Loving Her

Banafshe Hourmazdi, Marlene Melchior, Leonie Krippendorff. Auf der Suche

Foto Tilmann P. Gangloff

Eine Frau sucht die Liebe: Solche Geschichten erzählt das ZDF jeden Sonntag um 20.15 Uhr. Allerdings geht es dabei in der Regel um Männer; Hanna, die Heldin von „Loving Her“ (Neo / Madefor Film), ist jedoch lesbisch. Zu etwas Besonderem wird die Filmserie zudem durch die Kürze, in der tatsächlich die Würze liegt: Die einzelnen Episoden dauern gerade mal zehn bis zwölf Minuten. Die Kunst der Drehbücher, die einem holländischen Vorbild nachempfunden sind, besteht in der Reduktion von Komplexität. Was sonst in neunzig Minuten erzählt wird, muss hier in eine Nussschale passen und dabei möglichst ohne Klischees und Stereotype auskommen. Das funktioniert, weil Krippendorff die jeweiligen Episodengäste ausgezeichnet ausgewählt hat. Hauptdarstellerin Banafshe Hourmazdi macht ihre Sache ohnehin prima.

Der Chef steckt seiner Praktikantin im Büro einen Umschlag zu. Darin befinden sich ein sexy Slip und ein Zettel mit der unverblümten Aufforderung „Zieh das an“. Die junge Frau tut, wie ihr befohlen; kurz drauf kommt es im Kopierraum zur „Dessouskontrolle“. In beinahe jedem anderen Zusammenhang hätte diese Szene vermutlich für einen MeToo-Aufschrei gesorgt: sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz in Reinkultur. In diesem Fall jedoch nicht, und das liegt nicht in erster Linie daran, dass der Chef eine Chefin ist, schließlich können auch Frauen sexuell belästigen. Leonie Krippendorffs Inszenierung lässt keinen Zweifel daran, dass die „Belästigung“ durchaus erwünscht ist, denn Hanna (Banafshe Hourmazdi), Mitte zwanzig, bewundert die deutlich ältere Josephine (Karin Hanczewski): als Mensch, als Frau, als Verlagslektorin. Später zeigt sich zwar, dass Josephine auch ihre Schattenseiten hat, aber diese Erfahrung ist nichts Neues für Hanna; und davon handelt die ZDFneo-Serie „Loving Her”.

Loving HerFoto: ZDF / Marcus Glahn
Die eine singt, die andere nicht. Zwischen Anouk (Larissa Sirah Herden) und Hanna (Banafshe Hourmazdi) knistert es zwar, aber es scheint nicht zu passen zwischen den beiden: Hannas dritte Errungenschaft wirkt cool, die Heldin dagegen eher bürgerlich.

Die sechs Folgen sind ausgesprochen kurzweilig, was auch mit ihrer Länge zu tun hat: Sie dauern jeweils bloß zehn bis zwölf Minuten. Ähnlich übersichtlich ist das Konzept: Jede Episode dreht sich um eine der Frauen, die in Hannas Leben markante Spuren hinterlassen haben. Den Auftakt macht Franzi (Lena Klenke). Die beiden treffen sich zufällig auf der Straße; die Begegnung löst in Hanna die Erinnerung an ihre Beziehung aus. Franzi war ihr ein und alles: Freundin, Mitbewohnerin, große Liebe; bis die ersten Spannungen auftraten, weil sie doch zu unterschiedlich waren. Frau Nummer zwei ist Lara (Emma Drogunova), ein Party-Girl, das Hannas Leben auf den Kopf stellt: Die Nacht wird zum Tag, der Morgen zum Abend; aber Sex, Drogen und Alkohol sind auf Dauer nicht genug, um ihre Bedürfnisse zu erfüllen.

Soundtrack
Folge 1: Girl in Red („I wanna be your girlfriend“ / „Girls“), Christine And The Queens („Paradis Perdus“), Martin Garrix feat Tove Lo („Pressure“), Bat for Lashes („Sad Eyes“), Arlo Parks („Eugene“)
Folge 2: Girl in Red („Girls“), Moderat („A New Error“), Hanne & Lore („Tourette de Mar“ / Piemont Remix), Mavi Phoenix („Prime“), Richard Pilkington („Shredded“ / Alternate Mix), Emmerson Todd („In Time“), Oliver Holmes („Maxing Out“ / Alternate Mix 2), Sufjan Stevens („Mystery of Love“)
Folge 3: Girl in Red („Girls“), Kate Bush („Wuthering Heights“), Girl in Red (“ I wanna be your girlfriend“), Dodie („She“)
Folge 4: Cyndi Lauper („Girls just wanna have fun“), Girl in Red („Girls“), Curtis Water („Stunnin‘“), Dinah Washington („Teach me tonight“), Cigarettes after sex („Heavenly“), Gossip („Careless Whisper“)
Folge 5: Girl in Red („Girls“), Billie Holiday („Georgia On My Mind“), Laura Marling („For you“), Soko („We Might Be Dead By Tomorrow“)
Folge 6: Girl in Red („Girls“),Billie Eilish („Your Power“), Kali Uchis („In My Dreams“)

Loving Her
„Josephine ist nicht Harvey Weinstein.“ Die Chefin (Karin Hanczewski) und die Praktikantin (Banafshe Hourmazdi) – auch das wird wohl nur eine Affäre bleiben.

