Nie zu spät

Ferch, von Grote, Grant, Schnier, Wigand. Die letzte Chance, ein guter Vater zu werden

28.12.2024 16:50 ARD
22.03.2025 09:00 rbb
23.03.2025 01:35 rbb
29.03.2025 13:00 WDR
Foto: Degeto / Verena Heller Ghanbar
Foto Rainer Tittelbach

Weil ihr Göttergatte sich nicht mehr an eine Vorruhestands-Abmachung mit seiner sehr viel jüngeren dritten Frau erinnern möchte, stellt diese ihm ein Ultimatum: eine Woche allein mit ihrem gemeinsamen Sohn. Seine Papa-Qualitäten muss der Mann allerdings gleich dreifach unter Beweis stellen: Denn plötzlich stehen auch seine fast erwachsenen Kinder auf der Matte. Der top besetzte ARD-Fernsehfilm „Nie zu spät“ (U5 Filmproduktion) reflektiert veränderte Geschlechterbilder und spiegelt damit etwas vom Beziehungs-Zeitgeist wider. Den Gatten mit dem Rollenverständnis von gestern vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist besonders im Rahmen einer moralischen Komödie eine wirkungsvolle Ausgangsidee. Zur richtig runden Sache wird die Geschichte durch die kluge Dramaturgie, mit der Autorin Sarah Schnier die Backstory und den Charakter der Hauptfigur clever verdichtet in die Handlung hineinholt. So wird aus der vermeintlich vordergründigen Ehekomödie eine Familiendramödie, die sich zum launigen Road-Movie wandelt. Regisseur Tomy Wigand beweist unter tatkräftiger Unterstützung von Kameramann Holly Fink einmal mehr sein großes Talent, das Schwere im Leichten, das Tragische im Komischen filmisch reizvoll schweben zu lassen.

Flugkapitän Paul Langner (Heino Ferch) ist das, was man früher gern einen ganzen Kerl nannte. Ein Mann, der nur nach vorne blickt, ein Erfolgsmensch ohne Selbstzweifel. Frauen, besonders Ehefrauen, können diesem Typus Mann schon länger nicht mehr allzu viel abgewinnen. Deshalb hat Pascha Paul es auf drei Ehen gebracht. Karin (Sheri Hagen) und Martina (Ines Honsel), seine ersten beiden Frauen, haben ihre Ehejahre so gut es geht abgehakt. Jetzt muss sich die fast zwanzig Jahre jüngere Susanne (Picco von Grote) mit dem Göttergatten herumärgern. Und der will sich partout nicht mehr an ihre gemeinsame Absprache erinnern: Paul hatte vor fünf Jahren zugestimmt, dass er mit 59 Jahren in Vorruhestand gehen würde, damit Suse wieder in ihren Beruf einsteigen und er sich um den kleinen Franz (Jakob Josef Gottlieb) kümmern könne. Jetzt aber zeichnet sich für ihn der Höhepunkt seiner Karriere ab: das langersehnte Angebot, das größte Passagierflugzeug seiner Airline fliegen zu dürfen. Susanne ist verletzt, aber anstatt passiv zu „nerven“, stellt sie Paul ein Ultimatum: Sie gibt ihm eine Woche allein mit Franz. „Es ist deine letzte Chance, ein guter Vater zu werden“. Seine Papa-Qualitäten kann er nun allerdings gleich dreifach unter Beweis stellen: Denn plötzlich stehen auch seine (fast) erwachsenen Kinder, der labile Jonas (Pablo Grant) und die eigenwillige Tabea (Harriet Herbig-Matten), auf der Matte, und sie wollen offenbar etwas von ihrem „Vater“, was sie bisher von ihm nicht bekommen haben.

Nie zu spätFoto: Degeto / Verena Heller Ghanbar
Der Schüchterne (Pablo Grant) und der Selbstgefällige (Ferch). „Ich hab noch nie ein Problem mit Frauen gehabt…“ Das sieht der Sohnemann anders: drei Ehen! Ein genauso großes Problem hat der Flugkapitän mit dem Vatersein und dem Zuhörenkönnen.

„Ich hatte schon zwei Kinder. Ich hab‘ jetzt nicht zwingend ein drittes gebraucht.“ Diese „Ehrlichkeit“ ist natürlich das Letzte, was eine Frau von ihrem Mann hören will, wenn es um die künftige Kinderbetreuung des gemeinsamen Sohnes geht, die über vier Jahre allein ihr oblag. Das Ultimatum der Ehefrau in dem ARD-Fernsehfilm „Nie zu spät“ ist ein Reflex auf veränderte Rollenbilder und neue Kräfteverhältnisse, spiegelt also etwas vom aktuellen Beziehungszeitgeist wider, der allerdings noch nicht überall in der Praxis angekommen ist. Bei dem Konflikt im Film ist das eher selten von Erfolg gekrönte Rumerziehen am Partner durchaus angebracht – immerhin geht es um eine beidseitige Absprache und somit um einen Vertrauensbruch des Mannes. Und den Gatten mit dem Rollenverständnis von gestern vor vollendete Tatsachen zu stellen, ist besonders im Rahmen einer moralischen Komödie eine wirkungsvolle Ausgangsidee. Zur richtig runden Sache wird die Geschichte durch die kluge Dramaturgie, mit der Autorin Sarah Schnier („Barfuß bis zum Hals“ / „Mona kriegt ein Baby“) die Backstory und den Charakter der Hauptfigur andeutungsweise – sprich: clever verdichtet – in die Handlung hineinholt. So wird aus der vermeintlich vordergründigen Ehekomödie ein Familiendrama, das sich zum Road-Movie wandelt: Durch den im wahrsten Sinne des Wortes erweiterten Horizont bekommt der Vater eine andere Sicht auf die Dinge.

