München Mord – Leben und Sterben in Schwabing

Heerwagen, Mittermeier, Held, Fitz, Ani/Jung, Sascha Bigler. Schwabing Blues

Foto: ZDF / Jürgen Olczyk
Foto Rainer Tittelbach

Über die Hintertür eines Krimis zielt „Leben und Sterben in Schwabing“ aus der Reihe „München Mord“ (ZDF / TV60Filmproduktion) mittenrein in einen Generationskonflikt und Kulturkampf. Es ist das bittere Spiel, das die Enkel der 68er mit alteingesessenen Mietern treiben. Das Münchner Autorenduo Friedrich Ani und Ina Jung beweist Haltung, schwört aber den Zuschauer nicht billig auf Kulturpessimismus und Melancholie ein. Vielmehr steht das Schallersche Sich-Einfühlen in das Unsichtbare dieses Stadtteils und in die Psyche der Verdächtigen im Zentrum. Das passt gut zur musikalisch-stimmungsvollen Note des Films. Man spürt ein bisschen Wehmut, da ist ein bisschen Anklage und zugleich viel Energie, die auch in Sascha Biglers Inszenierung mit ihren surrealen Momenten steckt. Denn auch die Regie glänzt statt mit Moral-Exkursen mit Typen-Ikonografie & Top-Metaphern.

Armin Riester (Leo Reisinger) war ein Hassobjekt im Viertel, weil er mit dem alten Schwabing nichts am Hut hatte. Jetzt ist der Mann tot, und seine Leiche wird öffentlich zur Schau gestellt, angebunden an einer Straßenlaterne wie an einem Marterpfahl; erdrosselt wurde der Immobilienhai zuvor mit einem Blumendraht. Schaller (Alexander Held), der mit seinem Team eigentlich nur für die liegengebliebenen Fälle zuständig ist, reißt diesen Mord zum Ärger seines Chefs (Christoh Süß) an sich. Er kennt Schwabing, hat in dessen Blütezeit dort gelebt – und er hat auch noch alte Spezerln dort: den Türken-Rudi (Michael Fitz) zum Beispiel, der mit seinem Rocktrio Max V (Dieter Landuris, Johann Nikolussi) auf ein Comeback in der Szene setzt. Oder Fridolin Kitzing (Andreas Wimberger), Tischtennis-As und Bücherwurm, und dessen Tochter Mia (Theresa Hanich), die die Leiche entdeckt hat. Sie alle sind verdächtig. Als Täter infrage kommen auch der Wirt Thorsten Schuck (Max Schmidt), der sein Kultlokal Landvogt nicht wird halten können, und Lukas Gutsch (Florian Karlheim), dessen Eltern von Riester gekündigt wurde, worauf Gutsch Senior wenig später einem Herzinfarkt erlag. Für Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) und Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) bedeutet der Fall zunächst viel Laufarbeit, dann findet das alte Schwabing in der Kommissarin eine echten Fürsprecherin. Auch deshalb, weil sie als die Unerschrockene mit der Ukulele hofft, im Landvogt ihre „Musikkarriere“ voranzutreiben. Doch dann ist sie zur falschen Zeit am falschen Ort, und dabei hat sie Glück im Unglück.

München Mord – Leben und Sterben in SchwabingFoto: ZDF / Jürgen Olczyk
Sie gehören zum Inventar des alten Schwabing. Girgl (Dieter Landuris), der Türken-Rudi (Michael Fitz) und Heinzi (Johann Nikolussi). Zusammen sind sie Max V.

Über die Hintertür eines Krimis zielt „Leben und Sterben in Schwabing“ aus der Reihe „München Mord“ mittenrein in einen Generationskonflikt und Kulturkampf. Es ist das bittere Spiel, das die Enkelgeneration der Achtundsechziger mit alteingesessenen Mietern treibt. „Der Erbe an sich, diese Krake“, von ihr ist gleich zu Beginn im Film die Rede: „Der Erbe erbt, dann rüstet er die Immo auf, schmeißt die alten Leute raus, neue ziehen ein, auch wieder Erben…“ Da fällt es nicht leicht, Distanz zu halten. „Schwabing kämpft gegen das Altern und gegen das Vergessenwerden“, bringt es Neuhauser auf den Punkt – und verfällt in schwärmerische Nostalgie, dabei denkt er weniger an den lebendigen Kiez als vielmehr an die willigen Weibsbilder. Flierl dagegen, eigentlich zu jung, um dieser untergehenden Subkultur etwas abgewinnen zu können, entdeckt ihr Herz für diesen Stadtteil. In ihr verankern das Münchner Autorenduo Friedrich Ani und Ina Jung ein utopisches Moment: Bereits in der Eingangsszene sehen wir die die Kommissarin, wie sie auf der Bühne Bowies „Heroes“ mit Ukulele und dünner Stimme covert. In der Schlussszene hat sie dann zu ihrem Stil gefunden: erdiger, akustischer Bluesrock mit kräftiger Unterstützung eines betagten Lokalmatadors. Die Mischung aus Jung und Alt macht’s, das lässt sich auch als versteckte Botschaft aus diesem launigen Krimi mitnehmen, der den Zuschauer nicht billig auf Kulturpessimismus und Melancholie einschwört. Im Blues findet der Film, selbst eine Art Blues in Bildern, den passenden Stil – da spürt man ein bisschen Wehmut, da ist ein bisschen Anklage, aber auch viel Energie. Die abgeklärteste Haltung zu Schwabing zwischen gestern und heute hat ausgerechnet Schaller. Aber Sentimentalität war noch nie sein Ding. „Du glaubst deinem eigenen Pressetext“, konfrontiert er die von Michael Fitz ikonografisch stark verkörperte Kiez-Größe, die den Wandel nicht akzeptieren mag und die Party ewig weiterfeiern will.

