Und noch ein Beitrag aus der Corona-Abteilung „Not macht erfinderisch“: Ähnlich wie die Webserie „Drinnen“ ist auch die Kurzfilmsammlung „Liebe. Jetzt!“ unter den aktuellen Produktionsbedingungen entstanden; also auf Distanz. Besonders typisch für eine Liebes-Geschichte in Zeiten wie diesen ist der zweite Film, „Ja, nein, vielleicht?“: Studentin Lucy (Lea Zoe Voss) hat schon länger ein Auge auf Max (Leonard Scheicher) geworfen. Als sie ihm aus einer Notlage helfen kann – er ist in Wien gestrandet –, kommen sich die beiden näher, wenn auch nur aus der Ferne. Erst kochen sie gemeinsam, dann gehen sie gleichzeitig Joggen, und als sie in schlafloser Nacht ein Wahrheitsspiel spielen, macht Lucy den entscheidenden Schritt ins Ungewisse. „All in“ würde man beim Pokern sagen – und dann bricht die Verbindung ab, weil sein Akku leer ist, und sie hat keine Ahnung, ob sie zu weit gegangen ist.
Der Reiz der Reihe liegt nicht zuletzt in der inhaltlichen Unterschiedlichkeit. Die Produktionsbedingungen waren überall ähnlich: die Teams aufs Nötigste reduziert und räumlich voneinander getrennt. Trotzdem bestehen die Filme nicht ausschließlich aus Smartphone-Sequenzen. Die Auftaktepisode, „Plötzlich Paar“ (Buch: Lena Krumkamp, Regie: Pola Beck) ist zwar ein Kammerspiel, das sich ausschließlich in einem Wohnzimmer vor dem Laptop zuträgt, aber hier war offenkundig auch ein Kameramann dabei, wie die regelmäßigen Perspektivwechsel verdeutlichen. Die Handlung ist vordergründig denkbar schlicht: Weil sein Mitbewohner in Quarantäne leben muss, ist Thorsten (Jürgen Vogel) zu seiner deutlich jüngeren Freundin gezogen. Anders als er betrachtet Jana (Natalia Belitski) die Konstellation jedoch als nur vorübergehend. Allerdings ist sie unübersehbar schwanger, wenn auch ungewollt; Thorsten hat ihr bereits einen Antrag gemacht. Nun suchen sie Online-Rat bei einer Paartherapeutin (Dela Dabulamanzi), der sie die Vorgeschichte erzählen.
Dank der Prominenz der beiden Hauptdarsteller funktioniert „Plötzlich Paar“ vom ersten Moment an, zumal Jürgen Vogel und Natalia Belitski ihre Rollen betont gegensätzlich verkörpern: Thorsten ist ein stets zuversichtlicher Sonnyboy, Jana eine Zauderin. Das klingt nach Klischee, entspricht aber bei vielen Paaren der Realität (gelegentlich auch mit anderer Rollenverteilung) und wird von Vogel und Belitski nicht nur witzig, sondern auch differenziert verkörpert. Im Grunde funktioniert die Geschichte wie Staffel 1 von „Merz gegen Merz“, nur ohne das ganze Drumherum. Im kondensierten Charakter des Kurzfilms liegt auch seine Stärke: Was im Fernsehfilm 90 Minuten füllen würde, spielt sich hier in zwanzig ab. Trotzdem ist die Handlung erstaunlich komplex, weil beispielsweise eine Paaraufstellung genügt, um die Konflikte auf den Punkt zu bringen: Thorsten drängt Jana mit verschlossener Körperhaltung fast aus dem Bild und positioniert sich mit weit ausgebreiteten Armen in die Zimmermitte. Sie wiederum drückt ihm diverse Kissen in die Arme, die seine Ex-Frauen symbolisieren sollen.
„Ja, nein, vielleicht?“ (Buch: Luisa Hardenberg, Regie: Tom Lass) braucht einen etwas längeren Anlauf. Das hat mit der Handlung zu tun, weil sich Lucy erst mal an Max herantasten muss, aber natürlich auch mit der Besetzung, selbst wenn Lea Zoe Voss (sie gehörte unter anderem zum Ensemble der funk-Serie „Druck“) und vor allem Leonard Scheicher (er spielt in den beiden Staffel der Serie „Das Boot“ den jungen Funker Strasser) durchaus Kameraerfahrung haben. Weil es in diesem Film zwangsläufig viel mehr Smartphone-Bilder gibt, lockert Lass die Optik durch Impressionen verlassener Straßen oder eine verblüffende Einstellung auf, in der sich plötzlich fünf Lucys tummeln.
