Romantische TV-Komödien orientieren sich in der Regel an zwei Mustern. Bei Schema A basiert die Beziehung auf einer Notlüge, die das Liebespaar am Ende zu entzweien droht, bei Schema B ist eine Frau, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, zwischen zwei Männern hin und her gerissen. Seit einigen Jahren gibt es noch ein drittes Muster: In Multikulti-Romanzen wie „Meine verrückte türkische Hochzeit“, „Zimtstern und Halbmond“ oder „Servus, Schwiegersohn“ müssen Eltern über ihren Schatten springen, weil sich die Söhne oder Töchter in Frauen oder Männer aus gänzlich anderen Kulturkreisen verliebt haben. Davon handelt auch „Matze, Kebab und Sauerkraut“. Ansonsten orientiert sich Autor Timothy Tremper an Schema B, aber er erzählt die Geschichte aus Sicht der beiden Männer; und schon allein das macht diesen Film besonders. Vielleicht hätte Regisseur Christoph Schnee seine Hauptdarsteller mitunter ein bisschen bremsen können, doch gerade in der Übertreibung von praktisch Allem liegt der komödiantische Reiz dieser ZDF-Komödie.
Noah Hirschmann (Franz Dinda) und Hakim Abu Yazid (Omar El-Saeidi), zwei Berliner um die dreißig, sind seit Kindheitstagen beste Freunde. Schon als Jungs waren sie in dasselbe Mädchen verliebt, doch Sandra hat sich damals für Klausi entschieden. Zwanzig Jahre später – Noah hat heute eine Werkstatt für Oldtimer, Hakim ist Deutschlehrer – ereilt die beiden dieses Schicksal erneut. Autonarr Noah läuft vor einen VW-Käfer, freut sich erst über das Baujahr (1973) und dann über die Frau am Steuer: Als er Charlotte (Christine Eixenberger) erblickt, ist es um ihn geschehen. Aber Charlotte hat’s eilig, sie muss zu einem wichtigen Termin. Am selben Abend sind die Freunde für das Catering einer Verlobungsfeier zuständig; Hakim hat sich zwischenzeitlich ebenfalls unsterblich verliebt. Gastgeber ist ausgerechnet der schnöselige Klaus (Wilson Gonzalez Ochsenknecht), seine Zukünftige ist selbstredend Charlotte, und natürlich ist sie auch die Frau, an die Hakim sein Herz verloren hat.
Soundtrack: Lenny Kravitz („Are You Gonna Go My Way“), T-Rex („Get It On”), Jimmy Cliff („You Can Get It, If You Really Want”), The Temptations („Papa Was A Rolling Stone”), Santa Esmeralda („Don’t Let Me Be Misunderstood”), The Revels („Comanche”), Smokey Robinson („Cruisin’”), Jamie Lidell („Little Bit Of Feel Good”), Amy Winehouse („Amy Amy Amy”), Zero 7 („In The Waitingline”), Blood, Sweat & Tears („And When I Die”)
Schon der Auftakt hat Witz und Tempo für zwei Filme. Das gilt auch für das großartig besetzte Ensemble, denn die beiden Hauptfiguren wären nichts ohne ihre Eltern: Die Abu Yazids (Şiir Eloğlu, Adnan Maral) stammen aus dem Libanon und vertreiben arabische Spezialitäten, die Hirschmanns (Andrea Sawatzki, Francis Fulton-Smith) führen ein jüdisches Restaurant; „seit 1923 mit kleiner tausendjähriger Unterbrechung“, wie es auf dem Messingschild neben dem Eingang heißt. Die Elternpaare sind nicht übertrieben religiös, beide Männer genehmigen sich gern mal nebenbei ein Schlückchen, aber die Söhne sollen standesgemäß heiraten: Hakim eine Muslima, Noah eine Jüdin, und zwar möglichst bald, denn wie alle Eltern in ihrem Alter wollen die Hirschmanns und die Abu Yazids endlich Großeltern werden. Als blonde Christin aus Bayern würde Charlotte die Erwartungen beider Familien nicht mal ansatzweise erfüllen. Theoretisch ist sie ja ohnehin vergeben, doch bei Klausis Verlobungsfeier ist unerwartet die sichtbar schwangere Spielplatzliebe Sandra (Isabell Polak) aufgetaucht. Seither liefern sich Noah und Hakim einen Zweikampf, bei dem alle Mittel erlaubt sind und auf Freundschaft keine Rücksicht mehr genommen werden kann; obwohl sie sich doch einst geschworen haben, dass keine Frau sie jemals trennen soll.
