Lilly unter den Linden

Suzanne von Borsody und Cornelia Gröschel: mit der Kinderseele in den Osten

Foto: MDR
Foto Rainer Tittelbach

1988, Lilly lebt in Hamburg. Nach dem Tod ihrer Mutter soll sie in eine Pflegefamilie, doch das Mädchen verspürt Familienbande in eine andere Richtung: in Jena lebt die Schwester ihrer Mutter. Der gut gespielte und inszenierte Film läuft Gefahr durch den kindlich-naiven Blick der Heldin, die politische Wirklichkeit zum Rührstück zu verklären. Die MDR-Produktion schwankt zwischen “Heidi”-Schmalz und Familienalltag aus dem realen Sozialismus.

Ein Jahr vor dem Mauerfall sucht ein Waisenkind aus dem Westen Familienanschluss im Osten Deutschlands. Eine ungewöhnliche Geschichte, die einem da aufgetischt wird. Ein Was-wäre-wenn-Scenario mit noch immer großem Gefühlspotenzial hat die Drehbuchautorin Anne Charlotte Voorhoeve für “Lilly unter den Linden” entworfen. Und Krimi-Experte Erwin Keusch hat die Schicksals-Mär von der 13-jährigen Lilly auf kleine große Emotionen hin inszeniert, die sowohl von einer gestandenen Ausnahmeschauspielerin wie Suzanne von Borsody als auch vom pubertierenden Nachwuchstalent Cornelia Gröschel getragen werden.

Lilly lebt in Hamburg. Nach dem Tod ihrer Mutter soll sie in eine Pflegefamilie kommen. Doch das eigenwillige Mädchen verspürt Familienbande in eine ganz andere Richtung. In Jena lebt die Schwester ihrer Mutter mit ihrer Familie. Als sie zur Beerdigung im Westen war, spürten beide sofort ihre Zuneigung zueinander. “Tante Lena, lass’ mich nicht hier, du bist meine Familie!“, bricht es aus ihr heraus, als die Tante wieder hinter dem Eisernen Vorhang für immer zu verschwinden droht. Der geht es ähnlich. Sie will ihr einen Brief schreiben, aber ihr fehlen die Worte. “Ich will sie eigentlich nur an mein Herz drücken.” Für Lillys Traum von einer Familie ist sie sogar bereit, in die DDR zu gehen. Doch die Behörden auf beiden Seiten haben etwas dagegen. Da bleibt ihr nichts anderes übrig, als in den Osten zu flüchten.

So einfach wie sich die Kinderseele das vorstellt, läuft der politische Alltag zwischen Bundesrepublik und DDR im Jahre 1988 allerdings nicht. Ohne ins große konfliktreiche Gesellschaftsdrama zu gehen, zeigt “Lilly unter den Linden” mit vielen kleinen Andeutungen und Beobachtungen, wie unmenschlich doch das System der DDR und der deutsch-deutsche Grenzverkehr bis zum Mauerfall gewesen ist. Das Individuelle hatte keine Chance, die Paragraphen regierten. Der Film läuft durch den kindlich-naiven Blick der Heldin leicht Gefahr, die politische Wirklichkeit zum Rührstück zu verklären, die Realität für ein Melodram zu missbrauchen, eröffnet andererseits aber auch die Möglichkeit zu mehr Klarheit.

“Lilly unter den Linden” schwankt denn auch zwischen “Heidi”-Schmalz und familiären Alltagsszenen aus dem realen Sozialismus. Dieser Widerspruch ist auch bei Lilly-Darstellerin Cornelia Gröschel zu spüren: “Es ist doch langweilig, wenn es immer alles gibt”, sagt sie zum Thema Apfelsinen und lächelt ihr typisches Lächeln, das sie vor zwei Jahre als Heidi-Darstellerin aufsetzen musste. Suzanne von Borsody ist widerspruchsfreier in ihrer gewohnt überzeugenden Darstellung: als leidgeprüfte DDR-Bürgerin, die ihrer Schwester bei der Republikflucht half und deswegen im Gefängnis saß und nicht mehr in ihrem Beruf arbeiten darf, verkörpert sie die Tragödie zwischen Politik und Privatleben. Und sie singt in Richtung Lilly: “Ob im Osten oder Westen, wo man ist, ist es nie am besten – suche, Seele, suche!”

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Fernsehfilm

MDR

Mit Suzanne von Borsody, Cornelia Gröschel, Daniel Morgenroth, Roland Schäfer

Kamera: Rudolf Blahacek

Schnitt: Annemarie Bremer

Produktionsfirma: Polyphon

Drehbuch: Anne C. Voorhoeve

Regie: Erwin Keusch

EA: 13.11.2003 20:15 Uhr | ARD

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