Legend of Wacken

Hübner, Manthei, Scheuritzel, Doppelbauer, Jonas Grosch, Lars Jessen. Metal heilt

Foto Martina Kalweit

Die späten Achtziger in der Norddeutschen Tiefebene. Da musst du weg oder voll ins Risiko gehen. Von den Erinnerungen der echten Wacken-Festivalgründer inspiriert, erzählt „Legend of Wacken“ (RTL / Florida Film) die Gründungsgeschichte des 1990 auf einer Kuhweide gestarteten Festivals. Wie ein Ritt auf der Kanonenkugel erhebt sich die fiktive Legende über eine dokumentarische Rückschau hinaus und lässt über sechs Folgen drei Aspekte nicht aus den Augen: Die schwierige Freundschaft zweier Musik-Nerds, den herben Charme der norddeutschen Provinz und die Musik als Taktgeber lebensrettender Fantasie(n). Für das Zusammenspiel der Erzählstränge nimmt sich das Drehbuch einige Freiheiten. „Legend of Wacken“ reist durch die Zeit und unternimmt Ausflüge ins Heavy-Metal-Jenseits. Damit verwandelt die Miniserie das, was die echten Wacken-Gründer im Epilog ihr „Tal der Tränen“ nennen, in einen dröhnenden Bass-Himmel und eine Hölle, in der Träumer nichts verloren haben. Gedreht wurde während des Festivals 2022 und in der Holsteinischen Provinz.

Weil er immer noch gern selbst Hand anlegt, fällt Wacken-Mitbegründer Holger (Charlie Hübner) im August 2022 durch einen Stromschlag ins Koma. Nach dem Rat der Ärztin soll ihn Hübners Freund und Geschäftspartner Thomas (Aurel Manthei) über emotionale Ansprache wieder zurückholen. Thomas (Lieblingsspruch: „Ist das geil oder ist das geil?“) muss erst mal überlegen, was unter emotionaler Ansprache gemeint sein könnte. Gemeinsam mit Freunden versucht er es mit Heavy Metal in Zimmerlautstärke, Erinnerungen an gemeinsam bestandene Abenteuer und dem stimulierenden Geruch von Wurstwasser in Korn. Holgers regloser Körper scheint all das nicht zu erreichen. Macht aber nichts, denn Film und Kamera sind da längst schon in seinem Kopf. Vom Krankenbett aus beginnt eine Reise, die zwischen den verrückten Anfängen anno 1990, den Verlockungen des Jenseits und einigen unbeglichenen Rechnungen hin und her switcht. Manchmal hängt die Platte, aber im Großen und Ganzen knirscht da nichts. Zu verdanken ist das einem eingespielten, musikbegeisterten Team vor und hinter der Kamera.

Legend of Wacken
Kreative Spannung der trinkfesten Freunde Thomas Jensen (Aurel Manthei) & Holger Hübner (Charly Hübner). „Ist das geil oder ist das geil?“ Dann liegt Holger im Koma.

Mit „Polizeiruf“-Kollegin Anneke Kim Sarnau drehte der Ex-Rostock-Kommissar Charlie Hübner 2013 die NDR-Doku „Alles auf schwarz – Wacken!!!“ – seine Liebeserklärung an die Heavy-Metal-Szene. Auch bei „Legend of Wacken“ feilte er am Drehbuch mit. War wahrscheinlich kein Problem, denn Hübner und Regisseur Lars Jessen kennen sich nicht erst seit gestern. Unter Jessens Regie spielte Hübner zuletzt u.a. in der Verfilmung von Dörte Hansens „Mittagsstunde“. Das war emotionale Ansprache in jeder Sekunde und ein anderes Genre. Trotzdem eine Basis, dank der das Duo jetzt nicht bei null anfangen musste. Nicht beim Dreh und nicht in Sachen Musik. Lars Jessen bewies sein Faible für fantasievolle Band-Spinnereien schon 2012 mit der Kino-Satire „Fraktus“. Jessen und Hübner bereiten Aurel Manthei in der Rolle des zweiten Festivalleiters Thomas und den jüngeren Versionen der zwei Hauptfiguren, gespielt von Sammy Scheuritzel („Dark“) und Sebastian Doppelbauer („Biohackers“), ein sicheres Terrain. Auf dem Feld und in der Bürogarage tummeln sich Typen, die erfrischend hässlich aussehen und ihre Eltern vor große Herausforderungen stellen. Wie nah die beiden Hauptdarsteller in ihrer Maske dabei den realen Vorbildern kommen, ist zum Finale eindrucksvoll zu sehen.

Legend of WackenFoto: RTL / Thomas Leidig
Der norddeutsche Schnack macht Laune. Die reiferen Jahrgänge sind nicht alle nur gegen das Festival. Schließlich lässt sich damit ja auch Kohle machen. Karl-Heinz (Marc Hosemann) und Bauer Trede (Detlev Buck), der den Jungs die Parole „Wachsen oder Weichen“ unterjubelt, obwohl er deren Mucke „echt scheiße“ findet.

