6,6 Millionen Zuschauer ließen sich unlängst zu Matti Geschonnecks „Duell in der Nacht“ locken. In Maßen erfolgreich war auch die Serie „KDD – Kriminaldauerdienst“. Mit ihr revolutionierte das ZDF am nachhaltigsten sein Freitagskrimi-Image und bekam dafür Grimme-Preis und Deutschen Fernsehpreis. Der eigentliche öffentlich-rechtliche Vorreiter in Sachen modernes TV-Erzählen aber ist „Nachtschicht“. Die Krimireihe nimmt sich aus wie eine Synthese der beiden anderen Formate. 12 Stunden werden auf 90 Minuten verdichtet, in denen ein KDD-Team auf den Straßen Hamburgs mehrere Fälle parallel lösen muss. Autor-Regisseur Lars Becker hat sich mit „Ich habe Angst“ zum fünften Mal auf die Spuren der US-Serie „24“ und zugleich ins Spannungsfeld zwischen Genre und Realismus begeben.
Ein Springmesser ist es, das die Fälle einer Nacht miteinander verbindet. Zwei Kids erstehen es bei einem zwielichtigen Händler. Es wandert weiter zur Lehrerin der beiden, die aber mehr als über dieses Mordwerkzeug aufgebracht ist über die schlimmen Spuren körperlicher Misshandlungen, die sie an einem der Jungen feststellen musste. „Ich mache mit meinem Kind, was ich will“, bekommt sie zur Antwort. Das Kind leugnet die Schläge. Die Beamten vom KDD sind also machtlos. Währenddessen sinnt der jähzornige Täter auf Rache: ein Ex-Kollege soll der Lehrerin Angst machen. Dieser Mann fürs Grobe ist derselbe, der den Jungs das Messer verkauft hat. Auf unheilvolle Weise kommt es zu ihm zurück.
„Ich habe Angst“ erzählt noch weitere Geschichten: vom Vater des anderen Jungen, der seine wahre Familie in der Textil-Mafia gefunden hat, von dessen unwissender Frau, die der Polizei wichtige Hinweise gibt, von einem Schuldirektor, dem der gute Ruf seiner Anstalt und die eigene Karriere wichtiger sind als die Wunden und Verletzungen seiner Zöglinge. Das alles in einer einzigen Nacht unterzubringen, benötigt erzählerisches Geschick. Dadurch, dass Becker die Geschichten kunstvoll miteinander verknüpft und sich alles schicksalhaft aufeinander beziehen lässt, entfernt er sich in seinem fünften Film am weitesten vom Realismus-Touch der Alles-in-einer-Nacht-Dramaturgie. So wirkt diese „Nachtschicht“ wie eine klassische Tragödie, geschlossen, dicht, ganz auf die Mittel des modernen Fernsehens setzend.
„Die Figuren handeln nicht immer politisch korrekt, als Zuschauer bringt man ihnen aber dennoch Sympathie entgegen“, findet Barbara Auer. Für sie war es einer der Gründe, weshalb sie sich für die ZDF-Reihe entschied. Sie löste in der letzten Episode Katharina Böhm ab. Zwischen ihrer Psychologin und dem Instinktbullen, den Armin Rohde ziemlich politisch unkorrekt verkörpert, gibt es in „Ich habe Angst“ einige Irritationen. Sorge bereitet auch Ken Dukens Teddy, der den harten Job seelisch nicht mehr gewachsen zu sein scheint. Souverän undercover im Einsatz ist dagegen Minh-Khai Phan-This Kommissarin Mimi Hu.
Lars Becker hat bislang immer betont, dass er „Nachtschicht“ weniger auf die Geschichten fokussiere als auf „das Milieu, in dem die Arbeit der Polizei stattfindet“. Beim fünften Fall ist das etwas anders. Die Einheit der kriminellen Handlungen, verdichtet in dem von Kameramann Ngo the Chau atmosphärisch eingefangenem Dunkel der Nacht, dominiert über die Welt der Ermittler, denen der Zuschauer stets einen Schritt voraus ist. (Text-Stand: 28.1.2008)