Am Kochelsee ist die Welt noch in Ordnung. Hier lebt die Künstlerin Sabine Sonntag (Katharina Wackernagel) mit ihrem 18-jährigen Sohn Ilya (Vincent Redetzki) in einer freundlichen Dorfgemeinschaft. Gestört wird die Ruhe zunächst durch einen Verdacht, den die Mutter beschleicht und der sich bestätigen soll: Sie wird heimlicher Zeuge eines Toiletten-Quickies von Ilyas Freundin mit dessen Freund Dominik (Max Hegemann). Ausgerechnet Ilya muss das passieren, der Junge ist ja fast zu romantisch in seine Cora verliebt – und am nächsten Tag wollten beide nach Italien fahren! Sabine bekommt mit, dass Dominik ein abendliches Treffen der drei am Höllengrund plant. Ilya pfeift drauf – aber was ist mit Cora? Tags darauf macht Sabine an jener Höhle einen schrecklichen Fund. Und wieder hat sie einen Verdacht – der aber wäre ungleich folgenschwerer… Nein, ihr Sohn kann kein Mörder sein!
Und doch zweifelt die Heldin in „Mord am Höllengrund“ an der Unschuld ihres Sohns. „Ich liebe dich – egal, was du getan hast“, spricht sie ihm auf die Mailbox. Und sie lügt, beseitigt Spuren und verstrickt sich immer mehr in einem Geflecht aus Unwahrheiten. Und keiner kann ihr helfen. Erst nach einer halben Filmstunde darf sich die von Katharina Wackernagel verkörperte, arg seelisch gebeutelte Figur bei ihrer Mutter ausweinen. Diese, gespielt von Eva Mattes, taugt als Kummerkasten, aber nicht als Psychologin. Auch den anderen Protagonisten kann sich die Heldin nicht erklären – sprich: ihre Gefühle als Mutter nach außen kehren. Denn diese Protagonisten werden noch für die Spannung benötigt. Und so ist es nach 30 Minuten vorbei mit der Hoffnung, dass im Film von Maris Pfeiffer nach dem Buch von Daniel Douglas Wissmann („Tod am Engelstein“) über die angenehme Normalität des Szenarios hinaus das Ganze noch ein echtes Drama werden könnte um die Ängste einer Mutter, die in ihrem Sohn einen Mörder zu erkennen glaubt. Nein, das ZDF will lieber seinem Namen als Krimi-Sender Ehre machen und lässt doch noch einen Schatten der Vergangenheit auf die Gegenwart fallen.
Als wendungsreicher Spannungsfilm allerdings erfüllt „Mord am Höllengrund“ das Anforderungsprofil. Eine klare Exposition und auch der innere und äußere Konflikt lassen nicht lange auf sich warten. Der konventionellen Dramaturgie zum Trotz fiebert man von Anfang an in diesem Montagsfernsehfilm mit jener Sabine Sonntag mit. Der Zuschauer ahnt, was sie denkt und wird wenig später fast immer belohnt. „Der ist tot“, sagt der Polizist – und wir sehen, wie die junge Mutter zusammenzuckt. Dabei meinte er doch nur den Motor eines Autos. Mehr Psychologie ist nicht in diesem Film. Nach 40 Minuten weiß auch die Dorfgemeinschaft, dass oben am Höllengrund eine Leiche liegt, nach 60 Minuten wird es eng für die Mutter, die ihre Lügen erklären muss. Alles auf Anfang, alles wird neu durchdacht, jetzt nicht mehr nur in einem Kopf, sondern in mehreren, vor allem dem des Kommissars – und der hält gern Kurzvorträge über kriminelle Energie. „Umstand, Reiz, Reaktion“ – da hat er einiges mit Autor Wissmann und der Art und Weise, wie der seine Story baut, gemeinsam.
Die letzten 15 Minuten – der Zuschauer kennt den Täter – widmen sich ganz der Frage, WIE wendet sich alles noch zum Guten. Diese Schlussviertelstunde bietet alles auf, was fürs Genre recht und billig ist, gelegentlich haarscharf an unfreiwilliger Komik vorbei. Diese Viertelstunde thematisiert – oder besser: funktionalisiert – aber noch etwas: die Liebe einer Mutter und die Frage, wie weit wird sie gehen, um ihr eigen Fleisch und Blut zu retten. Da fällt dann plötzlich die Jahrtausende alte Zivilisation vom Menschen ab. Da huldigt die Frau mit dem netten Lächeln plötzlich dem Gott des Gemetzels. Und eine andere herrscht mit bösem Blick die Heldin an: „Gib mir mein Kind zurück, du Mördermutter!“ (Text-Stand: 9.8.2014)