Johannes Ganten, Ende 50, lebt ein unbeschwertes, luxuriöses Leben. Er ist kein Mensch, der sich groß Gedanken macht. Seine Mitmenschen hält er sich gern vom Leib, Freundschaften und intimere Kontakte pflegt er, wenn er von ihnen profitieren kann. Dieser selbstzufriedene emeritierte Professor für Städtebau findet eines Tages einen Zettel in seinem Briefkasten mit dem Satz: Morgen wirst du sterben. Ein dummer Scherz, denkt er – und geht sorglos seiner Wege: spielt Squash, sauniert und macht sich fein für eine exklusive Party bei einer dekadenten Verflossenen. Doch dann kommt plötzlich alles anders als gewünscht: Ganten vergisst seine Schlüssel, er wird überfallen, ausgeraubt, seine Wohnung hat kein Schloss mehr, permanent bimmelt sein Handy, sein Sohn spannt ihm die Freundin aus, eine Pistole liegt auf seinem Küchentisch und dann hält er seine eigene Todesanzeige in den Händen.
Foto: HR
„Ganten ist ein Mensch, der kein Mitgefühl entwickeln kann, der nicht richtig liebt, keine Einsamkeit kennt und keine Verlassensängste“, sagt sein Erfinder Niki Stein. „Er ist ein Lebemensch, dem die Gefühle und Emotionen seiner Nächsten nichts anhaben können, weil sie ihn nicht erreichen.“ Weil so ein Mensch zwar viele Eigenschaften besitzt, die das postmoderne urbane Großstadtleben kennzeichnen, er aber per se wenig Angriffsfläche zur Identifikation bietet, hat sich Autor-Regisseur Stein bei „Morgen musst Du sterben“ für die Grundstruktur des Thrillers entschieden. Dieses Genre funktioniert weniger über Empathie (passt zur Hauptfigur!) als über die Unberechenbarkeit des erwarteten Ereignisses.
„Morgen musst du sterben“ bedient sich dramaturgisch des Thrillers, die Geschichte aber besitzt einen philosophisch existentiellen Kern und kann auch als Studie über einen bestimmten Sozialtypus gesehen werden. Außerdem taugt der Film nicht schlecht als gesellschaftliche Parabel, die die kollektiven bürgerlichen Ängste einer einstmaligen Wohlstandsgesellschaft ans Tageslicht befördert. Man muss dem Film diesen Überbau keineswegs aufpfropfen. Diese 90 Minuten leben und faszinieren auch als Spiel aus sich selbst heraus, als Fernseh-Spiel auch eines großartigen Schauspieler-Ensembles. Die Handlung ist von allen Nebensächlichkeiten entkernt. Jede Szene ist nur in Bezug zur Hauptfigur zu sehen. Im Zeitalter der komplex vernetzten Filmdramaturgien eine willkommene Entlastung vom Aufmerksamkeitsdiktat.
Nicht, dass man bei diesem Film zwischenzeitlich geistig abschalten könnte, nein, man achtet als Zuschauer nur auf andere Details, man sieht Anderes. Man versucht, jede mimische Regung zu lesen, jedes merkwürdige Zeichen zu enträtseln. Die Zeit wird einem gegeben. Nur für Ganten wird die Zeit knapp. Uwe Kockisch spielt diesen Jedermannschen Egomanen ohne Werte mit vielen Gesichtern: anfangs ist dieser Ganten arrogant, dann kleinlaut, verängstigt, schließlich steigert sich die Angst zur Panik (aber Kockisch verliert dabei nie das Wesen seiner Figur). Groß zum Nachdenken kommt da der gute „John“ mal wieder nicht.
Foto: HR