Lucie. Läuft doch!

Cristina do Rego, Eugen Bauder, Kai Albrecht, Nicholas Hause. Alle lieben Lucie!

Foto: RTL / Hardy Spitz
Foto Rainer Tittelbach

Lucie steht zwar mitten im (Berliner) Leben, aber ihren Weg hat sie noch nicht gefunden. Ausgerechnet als sie mal wieder zu Sozialstunden, dieses Mal in einer Einrichtung der Jugendhilfe, verdonnert wird, kommt eines ihrer besonderen Talente zum Vorschein: Sie hat ein Händchen für Jugendliche. Und so nehmen deren soziale und psychologische Probleme, Bettnässen plus Mobbing, fetales Alkoholsyndrom, „Vorbild“ Porno oder schwanger mit 15, geradezu wundersame Wendungen in der Vox-Serie „Lucie. Läuft doch!“ (Eikon Media). Die Bücher machen Lucie erfreulicherweise nicht zu einer jener 08/15-Helfer*innen-Figuren; diese quirlige Person, die einfach intuitiv meist das Richtige tut, wirkt da eher wie ein freches Gegenkonzept zum Mutter-Teresa-Genre. Und da kommt spätestens Hauptdarstellerin Cristina do Rego (34) ins Spiel. Die deutsch-brasilianische Schauspielerin ist das Herzstück, das emotionale Kraftwerk der Dramedy: ein Glücksfall. Der Hang ihrer Figur, mindestens so schnell zu sprechen, wie sie denkt, sorgt sogar für eine Spur Screwball-Comedy-Touch.
Wegen schlechter Quoten aus dem Programm genommen. Serie jetzt auf RTL+!

Lucie (Cristina do Rego), um die 30, steht zwar mitten im Berliner Scene-Leben, aber ihren Weg hat sie noch nicht gefunden. Ausgerechnet als sie mal wieder zu Sozialstunden, diesmal in einer Einrichtung der Jugendhilfe, verdonnert wird, kommt eines ihrer besonderen Talente zum Vorschein: Sie hat ein Händchen für Jugendliche. Soziale Probleme nehmen wundersame Wendungen. Warum das so prima klappt, versteht sie selbst nicht so richtig. Sie kann sich in diese Kids, die „mit schwerem Gepäck unterwegs“ sind, einfach sehr gut hineinversetzen, denn sie hatte selbst keine leichte Kindheit. Sie hat ein gewaltiges Problem mit Autoritäten und mit Ungerechtigkeit, und sie findet Erwachsensein im Sinne von pragmatisch zu allem ja & amen zu sagen reichlich überschätzt. Schön, dass es auch mal einen „Erwachsenen“ gibt, der ihre Fähigkeiten erkennt: Heimleiter Gleim (Robert Schupp) hätte sie zwar beinahe nach wenigen Tagen wieder rausgeschmissen, was ihr nach diversen Vorstrafen sogar Haft hätte einbringen können, aber die ulkigen Kolleginnen aus der Küche (Sanne Schnapp, Hildegard Schroedter) klären die Situation, in die sich Lucie mal wieder hineinmanövriert hat – und so darf sie nicht nur bleiben, sondern bekommt sogar eine Stelle als Betreuerin auf Probe.

Soundtrack:
„Vollidiot“ (1): Boy („Little Numbers“), Cat Stevens („The Wind“), Ezra Vine („Celeste“), Kaleo („Way Down We Go“), Richard Ashcroft („These People“). „Nullchecker“ (3): Angela Aux („Wanna Be A Woman“), Burkini Beach („The World At Our Fingertips“), House of Pain („Jump Araound“). „Pissnelke“ (4): Anna of the North („Leaning By Myself“), Ilgen-Nur („17“), MØ feat. What So Not & Two Feet („Mercy“), George Baker Selection („Little Green Bug“)

Jana Stölger („Reason“, Titelsong)

Lucie. Läuft doch!Foto: RTL / Hardy Spitz
Eine etwas andere Gerichtssituation. Bär (Markus Hammer), Bartels (Kai Albrecht) und Heimleiter Gleim (Robert Schupp) müssen entscheiden, wie es mit Lucie (Cristina do Rego) weitergeht. Die Rebellin hat sich mal wieder danebenbenommen.

