Es sei der falsche Respekt vor der Berufsgruppe Politiker, der Produzenten davor zurückschrecken ließe, unsere Volksvertreter zu Hauptpersonen von Filmen zu machen. So sieht es Robert Atzorn. Der indes hat Glück. Weil er bei Wedel so überzeugend den Hamburger Bürgermeister gab, durfte er für “Küss mich, Kanzler!” sogar den Big Boss spielen. Nicht Gerhard Schröder, nein, Big Ben Bischof regiert im Film von Thomas Kirdorf und Ulrich Stark Deutschland. Alles ist reine Fiktion und Komödie noch dazu. Für so viel Menschlichkeit, Mitgefühl und sehnsuchtsvolle Blicke müssen deutsche Politiker noch üben.
Bischof ist einer zum Gernhaben. Seine Frau sieht das anders, vernachlässigt ihre repräsentativen Pflichten und liebt Affären. Dem Kanzler platzt der Kragen. Er will die Trennung. Und er will mal einen Nachmittag und Abend ohne staatstragenden Ablaufplan. Also schwingt er sich auf seine Harley und landet vor den Füßen einer reizenden Person und wenig später allein in ihrem Bett. Erst am nächsten Morgen erkennt die russische Zahnärztin, die in Deutschland als Putzfrau arbeitet, wen sie sich da als unfreiwilligen Gast in die enge Altbauwohnung geholt hat. Während er bei ihr seelenruhig seinen Kaffee schlürft, ist im Kanzleramt der Teufel los. Die Wahlen stehen vor der Tür. Da kann der Kanzleramtschef kein Sodom und Gomorra gebrauchen. Doch sein Boss ist verliebt, spürt neuen Lebensmut und er will den Kampf aufnehmen gegen den intrigierenden Innenminister und all die Polit-Designer.
“Küss mich, Kanzler!” entwirft ein Was-wäre-wenn-Szenario. Es geht nicht darum, ob der Bundeskanzler so ist und ob er sich so einer Frau gegenüber öffnen könnte. Autor Kirdorf interessiert sich vielmehr für das amüsante Spiel mit den Möglichkeiten und mit einer Moral, von der Politiker sonst meist nur reden. Und er zeigt, wie “wichtige” Menschen den Boden der Tatsachen und den Blick für die kleinen Dinge des Lebens verlieren können. “Wissen Sie eigentlich, was ein Stück Butter kostet?” Der Kanzler schüttelt den Kopf. “Was riechen Sie gerade?” Zumindest weiß er noch, was riechen ist. “Bei einem 16-Stunden-Terminplan kann es schon passieren, dass man irgendwann nur noch funktioniert und eine Maske trägt”, glaubt Atzorn. “Ich finde auch, dass Politiker aus Angst vor Stimmenverlust zu oft steril, zu intellektuell oder zu emotionslos argumentieren.“ Im Film ist das alles ganz anders. Hier gilt die Devise: Wer richtig liebt – der kann nur gute Politik machen! (Text-Stand: 2.4.2004)