Über die sorgfältigen Typenzeichnungen hinaus sorgt die Gegenüberstellung scheinbar unvereinbarer Welten für Witz und Spannung. Obwohl Holger und Thomas der Provinz entfliehen wollen, ist es die ihnen im Blut liegende Bauernschläue und Sturheit, die ihre Träume wahr werden lässt. Die Elterngeneration steht den jungen Wilden in „Legend of Wacken“ nie als geschlossene Feindesfront gegenüber. Stattdessen handelt man den Anschlusskredit auf der Bank am Ende gemeinsam aus. Hinter all der lauten Mucke singt „Legend of Wacken“ so ein leises Loblied aufs Land. Die lauten Lacher gehören dabei Detlev Buck, der als Bauer mit Geschäftssinn den jungen Leuten sagt, wo`s langgeht, und Marc Hosemann, dem als Wirt der Linde erst spät aufgeht, dass Festivalbesucher immer Durst haben. Wie Musik eine Seele retten kann, erzählt auch der Parallelstrang um Heimkind Theresa (Maria Matschke-Engel, „Westwall“), die sich vor ihrer, dem christlichen Glauben verpflichteten Betreuerin Wiltrud (Katharina Wackernagel) aufs Festivalgelände nach Wacken rettet. Die Geschichte um Theresa wirkt etwas konstruiert. Dabei ist unbestritten, dass die Faszination für Heavy-Metal nicht nur harte Jungs befällt.

Legend of WackenFoto: RTL / Thomas Leidig
Der legendäre, im Dezember 2015 verstorbene Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister (Andy Murray) taucht immer wieder auf, um Holger (Charly Hübner) zu einem zweiten Job im Jenseits zu überreden. Dabei verhandeln sie über Leben & Tod.

Während die treusorgende Wiltrud im dörflichen Gottesdienst diverse Songtexte als satanische Verse entschlüsselt, begegnet Holger im Koma seinen Göttern im Schwer-Metall-Himmel. Licht und Kamera (Moritz Schultheiß, „Tore tanzt“, 2014, „4 Blocks“, 2018, Für immer Sommer 90“, 2021) richten diese Gegen-Welt auf einem leeren, staubigen Acker ein. In dieser leeren dunklen Welt versucht der im Dezember 2015 verstorbene Motörhead-Frontmann Lemmy Kilmister (Andy Murray) mehrmals, Holger zu einem zweiten Job im Jenseits zu überreden. Immer wieder treffen sich die beiden und verhandeln im Spot eines Rotlichts über Leben und Tod. Das hat seinen Reiz, genauso wie der Versuch, in Folge 5 mit „Zurück in die Zukunft“-Reminiszenzen den alkoholgeschwängerten, im Koma gipfelnden Gang der Geschichte zu verändern. In den Bann gezogen hat uns „Legend of Wacken“ schon sehr viel früher: Am stärksten wirkt ein Song (und eine Szene), wo er auf die Wirklichkeit trifft, durchs Kirchendach schlägt, sich über die Polonaise an Vadders Fünfzigsten legt oder den Ausstieg aus der Lehre beim örtlichen Metallhersteller besiegelt. Wo er sich für die Ewigkeit einbrennt und durch Mark und Bein geht. „Legend of Wacken“ feiert diese Songs (den Soundtrack liefern u.a. AC/DC, Guns´n Roses, Danzig, Saxon, Judas Priest und Doro) in der fiktiven Erzählung genauso wie in kurzen, teilweise in Super 8 gedrehten Einspielern vom Festivalgeschehen der letzten Jahre. Die 80.000 Tickets für das Wacken-Festival 2023 auf einem Gelände von mittlerweile 240 Hektar waren innerhalb von fünf Stunden ausverkauft.

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Mit Charlie Hübner, Aurel Manthei, Sammy Scheuritzel, Sebastian Jakob Doppelbauer, Béla Gabor Lenz, Peter Sikorski, Katharina Wackernagel, Detlev Buck, Marc Hosemann, Ulrich Bähnk, Anne Weber, Maria Matschke Engel, Andy Murray

Kamera: Moritz Schultheiß, Christian Leschner

Szenenbild: Pouya Mirzaei

Kostüm: Annette Schröder.

Maske: Nica Faas

Schnitt: Christoph Lumpe, Benjamin Ikes, Diana Matous

Musik: Marina Rembold

Redaktion: Hauke Bartel, Markus Böhlke

Produktionsfirma: Florida Film

Produktion: Maren Knieling, Anne Sola Ferrer, Lars Jessen

Drehbuch: Ingo Haeb, Julia Meyer, Lennard Eberlein, Frank Schulz

Regie: Jonas Grosch, Lars Jessen

EA: 07.07.2023 10:00 Uhr | RTL+

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