Der ehemalige Fremdenlegionär Markowitz arbeitet für ein Menschenhändler-Kartell. „Ich bin nur der Fahrer“, sagt er. Bei einer jungen Frau aus dem Senegal, die mit ihrer Familie einst aus Deutschland ausgewiesen wurde, ist er dann doch mehr als der Fahrer. Jene Lola sucht in Hamburg ihre Schwester, die sich schon vor Monaten wieder nach Deutschland „einschleusen“ ließ. Seit Wochen fehlt von ihr jede Spur. Doch sie lebt. Unter dem Namen „Marie France“ arbeitet sie als Kindermädchen bei den de Graafs. Während der pensionsreife Markowitz eine seiner letzten „Fuhren“ ablädt, sitzt Marie France bei Erichsen & Co in den KDD-Räumen und erzählt bruchstückhaft von den Schlägen und Übergriffen ihres Arbeitgebers. Obwohl sie ihre Aussage später zurücknimmt, werden Erichsen und Brenner aktiv in der Sache. Julius de Graaf, besorgt um seinen Ruf, veranlasst, dass die Afrikanerin „wegkommt“, ob ins Ausland oder eine Kugel in den Kopf, egal, Hauptsache weg. Markowitz und Pirroni, ein anderer Fahrer, sollen den Job übernehmen. Nicht mit Markowitz. Der alte Haudegen hat diesen Job endgültig satt – und er beschließt, seine letzte Schlacht zu schlagen.
Foto: ZDF / Stephan Persch
Zwei Minuten hatte Lars Becker einst Zeit, um „Nachtschicht“ zu pitchen:
„Neben dem täglichen deutschen Krimi-Mainstream, wo zwei Kommissare einen Whodunit-Mordfall ermitteln, fehlt eine innovative, moderne Polizeiserie, in der das klassische Gut-Böse-Modell abgelöst wird. ‚Nachtschicht’ ist eine Chance, harte Storys mit sozialen, durchgeknallten und grotesken Milieus und Figuren zu erzählen. Alltagskriminalität ohne didaktischen Zeigefinger. Ein Mixtape urbaner multikultureller Realität. Außerdem holt Ihr euch junge Zuschauer, von denen ihr sonst nur noch die Rücklichter seht.“
Bei der zehnten „Nachtschicht“ kommt die typische Eine-Nacht-Dramaturgie der ZDF-Reihe weniger als gewohnt zum Tragen. Diese Geschichte vom hochprofitablen Geschäft einer modernen Form des Sklavenhandels und von einem Mann fürs Grobe, der im Alter plötzlich Skrupel bekommt und nicht länger weg gucken mag, müsste nicht zwingend in einer Nacht erzählt werden. Allein der äußere Druck ist in 12 Stunden ein wenig höher als bei einer Ermittlung über mehrere Tage. Auch wenn sich die Teilfälle der meisten „Nachtschichten“ im Verlauf der Handlung treffen – so hat Lars Becker die bisherigen Episoden thematisch nie so stark fokussiert wie „Reise in den Tod“. Wie man das auch bewertet (die Hintergründe zum Thema Menschenhandel werden nicht elegant, aber doch relativ beiläufig in die Dialoge vor allem von der Vietnamesin Mimi Hu eingebaut) – die Messlatte für die Reihe liegt hoch und dieser Jubiläumsfall ist nicht angetreten, um nur die Erwartungen dieser etwas anderen Krimi-Reihe zu befriedigen. Variation muss sein, sonst ist das Andere bald wieder nur Konvention.
Foto: ZDF / Stephan Persch
Lars Becker über den thematischen Hintergrund von „Reise in den Tod“:
„Hunger, Armut und Bürgerkriege zwingen Tausende von Flüchtlingen mit Schleppern durch halb Afrika übers Mittelmeer nach Europa. Viele sind vorher schon in Europa gewesen. In Italien, Frankreich, Deutschland. Viele sind in diesen Ländern sogar geboren. Viele sprechen die jeweilige Sprache, sind aber ohne Papiere. Das ist die Story… Im Menschenhandel sind Menschen die Ware. Wenn jemand verschwindet, ist das ein ökonomisches Problem, kein humanitäres.“
Wie zuletzt beim Cenk-Batu-„Tatort“ leistet es sich der Autor-Regisseur Becker, die einzelnen Geschichten erst einmal zu entwickeln und sie entspannt zusammenzuführen, bevor es genregemäß zur Sache geht. Becker kann auf die Popularität seines Teams und Götz Georges setzen und muss nicht gleich in der ersten Filmhälfte (aus Sorge um den zappenden Zuschauer) sein Pulver verschießen. Ein Nebeneffekt: die Abläufe zwischen den Gangstern werden als ganz „normale“ geschäftliche Beziehungen dargestellt, entsprechend werden sie als Menschen gezeigt, umso überraschender ist es, wenn dann plötzlich Waffen ins Spiel kommen und sich der erste Tote in seinem Blut wälzt. Die zweite Hälfte von „Reise in die Nacht“ zieht mächtig an – wahrscheinlich funktioniert das aber nur so gut, weil in den ersten 45 Minuten alle Spuren so präzise ausgelegt und Figuren so genau eingeführt wurden. Am Ende gibt es dann den obligatorischen Showdown bei Tageslicht. Und: Nicht alles wird gut…