Anders als Kinder haben Erwachsene ihre Impulse unter Kontrolle; meistens jedenfalls. Bei der Adventskalenderserie „Last X-Mas“ allerdings ist die Versuchung groß, nach dem ersten gleich auch das zweite filmische Türchen zu öffnen; und das dritte und das vierte und so weiter. Daraus wird aber nichts: Es gibt jeden Tag eine neue Folge. Dass der Auftakt umgehend Lust auf die Fortsetzungen weckt, hat viel mit Paula Kalenberg zu tun, aber vor allem mit der Idee: Am 1. Dezember macht Nathalies Freund (Tobias van Dieken) Schluss. Die junge Frau fällt aus allen Wolken und ist zutiefst betrübt; es gab keinerlei entsprechende Anzeichen. Nico ist zufällig seiner Jugendliebe begegnet, und dabei ist das alte Feuer neu entflammt. Die Trennung trübt nicht nur Nathalies Vorfreude auf die Vorweihnachtszeit, es ergibt sich zudem ein noch viel größeres Problem: Ihr geliebter Opa (Achim Wolff) hat einen Herzinfarkt, muss ins Krankenhaus und soll fortan jede Aufregung tunlichst vermeiden. Nichts ist dem alten Herrn so wichtig wie das Glück seiner Lieblingsenkelin, und deshalb muss sie ihm versprechen, dass er an Weihnachten endlich ihren Freund kennenlernen wird. Nathalies Eltern (Viktoria Trauttmansdorff, Ulrich Gebauer) und die Schwestern Betty & Emily (Nikola Kastner, Eva Bühnen) sind nicht minder neugierig, denn bislang hat sie Nico ihrer Familie noch nicht vorgestellt. Ihr bleiben also noch 24 Tage, um glaubwürdigen Ersatz zu finden.
Foto: RTL / Martin Rottenkolber
Schon allein diese Idee von Richard Kropf, der auch als Kopf des Drehbuchteams fungierte, verspricht viel Abwechslung, zumal Nathalie selbstredend diverse Höhen und Tiefen der Partnersuche durchlebt. Dank der Ausstrahlung auf dem Streamingangebot von RTL+ konnte das Regieduo Markus Sehr (1-12) und Martina Plura (13-24) die Handlung ohne Rücksicht auf die übliche Formatierung umsetzen: Die Folgen dauern mal acht, mal zwölf Minuten; einzige Ausnahme ist das letzte „Türchen“, das wie beim echten Adventskalender mit knapp dreißig Minuten auch das größte ist. Den vermeintlichen Höhepunkt nimmt die Auftakt-Folge vorweg, als Nathalie an Heiligabend wutentbrannt Geschenke durch die Gegend kickt und den Weihnachtsbaum umreißt. Dann erzählt die Serie in langer Rückblende, wie es dazu kam, dass sie „die nervenaufreibendste Weihnachtszeit ihres Lebens“ durchmachen musste.
Wie in den meisten romantischen Komödien gibt es eine Frau, die der Heldin mit Rat und Tat zur Seite steht. Sie ist der eigentliche Knüller dieser Serie, und das nicht nur wegen der grandiosen Dialoge: Taneshia Abt, Mitglied des Kinokomödien-Trios „JGA: Jasmin. Gina. Anna.“, verkörpert Nathalies beste Freundin Jonna mit derart viel Temperament und Spielfreude, dass andere Hauptdarstellerinnen neben ihr vermutlich verblasst wären, zumal Jonna die treibende Kraft der Handlung ist; zum Glück kann Paula Kalenberg dank ihrer quirligen Frische und Natürlichkeit problemlos mithalten. Rings um dieses zentrale Paar ist ein stimmig zusammengestelltes Ensemble gruppiert worden, in dem es keinen einzigen Ausfall gibt. Das wäre auch fatal gewesen, denn einige der Mitwirkenden spielen Episoden-Hauptrollen: „Last X-Mas“ ist kein 270 Minuten langer Spielfilm, der aus 24 Kapiteln besteht; jede Folge entwickelt einen eigenen Spannungsbogen. Deshalb präsentiert die Serie auch nicht jedes Mal einen neuen Kandidaten, selbst wenn Jonna ein Profil auf einem Datingportal eingerichtet hat, was wiederum Nathalie einige verstörende Begegnungen beschert; einmal landet sie sogar im Bett einer Frau. Immerhin gibt es einen Treffer: Immerhin gibt es einen Treffer, aber der sympathische Simon (Jonathan Hutter) disqualifiziert sich bald wieder. Wie hätte sie ihm auch erklären sollen, dass ihre Familie, deren Mitglieder allerdings ebenfalls ihre kleinen und großen Geheimnisse haben, ihn hartnäckig Nico nennt? Zwischendurch steht sogar der Ex reumütig wieder vor der Tür. Am Ende zeigt sich, dass das Glück die ganze Zeit zum Greifen nah war.
Foto: RTL / Martin Rottenkolber
Soundtrack: The Human League („Don’t You Want Me“), Frank Sinatra („Santa Claus Is Coming To town“), The Shins („Wonderful Christmas Time”), The Smiths („There Is A Light That Never Goes Out”), Kelly Clarkson („Christmas Isn’t Cancelled”), The Pussycat Dolls („Don’t Cha”), Ella Fitzgerald („Let It Snow”), Luciano Pavarotti („Nessun Dorma”), Stevie Wonder („What Christmas Means To Me”), Ingrid Michaelson & Sara Bareilles („Winter Song”), Jimmy Ruffin („What Becomes Of The Brokenhearted”), Other Lives („Dead Language”), Darlene Love („Christmas”)
Einige der Kurzfilme haben Exkurs-Charakter, weil sich zum Beispiel Nathalies Familie angesichts ihres mäandernden Lebens Sorge um ihr Glück macht oder weil die Schwestern beim gemeinsamen Plätzchenbacken alte Kindheitsrechungen ausgraben. Die Themen sind also durchaus ernst zu nehmen, es geht nicht immer so prustend komisch zu wie in jener Szene, als sich Nathalie und Jonna telefonisch über Bettys Sexleben lustig machen; dummerweise hat Nathalie vergessen, dass ihr Mobiltelefon mit dem Smart-Speaker verbunden ist und ihre Schwestern zuhören. Es sind nicht zuletzt Einfälle wie diese, die „Last X-Mas“ zu einem großen Vergnügen machen. Jeder Vorspann endet mit einem Gegenstand, der in der entsprechenden Episode von Bedeutung sein wird. Die Liebe zum Detail zeigt sich auch in der weihnachtlichen Ausstattung (Melanie Opitz), zumal die wichtigsten Schauplätze, allen voran Nathalies Wohnung und das Loft-ähnliche Stammcafé der beiden Freundinnen, enorm viel Heimeligkeit ausstrahlen. Dass die Tonspur jede Menge Christmas-Pop bietet, versteht sich von selbst.