Und auch der Zuschauer gewinnt durch diesen Genre-Move. Wie überhaupt „Nie zu spät“ von Anfang an nicht nur dramaturgisch sondern auch filmästhetisch weit Fernsehfilm-Durchschnitt liegt. Die beiläufige Einführung der Nebenplots deutet gleich zu Beginn unaufdringlich an, dass sich um den Mann, der so gern klare Ansagen macht, etwas zusammenbraut. Er selbst malt sich im Kopf schon mal das Schreckensszenario „Hausmann“ aus. Dann steht der Kindersitz neben dem Parkplatz vorm Haus. Der Zuschauer ahnt, was Sache ist. Der Held noch nicht. Immer wieder gibt Schnier den Zuschauer*innen gegenüber Paul ein gewisses Mehrwissen. Das erhöht den Spaß daran, diesem sympathischen, aber prähistorischen Macho dabei zuzusehen, wie er mehr und mehr in die Bredouille gerät. Dabei stimmt ganz besonders das Timing. Dass Paul den Brief mit der „letzten Chance“ nur kurz anliest und dann erst mal von seinen Kindern überrollt wird und eine telegene Familien-Videokonferenz mit seinen ersten zwei Frauen abhalten muss, bevor er überhaupt von dem Ultimatum erfährt, sorgt für den perfekten Flow. Suses Zeilen quittiert er zwar mit einem „So ein Quatsch“. Aber er weiß sehr genau, was er an dieser Frau hat, und er weiß, dass sie seine „letzte Chance“ ist.

Nie zu spätFoto: Degeto / Verena Heller Ghanbar
Der Pascha lässt sich kutschieren. Ein ganzer Kerl, 59, aber kein Führerschein. So angespannt ist die Situation nicht die ganze Roadmovie-Zeit. Spätestens als Franz Musik hören will, wird die Stimmung schlagartig besser. Ein musikalisches Schmankerl ist auch für die Zuschauer:innen bzw. Zuhörer:innen Pauls Playlist – mit folgenden Songs: R. Kelly („I Believe I Can Fly“), Reinhard Mey („Über den Wolken“, Frank Sinatra („Come Fly With Me“), John Denver („Leaving On A Jet Plane“), Herbert Grönemeyer („Flugzeuge im Bauch“), Lenny Kravitz („Fly Away“)

Regisseur Tomy Wigand („Das große Comeback“ / „Die Büffel sind los“) beweist unter tatkräftiger Unterstützung des preisgekrönten Kameramanns Holly Fink einmal mehr sein großes Talent, das Schwere im Leichten, das Tragische im Komischen filmisch reizvoll schweben zu lassen. Das eigentliche Thema von „Nie zu spät“ ist die Vater-Werdung, die weibliche Erziehungsmaßnahme ist eher Mittel zum Zweck. So kann man die klare Finalisierung durch das Ultimatum („eine Woche“) glatt vergessen, zumal auch Ehefrau Nummer 3 bis zur Schlussszene von der Bildfläche verschwindet. Die Geschichte lebt vielmehr von den gemeinsamen Stunden der drei „Kinder“ mit ihrem über Jahre abwesenden Vater, der das schwere Erbe des eigenen Vaters abzustreifen versucht. Zu sehen bekommt man launige kleine Momentaufnahmen. Mal landet das Oldie-Wohnmobil im Schnee, mal amüsieren sich die drei auf Kosten von Paul, mal zeigt er ihnen eine Erdfunkstelle, ein Feld voller Parabolantennen. Ein Sinnbild dafür, dass es mit der Familienkommunikation immer besser klappt. Gefühle spielen eine Rolle, kitschig aber wird es nie. Auch psychische Probleme werden angesprochen. Der erwachsene Sohn leidet noch immer unter dem dominanten Vater, die Teenagertochter ritzt sich den Arm blutig. Gelöst werden die Probleme nicht. Wie auch, in nur wenigen Tagen erzählte Zeit und in 90 Film-Minuten (Der Stoff könnte eine Serie tragen)?! Aber die Familie ist auf einem guten Weg. (Text-Stand: 28.1.2022)

tittelbach.tv ist mir was wert

Mit Ihrem Beitrag sorgen Sie dafür, dass tittelbach.tv kostenfrei bleibt!

Kaufen bei

und tittelbach.tv unterstützen!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Fernsehfilm

ARD Degeto

Mit Heino Ferch, Picco von Grote, Pablo Grant, Harriet Herbig-Matten, Jakob Josef Gottlieb, Ines Honsel, Sheri Hagen, Jale Arikan, Lorena Handschin, Irina Wanka

Kamera: Holly Fink

Szenenbild: Holger S. Müller

Kostüm: Mika Braun

Schnitt: Christian Nauheimer

Musik: Rainer Bartesch

Redaktion: Stefan Kruppa, Christoph Pellander

Produktionsfirma: U5 Filmproduktion

Produktion: Norbert Walter, Oliver Arnold

Drehbuch: Sarah Schnier

Regie: Tomy Wigand

Quote: 3,14 Mio. Zuschauer (11,1% MA)

EA: 26.02.2022 20:15 Uhr | ARD

Spenden über:

IBAN: DE59 3804 0007 0129 9403 00
BIC: COBADEFFXXX

Kontoinhaber: Rainer Tittelbach