Die Filme drei und vier reichen nicht an die Qualität vor allem von „Plötzlich Paar“ heran. Beiden fehlt eine gewisse innere Spannung, zumal die Geschichten zwar ein Ende, aber keinen rechten Anfang haben. „Der Kuss“ (Buch: Alexander Lindh, Regie: Lass) erzählt, wie das Virus eine Ehe rettet: Nach einer Betriebsfeier haben sich Heiner (Sebastian Schwarz) und Aylin (Maryam Zaree) geküsst und nun Sehnsucht nacheinander. Beide sind jedoch liiert und fügen sich nach diversen Videotelefonaten dem Corona-Schicksal, das ein Treffen unmöglich macht. Laut Inhaltsangabe im Pressematerial entdecken Heiner & seine Frau (Marie Burchard) durch die Sorge um ihre Tochter ihre Liebe wieder, aber davon ist nicht viel zu spüren.
„Was sich liebt…“ (Buch: Annette Lober, Regie: Beck) ist zwar deutlich witziger, die Handlung aber tritt auf der Stelle: Hauptfigur Merle (Nina Gummich) hat sich von ihrem Lebensgefährten getrennt, ist bei ihrem Vater Dieter (Bernhard Schütz) untergekommen und wartet auf das Ergebnis eines Corona-Tests. Nun leben die beiden zwar in der gleichen Wohnung, aber räumlich getrennt. Wenn sie typische Vater/Tochter-Gespräche durch die Wand führen oder Merle sich beschwert, weil Dieter lautstark John Cale hört, während sie arbeiten muss, ist das durchaus amüsant. Außerdem gibt es ein paar wirklich lustige Momente: Dieter flirtet mit einer Nachbarin und malt seine Nummer gut lesbar auf ein Blatt Papier; prompt ruft jemand an, um die Wohnung zu besichtigen. Im Grunde aber passiert nicht allzu viel. Immerhin macht es Spaß, Nina Gummich und Bernhard Schütz zuzuschauen.
Tom Lass, im Brotberuf Schauspieler, und Pola Beck gehörten auch bei „Druck“ zum Kreis der Regisseure. Lass hat zuletzt „Blind & hässlich“ gedreht, vom ZDF 2017 im Rahmen des Kleinen Fernsehspiels ausgestrahlt; gemessen an dem unnötig kompliziert erzählten und schwer verdaulichen Drama ist „Ja, nein, vielleicht?“ von geradezu heiterer Beschwingtheit. Das gleichfalls düstere, aber mehrfach ausgezeichnete Regiedebüt von Beck war „Am Himmel der Tag“ (2012) mit Aylin Tezel als junge Mutter, deren Kind im sechsten Monat in ihrem Bauch stirbt.
Das ZDF betont in seiner Pressemitteilung: „Produziert wurde ‚Liebe. Jetzt!’ unter Berücksichtigung der vor Ort geltenden behördlichen Corona-Regelungen.“ Die Auflagen hatten zur Folge, dass sich die Crew-Mitglieder, wenn überhaupt, nur in Nebenräumen aufhalten durften. Die Kameraleute haben ihre Arbeitsgeräte installiert und dann das Zimmer verlassen. Gedreht wurde in angemieteten Wohnungen, um die Privatsphäre der Schauspieler zu schützen. Bei der ersten Folge war Pola Beck noch zugegen, bei allen weiteren erfolgte die Kommunikation per Skype. Die Darsteller der Paare sind auch im wirklichen Leben zusammen. Aleksandar Jovanovic und Clelia Sarto spielen in „Ain’t no Sunshine“ (Buch: Jane Ainscough, Regie: Beck) allerdings eine Anti-Romanze: Tom und Bella haben sich getrennt. Die Kartons sind gepackt, aber das Umzugsunternehmen sagt wegen Corona ab. Nun verbringen die beiden unfreiwillig einen weiteren Tag miteinander und ziehen ein unangenehm realitätsnah klingendes Fazit ihrer Beziehung: „Wo ist der Mensch, in den ich mich vor zwanzig Jahren verliebt habe?!“ Trotz eines zutiefst romantischen Moments ist der Film daher gewissermaßen das bittere Pendant zu „Plötzlich Paar“.
Auch hinter der Kamera gibt es langjährige Allianzen: Kameramann Juan Sarmiento G. hat mit Pola Beck bereits bei „Am Himmel der Tag“ und „Druck“ zusammengearbeitet. Die Webserie wiederum ist von Lasse Scharpen produziert worden, der mittlerweile dritter Geschäftsführer der ZDF-Produktionstochter Network Movie ist und die Berliner Filiale Studio Zentral leitet; Scharpen ist auch Produzent von „Liebe. Jetzt!“. Die sechs Filme stehen ab 1. Mai in der ZDF-Mediathek. Neo zeigt sie am 3. Mai ab 21.45 Uhr hintereinander, was den Vorteil hat, dass man mit Muße die Details des abwechslungsreich gestalteten und leicht frivolen Vorspanns genießen kann. (Text-Stand: 29.4.2020)