„Wenn man nicht mehr lange zu leben hat – dann gibt es doch Wichtigeres“, findet die Dorfpolizistin Larissa Brandow. Der Berliner Staatsanwalt a.D. Jasper Dänert ist zu ihr nach Brandenburg gekommen. Es schmerzt den todkranken Mann, dass ein Fall von 1992 niemals aufgeklärt wurde. Ein 16-jähriger Junge wurde damals tot in einem Waldstück gefunden. Seine Identität blieb ungeklärt, ebenso die des Täters. Dänert bittet die junge Frau um Mithilfe. Da das Ermittlungsverfahren noch nicht wieder eröffnet wurde, der mit dem Krebs kämpfende Mann aber nicht warten kann, appelliert er an den Menschen in der Polizistin. Auch Brandow verbindet etwas mit dem Fall. Sie fand die Leiche des Jungen. Die Ermittlungen sind für sie ein Stück weit Therapie. Doch die Frage bleibt: Was treibt diesen Staatsanwalt am Ende seines Lebens an? Will er nur seine Bilanz in Ordnung bringen?
„Wir nehmen keine moralische Bewertung und schon gar keine Verurteilung vor, wir teilen nicht in Gut und Böse, sondern stellen alle Protagonisten in ihrer Zerrissenheit dar.“ (Andreas Kleinert)
Vielleicht will jener Dänert seinen letzten Tagen noch etwas Sinn geben. Das Leben mit seiner Frau, die etliche Jahre jünger ist als er und noch als Anwältin arbeitet, ist nicht von allzu großer Herzlichkeit geprägt. Sie leben in repräsentativer Bürgerlichkeit nebeneinander her. Seine Frau betrügt ihn mit dem gemeinsamen Freund. Ihre Gespräche werden auf ein Minimum reduziert. Der alte Mann flüchtet immer wieder aus seinem Fassaden-Dasein. Seine Streifzüge im Auto durchs nächtliche Berlin bringen ihn auf andere Gedanken. Dazu immer wieder eine beruhigende Zigarette im Mundwinkel. Die letzten Freiheiten eines „Gefangenen“.
„Ich mag keine Filme, bei denen man nach zehn Minuten ahnt oder sogar weiß, wie er laufen wird“, betont Regisseur Andreas Kleinert. „Knackige Expositionen“, die schnell eine Filmgeschichte durchstarten lassen, interessieren ihn nicht. „Man muss als Zuschauer die Möglichkeit haben, sich einem Film zu nähern wie einem fremden Menschen. Bei einer ersten Begegnung erzählt der mir ja auch nicht sein ganzes Leben.“ Dieses Statement bringt die Ästhetik von „Nacht ohne Morgen“ auf den Punkt. Kleinert ERZÄHLT nach dem Drehbuch von Karl-Heinz Käfer („Mein Vater“) eine Geschichte – in Bildern, ausschnitthaft und atmosphärisch montiert, trotz der Finalität, die die Ermittlungstätigkeit mit sich bringt. Der Plot trägt Züge eines Kriminalfilms, der sich im Laufe der Handlung zunehmend zu einem psychologischen Drama auswächst. Dabei spielt die Lebenslüge die zweite Hauptrolle. In weiteren Nebenrollen: die Schuld, das Geständnis, die Beichte. Die fast unmerklichen Gesten, die Pausen, das nicht Gezeigte, das nicht Gesagte, all das machen dieses kleine Kammerspiel in herbstlicher Landschaft zu einem Fernsehfilm von großer cineastischer Qualität.
Götz George ist mit den Jahren leiser geworden, besonders bei Kleinert, mit dem er „Mein Vater“, „Als der Fremde kam“ und zwei „Schimanskis“ drehte, bekommt diese Zurückhaltung nicht ihrerseits wieder etwas von einer (unterspielten) Pose. In „Nacht ohne Morgen“ sehen wir einmal nicht in erster Linie Götz George spielen, sondern wir sehen einen Mann in stiller Verzweiflung, der in Demut seinem Lebensende entgegengeht, wir ahnen einen Zerrissenen hinter Jasper Dänert, diesem Mann, der – man kann es als Zuschauer vergessen – von Götz George gespielt wird. Andere Filme, insbesondere die neuen „Schimanskis“ arbeiten mit dem Mythos George, Andreas Kleinert dagegen arbeitet mit dem großartigen Schauspieler Götz George, den er in seinen von Düsternis geprägten Kosmos kongenial einzupassen weiß.