausgeschmückt und dramatisiert wurde.
Wie im Roman gibt es auch im Film eine Parallelhandlung um das Dienstmädchen Anna (Lena Klenke), die mit der Zeit zu einer Vertrauten Ottilies wird. Anna lernt auf dem Weg zu ihrer neuen Arbeitsstelle den hilfsbereiten Johann (Pit Bukowski) kennen, der in der Faberschen Fabrik arbeitet und dort bei einem Unfall eine Hand verliert – aufgrund einer Unachtsamkeit von Ottilie, der Johann das Werk bei einem Rundgang zeigt. Anna wiederum wird von einem anderen Bediensteten bedrängt und schließlich im Kohlenkeller vergewaltigt. Diese dramatischen Episoden bringen Spannung, dienen aber eigentlich nur dazu, die Charakterzüge von Ottilie und ihrer Mutter zu schärfen. Beide stehen Anna tatkräftig zur Seite, und Ottilie hat wegen Johanns Unfall Schuldgefühle und (vorübergehend) Selbstzweifel. Was mit dem Täter geschieht, wie Anna die Vergewaltigung verarbeitet und ähnliche Fragen spielen im Weiteren keine Rolle. Die Figuren des niederen Standes sind eher Beiwerk, und während es zu Beginn noch einige eindrucksvoll ausgestatteten Szenen aus der Fabrik gibt, verliert das Drehbuch die Arbeits- und Lebenswelt der „einfachen“ Leute komplett aus den Augen. Umso schwelgerischer wird die Adelswelt inszeniert. Ausstattung, Kostüme und Maske sorgen hier mit einigem Aufwand und sicher auch mit großer Liebe zum Detail für beträchtliche Schauwerte. Die gesellschaftlichen Brüche jener Zeit bleiben – im Gegensatz zu „Downton Abbey“ – ausgeblendet. Nur Gegenstände wie das Telefon, das Automobil oder das Grammophon künden von einer Moderne, die jenseits dieser zeitlos wirkenden adligen Idylle Einzug gehalten hat. Auch Geld spielt nur am Rande eine Rolle, es ist einfach da. Der Erste Weltkrieg platzt schließlich unvermittelt in den Alltag, aber mehr als einen Kratzer an des Grafen Stirn hinterlässt diese Katastrophe der Menschheit auch nicht.
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Zweifellos dreht sich aber alles um Geschlechterrollen, um die Stellung von Männern und Frauen in Ehe, Familie und Arbeitswelt. Die interessante Lebensgeschichte der Ottilie von Faber-Castell berührt ja tatsächlich Themen, die in der Gegenwart noch immer aktuell sind: zum Beispiel den niedrigen Anteil von Frauen in Führungspositionen oder die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Mutterschaft. Im Film wird Ottilie als „Kämpferin“ gezeichnet, die fünf Kinder zur Welt bringt und sich doch immer wieder im Betrieb einmischt, zunehmend auch gegen den Willen ihres Mannes. Hier wurde die Figur sicher im Sinne des heutigen Zeitgeists idealisiert. Auch der Satz „Nur weil ich meine Arbeit liebe, heißt das nicht, dass ich eine schlechte Mutter bin“ könnte mühelos ins Drehbuch eines Gegenwartsfilms Eingang finden. Und sogar Anna weiß am Ende: „Ich gehöre niemandem außer mir selbst.“ Überhaupt legt Claudia Garde ihren Figuren bisweilen erstaunlich moderne Ansichten in den Mund. So empfiehlt Patriarch von Faber seiner Enkelin Ende des 19. Jahrhunderts: „Heirate, aber bleibe unabhängig.“ Glaubwürdig ist das alles nur bedingt.
Letztlich gibt es nur wenige Szenen, in denen Ottilie als Unternehmerin Format gewinnen kann, aber auch das wesentlich ausführlicher ausgebreitete Liebesdrama berührt natürlich emanzipatorische Themen. Ottilie ist zwar aufgrund ihres Erbes und Reichtums vergleichsweise eigenständig, aber was wird nach einer Heirat? Zwei Offiziere buhlen um ihre Gunst, wobei Ottilie vor allem ein Auge auf den Baron Philipp von Brand (Hannes Wegener) geworfen hat. Zu seinem Nebenbuhler wird der mit dem Baron befreundete Graf Alexander von Castell (Johannes Zirner) – die Namen verraten schon, wer das Rennen machen wird. Die melodramatische Verwicklung ist allerdings erheblich und sorgt für romantische Unterhaltung mit einer tragischen Note. Die beiden Offiziere sind erfreulicher Weise keine plumpen Klischees von Männern in Uniform. Und sowohl Johannes Zirner als auch Kristin Suckow lassen die Gefühle, die den Grafen und Ottilie verbinden, schön im Ungefähren. Während die erste Hälfte temporeicher ist und mehr dramatische Wendungen bietet, erzählt der Film im ruhigeren, etwas düstereren zweiten Teil von der Entfremdung in der Ehe, die sich nach und nach vollzieht – gewissermaßen mit jedem Kind, das Ottilie zur Welt bringt. Ob es das Vergnügen steigert, alles komplett an einem Abend zu versenden, darf bezweifelt werden.
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Dieser Film negiert historische Wahrheiten. So übernahm der Ehemann auf Wunsch von Otilie, seiner Ehefrau, die Firma. Sie wurde – anders als im Film – niemals übervorteilt. Eine Lüge. Nachzulesen im Archiv der Firma!