Diese Lucie hat nicht nur einen Draht zu den verhaltensauffälligen Jugendlichen, sie macht auch Eindruck auf die „reiferen“ Jahrgänge. Ganz besonders auf Alex (Eugen Bauder), den Handwerker vom Dienst im Waldschloss Kleeberg, in den sie sich ziemlich schnell verguckt. Die Nummer 1 in ihrem Herzen aber ist noch immer ihr Opa Kurt (Peter Sattmann), bei dem sie nach dem frühen Tod ihrer Eltern aufgewachsen ist – und dem sie jetzt, da er immer vergesslicher wird, einiges von seiner Fürsorge zurückgeben kann. Alle lieben also diese Lucie. Psychologe Bartels (Kai Albrecht) sicherlich weniger, aber auch er muss mit der Zeit anerkennen, dass dieses ewige Girlie mit den Bambi-Augen einfach eine unbändige Energie und positive Ausstrahlung besitzt. Was in der neuen Vox-Serie „Lucie. Läuft doch!“ für die Handlung gilt, das überträgt sich auch von den ersten Minuten an auf den Zuschauer. Diese Lucie ist sympathisch eigenwillig, wenn sie es mit einem „Vollidioten“ zu tun bekommt oder ihr eine überreagierende Mutter eine Dienstaufsichtsbeschwerde verpasst, sie kann aber auch Verantwortung übernehmen, wie sie immer wieder im Umgang mit ihrem Großvater beweist. Ihre unorthodoxe Herangehensweise an Probleme sorgt stets für Überraschungen; zwar haut sie psychologisch schon mal daneben, dennoch liegt sie pädagogisch am Ende goldrichtig.

Soundtrack:
„Pornoking“ (5): Beta Band („Brokenupadingdong“), Robin Schulz („Sugar“). „Troublemaker“ (6): Langhorne Slim & the Law („The Way Are Move“), Augustine („As I Drowned“). „Babygirl“ (7): The Possibilities („Braintree“), Phoebe Bridgers („The Night We Met“), Mighty Oaks („Brother“). „Rockstar“ (8): Erre & Andres Luque („Always The Same Eyes“), Skrillex („Bangarang“), Kollektiv Turmstraße („Flaschenpost“), Balloon Pilot („42 Seems Right“)

Lucie punktet mit der besonderen Art und Weise, wie sie mit den Jugendlichen und ihren Konflikten, Bettnässen plus Mobbing, fetales Alkoholsyndrom, „Vorbild“ Porno oder schwanger mit 15, umzugehen weiß. Die Drehbücher machen Lucie nicht zu einer jener Helfer*innen-Figuren, die vor allem das öffentlich-rechtliche Unterhaltungs-Fernsehen dominieren, diese quirlige Person, die einfach intuitiv meist das Richtige tut, wirkt da eher wie ein freches Gegenkonzept, ja fast schon wie eine Parodie aufs Mutter-Teresa-Genre. Und da kommt spätestens Hauptdarstellerin Cristina do Rego ins Spiel. Die deutsch-brasilianische Schauspielerin, Jahrgang 1986, hat sich die letzten 15 Jahre quer durch die Comedy-Szene gespielt. Bekannt wurde sie durch die Serie „Pastewka“, in der sie 15 Jahre lang eindrucksvoll den trotzigen „Teenager“ gab – und das auch noch mit über 30. Zahlreichen Formaten wie der „Schnitzel“- oder der „Frühling“-Reihe verpasste sie etwas jugendlichen Pfiff, und in der extrem schrägen Serie „Arthurs Gesetz“ machte sie genauso eine gute Figur wie im Kinohit „Nightlife“. Schon einmal war sie die Hauptfigur einer Serie, doch leider war der ARD-Vorabendserie „Unter Gaunern“ kein Erfolg beschieden. „Lucie. Läuft doch!“ wünscht man mehr Glück. Auch wenn eine Zielgruppe für diesen charmant-launigen Dramedy-Mix aus Jugendthemen, Selbstfindung und der Kritik an den Eltern nicht so eindeutig auszumachen ist wie beim Vox-Erfolgsformat „Club der roten Bänder“ – die Serie, die mit acht Folgen, gesendet in Doppelfolgen, bei Vox zu sehen ist, hätte jedenfalls viele Zuschauer verdient!

Lucie. Läuft doch!Foto: RTL / Hardy Spitz
Lucie (Cristina do Rego) kann einfach gut mit ihrer Gruppe. Sie weiß, wie Kids ticken und hat immer – wenn auch nicht sofort – coole Lösungen parat. Nele (Gwendolyn Göbel), Nico (Frederic Balonier), Toni (Sam Heinze) und Lukas (Louis Hassepaß).