Krippendorff, die die Drehbücher gemeinsam mit Marlene Melchior geschrieben hat, hält sich nicht mit Profildaten auf. Dass Hanna ins Verlagsgeschäft will, wird beiläufig eingestreut, ist aber im Grunde nur wichtig, weil auf diese Weise die Beziehung zu Josephine entstanden ist. Ansonsten konzentrieren sich die Geschichten weitgehend auf die Beziehungen. Zwischendurch gibt es typische kurze WG-Szenen, in denen Hanna ihren Mitbewohner Tobi (Leonard Kunz) in seinem Liebeskummer tröstet oder mit Holly (Bineta Hansen) herumalbert, nachdem die beiden ihre selbstgebackenen Hasch-Brownies verzehrt haben; aber selbst in diesen Momenten stehen die Gefühle im Mittelpunkt, weil sie auf eine Nachricht von Anouk wartet. Die Frau hat sie auf der Stelle umgehauen, und Krippendorff sorgt dafür, dass sich das ausgesprochen gut nachvollziehen lässt: Larissa Sirah Herden ist ein Knüller. Als Anouk dann auch noch singt, ist Hanna endgültig hin und weg. Der Gesang ist ohnehin Herdens Hauptberuf (als Sängerin heißt sie Lary), aber die Schauspielerei sollte sie unbedingt weiter pflegen. Allerdings ist auch Anouk nicht die richtige Frau für Hanna; die Suche geht weiter.

Die Kunst der Drehbücher, die einem ganz ähnlich konzipierten holländischen Vorbild nachempfunden sind („Anne+” (2018), besteht in der Reduktion von Komplexität: Was sonst in neunzig Minuten erzählt wird, muss hier in eine Nussschale passen und dabei möglichst ohne Klischees und Stereotype auskommen. Das funktioniert, weil Krippendorff die fünf Episodenhauptdarstellerinnen – in Folge sechs gibt es ein weiteres und diesmal sehr emotionales Wiedersehen mit Franzi – ausgezeichnet ausgewählt hat. Banafshe Hourmazdi macht ihre Sache als Identifikationsfigur ohnehin ganz prima. Sie führt zudem als Erzählerin durch die einzelnen Beziehungen. In Filmen sind Off-Kommentare von Hauptfiguren meist überflüssig. Weil Liebe nun mal kompliziert und widersprüchlich ist, sind Hannas gelegentliche Einblicke in ihre Gefühlswelt jedoch eine gute Ergänzung, zumal sie in den richtigen Momenten schweigt: Die Medizinstudentin Sarah (Soma Pysall) ist sich über ihre Gefühle nicht im Klaren, weiß nicht mal, ob sie lesbisch ist, also zeigt Krippendorf im geteilten Bildschirm beide Varianten: links Glück, rechts Kummer.

Loving HerFoto: ZDF / Marcus Glahn
„Die heißeste Frau der Stadt lag in meinem Bett.“ Hanna (Banafshe Hourmazdi) ist von der bisexuellen Party-Beauty Lara (Emma Drogunova) fasziniert. Aber so aufregend die Nächte mit ihr auch sind, so verletzend ist sie unter Drogeneinfluss.

Autorin Marlene Melchior schreibt in einem Statement zu „Loving Her“: „Als ich mich selbst als Teenager das erste Mal in ein Mädchen verliebte, habe ich Serien, Geschichten und Erzählungen über queere Frauen und ihre Lebenswelt vermisst.“ Mittlerweile hat sich in dieser Hinsicht Einiges getan, wenn auch aus Sicht der der LGBTQI-Community selbstverständlich noch längst nicht genug. Leonie Krippendorf ist genau die Richtige für so einen Stoff. Ihr Coming-of-Age-Drama „Kokon“ (2020) handelte von Nora (Lena Urzendowsky), einem Mädchen, das sich selbst und die Liebe zur älteren Romy (Jella Haase) entdeckt. Zuvor hatte die Regisseurin „Looping“ gedreht; ihr Langfilmdebüt erzählte ebenfalls von der Suche nach Liebe: Teenager Leila (Haase) lässt sich freiwillig in eine psychiatrische Klinik einweisen und findet dort bei zwei älteren Frau Bestätigung und Liebe. Was Hannas Erfahrungen nach Ansicht von Krippendorf „im deutschen Fernsehen weitestgehend unerzählt macht, sind nicht die Beziehungsstrukturen oder die Gründe, warum Hanna sich verliebt, weshalb sie Herzen bricht und ihr eigenes gebrochen wird – es ist einzig und allein der Fakt, dass eine Frau Frauen liebt.“ Das ist eine weitere Stärke der zuweilen durchaus erotischen Serie: Sie macht keine große Sache draus. Hanna ist lesbisch; na und? Bei einem Partygespräch wird sie gefragt, ob ihr beim Sex nicht was fehle, zum Beispiel ein Penis. Sie antwortet sinngemäß, Penisse habe sie in allen Größen, Formen und Farben unter ihrem Bett liegen. Ungewöhnlich ist allerdings der sehr souverän und beiläufig eingestreute Menstruationsaspekt; das ist gerade im Zusammenhang mit Sex im fiktionalen Fernsehen in der Tat ein Tabuthema.

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Serie & Mehrteiler

ZDF

Mit Banafshe Hourmazdi, Leonard Kunz, Bineta Hansen. Episodengäste: Lena Klenke, Emma Drogunova, Larissa Sirah Herden, Karin Hanczewski, Soma Pysall, Jasmin Tabatabai

Kamera: Lotta Kilian

Szenenbild: Justyna Jaszczuk

Kostüm: Teresa Grosser

Schnitt: Friederike Hohmuth

Musik: Tina Pepper, Jasmin Reuter

Redaktion: Nina Manhercz, Jasmin Verkoyen

Produktionsfirma: MadeFor Film

Produktion: Tasja Abel

Drehbuch: Marlene Melchior, Leonie Krippendorff

Regie: Leonie Krippendorff

EA: 01.07.2021 10:00 Uhr | ZDF-Mediathek

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