Tristan ist ein Träumer und er steht mit seinen fast 40 Jahren immer noch unter dem Pantoffel der Mutter. Schon oft hat er sich seine Frau Mama tot gewünscht. „Sie müssen sich von Ihrer Mutter lösen“, rät ihm seine Therapeutin inständig. Doch er schafft es nicht. „Bring um, sei Mann und zack!“, rät ihm Kneipenkumpel Josip. Der meint es offenbar ernst. „Ich kann helfen, Problem lösen.“ Gesagt, getan – und so stehen die beiden wenige Minuten später in Muttis heiligen Hallen. Doch selbst der Auftragskiller wird mit jener Hannelore Fromm, in den 70ern Sexfilmstar und heute Verlegerin erotischer Bücher, nicht fertig. Mama ist nur fast tot. Dabei hätten sie sich diesen mordsmäßigen Aufwand sparen können. Neueste Diagnose: Mutter Hannelore ist schwer herzkrank, es ist nur noch eine Frage von Wochen. Jetzt meldet sich Tristans schlechtes Gewissen – und so überredet der liebe Sohn die schreckliche Mutter zu einem gemeinsamen Kuraufenthalt. Um sie aus der Schusslinie zu nehmen, denn der erfolglose Killer hat den Auftrag weiterverkauft – an echte Profis.
Foto: ZDF / Julia Terjung
Soundtrack: u.a. Alexi Murdoch („Wait“ & „Song for you“), Hans Zimmer („Vide cor meum“), Renato Carosone („Guaglione“), Dominique A („Le courage des oiseaux“), Billie Holiday („My man“)
1000 Wege, sich aus der mütterlichen Umklammerung zu befreien. Tristan hat sie alle schon durchgespielt. In „Mutter muss weg“ werden die Phantasien noch einmal zum Leben erweckt – und wieder antwortet die Mutter mit neuen Unverschämtheiten und Respektlosigkeiten. Hier das verklemmte Muttersöhnchen mit der handfesten Persönlichkeitsstörung, das Puppenhäuser produzieren möchte, um die Sehnsüchte der Frauen zu befriedigen. Dort die nicht minder pathologische, mütterliche Domina, die sich für ihren spießigen Sohnemann zeitlebens schämt („Das ist nur mein Sohn“). Die Beziehung der beiden formt Drehbuchautor Marc Terjung zu einem köstlich paradoxen Psycho-Dilemma. Was kultiviert beginnt, gerät zusehends in die Schraube einer anarchischen Komik, die am Ende völlig Amok läuft. Sexuelle Wunschvorstellungen und Tötungsphantasien jagen sich bis zum blutigen Vor-Finale. Der vermeintliche Mutter-Killer entpuppt sich als ihr jugendlicher Liebhaber. „Glaubst du, ich fahr zur Kur – und nehm’ mir nichts mit!?“ Und Mutti plaudert auch bei Tisch gern aus dem erotischen Nähkästchen. „Wann hast du das letzte Mal eine Frau gehabt?“, will sie außerdem wissen, „du weißt ich hab’ nichts gegen Selbstbefriedigung…“ Diese Mutter! Der Sohn versinkt vor Scham, lässt sich dann allerdings doch seine sexuelle Frustration austreiben.
Foto: ZDF / Julia Terjung
„Mutter muss weg“ schafft etwas, was hierzulande aller Jubel Jahre ein Mal gelingt: eine Fernsehfilmkomödie ohne Love Interest, die nicht nur mit ihren komischen Details besticht, sondern die eine (in diesem Fall traumatisch absurde) Sogkraft entwickelt – was auch an der stimmig-stimmungsvollen Inszenierung liegt (perfekte Bildausschnitte, elegante Ausstattung, makellose Montage). Ausgehend von einer „Schlüsselbeziehung“ mit den Urmotiven Aggression vs. Angst zielt die Handlung in die Richtung jener universalen Komik, die keiner in Deutschland so beherrschte wie Loriot. Die Parallelen zu „Ödipussi“ sind kein Zufall. Terjung schickt seine Psycho-Couch-Anwärter in den Kampf. Ein Gefecht mit feiner Klinge – auch wenn die Mutter ab und an verbale Grobheiten durch die vornehme Kuranlage raunt („Du warst von Anfang an eine Enttäuschung“). Bastian Pastewka sieht aus wie „Pastewka“ – die Frisur sitzt, der Anzug passt, fein nuancierte Mimik trifft auf füllige Hüften, Charakter- auf Körperkomik und sogar im Slapstick-Fach hat dieser großartige Komödiant die Lacher auf seiner Seite. Judy Winter muss dagegen die Knalleffekte setzen, mit Raucherstimme und Kommando-Ton mimt sie ein Muttermonster, das im nächsten Moment seinem Baby die Brust gibt („Deine Mama hat dich immer lieb“). Kurzum: Großartiges Buch, böse & atemberaubend seine Wendungen, geschliffene Dialoge, wunderbare Inszenierung, perfekt getimt, göttliche Schauspieler. Da hat jemand das Wesen von Loriots Komik wirklich verstanden und es an den Zeitgeist des 21. Jahrhunderts angepasst. TV-Komödie des Jahres! (Text-Stand: 21.9.2012)