Dank der Spielfreude von Franz Dinda und Omar El-Saeidi sowie der vielen witzigen Einfälle beim Werben um Charlotte würde „Matze, Kebab und Sauerkraut“ auch ohne den religiösen Hintergrund funktionieren; aber der sorgt natürlich für weitere Verwicklungen, weil die Eltern ihre Söhne mit Frauen verkuppeln wollen, die ihrer Ansicht nach als Heiratskandidatinnen ungleich geeigneter wären. Geschmacksache ist dagegen das Stilmittel der Überhöhung, denn es hat zur Folge, dass alle Mitwirkenden dick auftragen: Dinda und El-Saeidi sind oft zu laut, Fulton-Smith ist zu jiddisch, sodass Daniel Hirschmann fast zur Karikatur wird. Andererseits entsprechen sie damit der gesamten Anmutung des Films; Ausstattung (Olaf Rehahn) und Licht (Kamera: Christoph Krauss) sorgen für eine farbliche Sättigung, die es im wahren Leben nicht gibt. Die ständigen Übertreibungen finden sich zudem auf jeder Ebene des Films, zumal Tremper geradezu lustvoll alle nur denkbaren Vorurteile und Stereotype bedient: „Du bist Lehrer, du hast Zeit“, sagt Vater Yussef zu Hakim. „Zeig’ alles, sag’ alles und sei böse“ lautete die Maxime, die sich der Autor für sein auf einer Idee von Produzentin Alice Brauner basierendes Buch gesetzt hat. Der Humor ist gern auch mal handfest; in diesem Film werden mehr Ohrfeigen verteilt als einst in den Haudrauf-Western mit Terence Hill und Bud Spencer.
Und dann ist da ja noch Christine Eixenberger. Dass die Hauptdarstellerin der ZDF-Sonntagsfilmreihe „Marie fängt Feuer“ ihre Figur als Frau zum Verlieben verkörpert, versteht sich von selbst. Erschwerend kommt aus Sicht zumindest von Noah und Hakim hinzu, dass sich die selbstbewusste Charlotte, die ihnen mit ihrem speziellen Humor dauernd das Segel aus dem Wind nimmt, gar nicht zwischen ihnen entscheiden will; sie möchte lieber mit beiden befreundet sein. Das hält die Männer natürlich nicht davon ab, ihr Werben fortzusetzen und sich gegenseitig auszustechen, zur Not buchstäblich, als sie sich zum Rapiergefecht treffen, in ihrer Fantasie stilecht wie Musketiere gekleidet.
Solche kleinen Ideen streut Christoph Schnee immer wieder ein, und meistens sind sie witziger als die eher überflüssigen (aber auch nur seltenen) Kommentare der Protagonisten in die Kamera. Für einen winzigen Gastauftritt wurde Götz Otto in ein Eisbärkostüm gesteckt, ein Blickduell der beiden Freunde inszeniert Schnee zur Musik aus „Spiel mir das Lied vom Tod“, und wenn sie aus Liebeskummer Schnulzen anschauen und bergeweise Papiertaschentücher verbrauchen, hat Martin Stock das Leitmotiv aus dem Klasser „Love Story“ in seine ansonsten überaus schwungvolle Musik integriert. Schnee ist selbstredend nicht der erste, der ein Foto lebendig werden lässt, doch es passt einfach prima, wenn Melek Abu Yazid im Bilderrahm auf dem Schreibtisch ihres Mannes zu zetern beginnt. Der erfahrene Serienregisseur hat diverse Male den Deutschen Fernsehpreis und den Deutschen Comedy-Preis bekommen, unter anderem für „Berlin, Berlin“, „Nikola“, „Der Lehrer“ und „Danni Lowinski“. Sein letzter Film war „Größer als im Fernsehen“ (2019, ARD), ebenfalls ein Vergnügen mit Tiefgang. Die Filmografie von Tremper, der an „Matze, Kebab und Sauerkraut“ auch als Producer beteiligt war, ist deutlich überschaubarer; zumindest als Autor. Sein bislang einziges verfilmtes Drehbuch war „Zwei Familien auf der Palme“ (2015, Sat.1), eine harmlos-heitere Komödie über zwei Familien, die gemeinsam Schiffbruch erleiden. Da ist „Matze, Kebab und Sauerkraut“ von ganz anderem Kaliber, zumal Schnee zum verblüffenden Happy End mit Aby Era noch eine aufregende Fernsehfilmentdeckung aus dem Hut zaubert.