Flugkapitän Paul Langner (Heino Ferch) ist das, was man früher gern einen ganzen Kerl nannte. Ein Mann, der nur nach vorne blickt, ein Erfolgsmensch ohne Selbstzweifel. Frauen, besonders Ehefrauen, können diesem Typus Mann schon länger nicht mehr allzu viel abgewinnen. Deshalb hat Pascha Paul es auf drei Ehen gebracht. Karin (Sheri Hagen) und Martina (Ines Honsel), seine ersten beiden Frauen, haben ihre Ehejahre so gut es geht abgehakt. Jetzt muss sich die fast zwanzig Jahre jüngere Susanne (Picco von Grote) mit dem Göttergatten herumärgern. Und der will sich partout nicht mehr an ihre gemeinsame Absprache erinnern: Paul hatte vor fünf Jahren zugestimmt, dass er mit 59 Jahren in Vorruhestand gehen würde, damit Suse wieder in ihren Beruf einsteigen und er sich um den kleinen Franz (Jakob Josef Gottlieb) kümmern könne. Jetzt aber zeichnet sich für ihn der Höhepunkt seiner Karriere ab: das langersehnte Angebot, das größte Passagierflugzeug seiner Airline fliegen zu dürfen. Susanne ist verletzt, aber anstatt passiv zu „nerven“, stellt sie Paul ein Ultimatum: Sie gibt ihm eine Woche allein mit Franz. „Es ist deine letzte Chance, ein guter Vater zu werden“. Seine Papa-Qualitäten kann er nun allerdings gleich dreifach unter Beweis stellen: Denn plötzlich stehen auch seine (fast) erwachsenen Kinder, der labile Jonas (Pablo Grant) und die eigenwillige Tabea (Harriet Herbig-Matten), auf der Matte, und sie wollen offenbar etwas von ihrem „Vater“, was sie bisher von ihm nicht bekommen haben.
Foto: Degeto / Verena Heller Ghanbar
„Ich hatte schon zwei Kinder. Ich hab‘ jetzt nicht zwingend ein drittes gebraucht.“ Diese „Ehrlichkeit“ ist natürlich das Letzte, was eine Frau von ihrem Mann hören will, wenn es um die künftige Kinderbetreuung des gemeinsamen Sohnes geht, die über vier Jahre allein ihr oblag. Das Ultimatum der Ehefrau in dem ARD-Fernsehfilm „Nie zu spät“ ist ein Reflex auf veränderte Rollenbilder und neue Kräfteverhältnisse, spiegelt also etwas vom aktuellen Beziehungszeitgeist wider, der allerdings noch nicht überall in der Praxis angekommen ist. Bei dem Konflikt im Film ist das eher selten von Erfolg gekrönte Rumerziehen am Partner durchaus angebracht – immerhin geht es um eine beidseitige Absprache und somit um einen Vertrauensbruch des Mannes. Und den Gatten mit dem Rollenverständnis von gestern vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist besonders im Rahmen einer moralischen Komödie eine wirkungsvolle Ausgangsidee. Zur richtig runden Sache wird die Geschichte durch die kluge Dramaturgie, mit der Autorin Sarah Schnier („Barfuß bis zum Hals“ / „Mona kriegt ein Baby“) die Backstory und den Charakter der Hauptfigur andeutungsweise – sprich: clever verdichtet – in die Handlung hineinholt. So wird aus der vermeintlich vordergründigen Ehekomödie ein Familiendrama, das sich zum Road-Movie wandelt: Durch den im wahrsten Sinne des Wortes erweiterten Horizont bekommt der Vater eine andere Sicht auf die Dinge.
Und auch der Zuschauer gewinnt durch diesen Genre-Move. Wie überhaupt „Nie zu spät“ von Anfang an nicht nur dramaturgisch sondern auch filmästhetisch weit Fernsehfilm-Durchschnitt liegt. Die beiläufige Einführung der Nebenplots deutet gleich zu Beginn unaufdringlich an, dass sich um den Mann, der so gern klare Ansagen macht, etwas zusammenbraut. Er selbst malt sich im Kopf schon mal das Schreckensszenario „Hausmann“ aus. Dann steht der Kindersitz neben dem Parkplatz vorm Haus. Der Zuschauer ahnt, was Sache ist. Der Held noch nicht. Immer wieder gibt Schnier den Zuschauer*innen gegenüber Paul ein gewisses Mehrwissen. Das erhöht den Spaß daran, diesem sympathischen, aber prähistorischen Macho dabei zuzusehen, wie er mehr und mehr in die Bredouille gerät. Dabei stimmt ganz besonders das Timing. Dass Paul den Brief mit der „letzten Chance“ nur kurz anliest und dann erst mal von seinen Kindern überrollt wird und eine telegene Familien-Videokonferenz mit seinen ersten zwei Frauen abhalten muss, bevor er überhaupt von dem Ultimatum erfährt, sorgt für den perfekten Flow. Suses Zeilen quittiert er zwar mit einem „So ein Quatsch“. Aber er weiß sehr genau, was er an dieser Frau hat, und er weiß, dass sie seine „letzte Chance“ ist.
Foto: Degeto / Verena Heller Ghanbar
Regisseur Tomy Wigand („Das große Comeback“ / „Die Büffel sind los“) beweist unter tatkräftiger Unterstützung des preisgekrönten Kameramanns Holly Fink einmal mehr sein großes Talent, das Schwere im Leichten, das Tragische im Komischen filmisch reizvoll schweben zu lassen. Das eigentliche Thema von „Nie zu spät“ ist die Vater-Werdung, die weibliche Erziehungsmaßnahme ist eher Mittel zum Zweck. So kann man die klare Finalisierung durch das Ultimatum („eine Woche“) glatt vergessen, zumal auch Ehefrau Nummer 3 bis zur Schlussszene von der Bildfläche verschwindet. Die Geschichte lebt vielmehr von den gemeinsamen Stunden der drei „Kinder“ mit ihrem über Jahre abwesenden Vater, der das schwere Erbe des eigenen Vaters abzustreifen versucht. Zu sehen bekommt man launige kleine Momentaufnahmen. Mal landet das Oldie-Wohnmobil im Schnee, mal amüsieren sich die drei auf Kosten von Paul, mal zeigt er ihnen eine Erdfunkstelle, ein Feld voller Parabolantennen. Ein Sinnbild dafür, dass es mit der Familienkommunikation immer besser klappt. Gefühle spielen eine Rolle, kitschig aber wird es nie. Auch psychische Probleme werden angesprochen. Der erwachsene Sohn leidet noch immer unter dem dominanten Vater, die Teenagertochter ritzt sich den Arm blutig. Gelöst werden die Probleme nicht. Wie auch, in nur wenigen Tagen erzählte Zeit und in 90 Film-Minuten (Der Stoff könnte eine Serie tragen)?! Aber die Familie ist auf einem guten Weg. (Text-Stand: 28.1.2022)