In jeder Folge steht ein jugendlicher Schützling im Mittelpunkt. Das verhandelte Dilemma betrifft in der Regel aber noch weitere Figuren. Mal sind es die Eltern, die wie in „Dramaqueen“ die Familien-Interaktion mit ihrer adoptierten Teenagertochter, die angeblich ihre Zwillingsbrüder, zwei schwer zu bändigende Babys, geschlagen haben soll, falsch einschätzen. Mal trägt die Mutter einer „Pissnelke“, die ihren Sohn als Ersatzpartner sieht, eine Mitschuld am nächtlichen Malheur, mal – in „Nullchecker“ – geht es um einen Jungen mit Handicap, der im Dauerstreit mit seiner Wohngruppe liegt, weil er beim Fußball zwar gut spielt, aber immer ins eigene Tor schießt. Seltsame Blüten treibt die Sehnsucht nach Familie („Babygirl“), und in „Pornoking“ ist ganz Kleeberg im Sex-Stress. Die Pädagogen müssen unzählige Pornofilmchen von den Handys löschen, nachdem ein Date am See aus dem Ruder lief: Der Junge hat dem Mädchen einen Porno vor die Nase gehalten. Lucie hat schneller als alle anderen geschnallt, was hier Sache ist. Beim Thema Sex herrscht große Verunsicherung – und so kriegt die ebenso einfühlsame wie impulsive Lucie in Aufklärung eine glatte Eins. Nicht nur in dieser Folge entpuppt sich das „Problem“ als sehr viel komplexer, als zunächst angenommen. Und entsprechend stehen die Lösungen auch nicht von vornherein fest. Aber immer gilt: Das Wohlfühlende ist Serienpflicht. Und gern wird dabei Solidarität eingefordert.

Das sind die Darsteller der Episoden-Hauptrollen
Vollidiot„: Lenz Lengers, Flora Li Thiemann / „Dramaqueen„: Eleonore Weber, Dana Golombek / „Nullchecker„: Ludwig Senger / „Pissnelke“: Lennart Ole Borchert, Annekathin Bach / „Pornoking„: Clara Zant, Oliver Szerkus / „Troublemaker„: Tina Amon Amonsen, Steffen Schroeder / „Babygirl„: Mina Rueffer, Zethphan Smith-Gneist, Jil Funke / „Rockstar„: Anna-Lena Schwing, Julien Neisius, Karl Schaper

Neben dem episodischen Charakter ziehen sich auch horizontale Erzähllinien durch die acht 45-Minüter. Die Liebe ist ein seltsames Spiel und lässt die Augen der Heldin immer wieder aufgeregt kullern oder bedröppelt vor sich hin stieren, wenn ihr Alex mit dem Pracht-Body sich mit der noch verheirateten Hannah (Sina Tkotsch) vergnügt. Dass dieser allerdings die schöne Blonde ein wenig auf Distanz hält, bleibt dem Zuschauer noch weniger verborgen als der Heldin, die sich – entgegen ihrer sonst so vorlauten Art – einfach nicht traut, ihre Gefühle zu zeigen. Das ist aber nicht nur Charakter-, also Mentalitätsfrage, sondern gehört natürlich auch zum Genre und zur Dramaturgie. Ähnliches gilt für Lucys Hang, mindestens so schnell zu sprechen, wie sie denkt. Daraus ergibt sich ein gewisser Screwball-Comedy-Touch. Cristina do Rego hat sich, wie sie selbst sagt, dabei von Lauren Graham, die Lorelai aus „Gilmore Girls“ inspirieren lassen. Fix im Kopf sind aber auch die anderen; allenfalls Kollege Bär (Markus Hammer) besticht durch seine stoische Coolness. Die Dialogwechsel sind mal knallig und knackig, werden aber auch gern in feinem Understatement (oft als kaum wahrnehmbarer Nebendialog) vorgetragen. Und so bringt „Lucie. Läuft doch!“ dem Zuschauer das Tempo der Jugend näher und sorgt immer wieder bei aller sozialer Relevanz der erzählten Fall-Geschichten für eine erfrischende, spielerisch-ironische Note. (Text-Stand: 31.10.2020)

Lucie. Läuft doch!Foto: RTL / Hardy Spitz
Schon mal üben? Lucie (do Rego) wäre da wohl nicht abgeneigt. Aber sie kriegt außer Sätzen wie „Ich dachte nur kurz, Du bist gefotoshoppt“ (als sie den Kollegen in der Badehose sieht) nichts Vernünftiges raus in Alex‘ (Eugen Bauder) Anwesenheit.

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Serie & Mehrteiler

RTL, VOX

Mit Cristina do Rego, Eugen Bauder, Kai Albrecht, Peter Sattmann, Robert Schupp, Markus Hammer, Sanne Schnapp, Hildegard Schroedter, Sina Tkotsch, Gwendolyn Göbel, Frederic Balonier

Kamera: Felix Poplawsky, Michael Clayton, Christian Klopp

Szenenbild: Sebastian Demuss, Olaf Schiefner

Kostüm: Brigitte Remmert

Schnitt: Daniel Scheimberg, Geraldine Sulima

Redaktion: Petra Hengge

Produktionsfirma: Eikon Media

Produktion: Michaela Nix

Headautor*in: Nicholas Hause

Drehbuch: Nicholas Hause, Mandy Cankaya, Iris Kobler, Berthold Probst, Oliver Hein-Macdonald

Regie: Frauke Thielecke, Buddy Giovinazzo, Jörg Mielich

Quote: (1+2): 1,12 Mio. Zuschauer (4,4% MA); (3+4): 0,75 Mio. (2,4% MA)

EA: 18.11.2020 20:15 Uhr | VOX

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