München Mord – Leben und Sterben in SchwabingFoto: ZDF / Jürgen Olczyk
Zu jung, um den Schwabinger Mythos noch verstehen zu können? Harald Neuhauser (Marcus Mittermeier) erinnert sich allenfalls an die Frauen aus dem Viertel. Angelika Flierl (Bernadette Heerwagen) lernt Schwabing – nicht ganz uneigennützig – lieben.

„Ich hab die Schwabinger schon immer für extrem seltsam gehalten; das ist doch das ideale Viertel für dich und deinen Kopf“, stichelt Stangl gegen Ende des Films. Und da sagt er was! Die seltsamen Methoden des Ludwig Schaller entziehen sich tatsächlich herkömmlicher Krimilogik. Der von den meisten Kollegen belächelte Kommissar bevorzugt ein intuitives Ermitteln; das allerdings hat mehr den Unterhaltungsaspekt für den Zuschauer als eine realistische Profiling-Darstellung im Auge. Dieses Sich-Einfühlen in das Unsichtbare dieses Stadtteils und in die Psyche der Verdächtigen passt gut zur musikalischen Note des Films. Auch Musik schafft Fakten mit Gefühl. Beides ist entsprechend im Drehbuch angelegt, das die Handlung sowohl krimiüblich stringent, aber eben auch gelegentlich assoziativ strukturiert. Das wiederum motiviert Regisseur Sascha Bigler immer wieder zu suggestiven Montagen, die den Gang der Handlung unterbrechen, dann aber wieder mit der Tätersuche wirkungsvoll kurzgeschlossen werden – wie bei einer Parallelmontage, in der die Schallerschen Mätzchen mit Neuhausers Verfolgung eines Tatverdächtigen verschnitten werden. Durch solche formalen Raffinessen wird der Krimifall aufgepeppt, der ein klassischer Whodunit ist und der seine Qualität aus dem Milieu zieht, in dem er spielt. Die drei Underdogs verstehen es, einen Assoziationsraum zu (er)schaffen, in dem Gegenwart und Vergangenheit zusammenfließen und in dem bisweilen surreale Momente den TV-Abbildrealismus außer Kraft setzen.

Dem Zuschauer, der weniger ein Auge fürs (Film-)Ästhetische hat, dürfte sich „Leben und Sterben in Schwabing“ vor allem über die Charaktere, deren Vita und deren Images, erschließen. Die drei Kommissare kreisen die Schwabinger Verdächtigen ein, und man sieht, wie die Leute immer unruhiger werden. Und das Bild, das sie abgeben, trägt maßgeblich zur dichten Atmosphäre des Films bei. Da ist die Westerner-Coolness von Fitz‘ Türken-Rudi, da sind die ewigen Rock-&-Roller-Posen seiner Kumpels, da ist der Niedergang derer, die auf der Strecke bleiben. Aber auch andere Zeichen passen ins Bild: der städtische Marterpfahl, der zeitgenössische Saloon, die melancholischen Songs. Statt mit Moral-Exkursen überzeugen die Macher mit eindrucksvollen Metaphern. Da ist der ehemalige Kumpel Schallers, der „entmietet“ wurde und nun in seinem Antiquariat wohnt und inmitten seiner Bücherberge sein bescheidenes Dasein fristet. Auch die Antiquitätenhandlung (ein großartiges Szenenbild!) ist ideal als Projektionsfläche für die Geschichte: Die gläserne Vintage-Pracht der Lampen und Leuchter zeugt von vergänglicher. Am Ende dann der Blues auf der Schwabinger Abrissparty!

München Mord – Leben und Sterben in SchwabingFoto: ZDF / Jürgen Olczyk
Poetischer Realismus. Schaller (Alexander Held) kennt Schwabing und er weiß sehr gut, wie beispielsweise der Türken-Rudi (Michael Fitz), eine Kiez-Größe, tickt. Der Kulturkampf, ausgehend vom Egoismus der Erben, ist ein Kampf der Generationen.l-5264.html

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Reihe

ZDF

Mit Bernadette Heerwagen, Marcus Mittermeier, Alexander Held, Michael Fitz, Christoph Süß, Dieter Landuris, Johann Nikolussi, Florian Karlheim, Max Schmidt, Leo Reisinger, Theresa Hanich, Andreas Wimberger, Bettina Mittendorfer, Mirja Mahir, Sophia Schober

Kamera: Ralf K. Dobrick

Szenenbild: Michael Björn Köning

Kostüm: Theresia Wogh

Schnitt: Manuel Reidinger

Redaktion: Petra Tilger, Stefanie von Heydwolff

Produktionsfirma: TV60 Filmproduktion

Produktion: Sven Burgemeister, Andreas Schneppe

Drehbuch: Friedrich Ani, Ina Jung

Regie: Sascha Bigler

Quote: 4,98 Mio. Zuschauer (18,3% MA); Wh. (2021): 3,69 Mio. (16% MA)

EA: 18.05.2019 20:15 Uhr | ZDF

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