Eine Ex-Polizistin mit ihrer Tochter im Zeugenschutz – und bald in Lebensgefahr
Frederike Bader (Marie Leuenberger) und ihre Tochter Mia (Nadja Sabersky) hat es von Berlin nach Passau verschlagen – gezwungenermaßen. Auch ihre Jobs als Qualitätsprüferin und Bäckereiangestellte haben sie sich nicht ausgesucht, genauso wenig wie ihre Namen. Die Frauen befinden sich in einem Zeugenschutzprogramm. Sie sind völlig abgeschnitten von ihrem alten Leben; außer ihrem V-Mann Jochen Mohn (Stefan Rudolf) weiß kaum einer von ihrer neuen Identität. „Frederike Bader“ war noch vor wenigen Monaten Kommissarin beim LKA und ihre (Adoptiv-)Tochter saß wegen Drogenvergehen zwei Jahre im Gefängnis. Beiden fällt es schwer, sich mit der neuen Situation abzufinden. Als die Ex-Polizistin bei einer Auseinandersetzung mit einem gewalttätigen Ladendieb ihr wahres Gesicht zeigt, weckt sie das Interesse des Privatdetektivs Ferdinand Zankl (Michael Ostrowski). Ihre beeindruckende Action-Einlage passt nicht zu einem Schreibtischjob. Was der Österreicher herausfindet, das weiß keiner in Passau: Die einstige Gruppenleiterin im MEK hat einen arabischen Clan-Chef hinter Gitter gebracht. Die „Ehre wiederherstellen“ soll nun sein Neffe (Timo Fakhravar), der sich alsbald in Berlin an die Fersen von Mias Großmutter (Eva Weißenborn) heftet. Eine kleine Fahrlässigkeit der Enkelin reicht aus – und der Killer weiß, wo er seine beiden Zielobjekte findet. Nur gut, dass dieser Zankl nicht nur Zyniker ist, sondern auch Mensch.
Der Mordfall ist nur C-Plot; er bringt einem vor allem die weibliche Hauptfigur näher
Die neue ARD-Donnerstagskrimi-Reihe kommt ohne klassische Ermittler aus. Stattdessen stehen eine schroffe Ex-Polizistin, die sich einiger Vergehen schuldig gemacht hat, um ihrer vorbestraften Tochter zu helfen, und ein dubioser Privatdetektiv, der sich offensichtlich auch mit krummen Geschäften über Wasser hält, im Mittelpunkt dieser beiden „Krimis aus Passau“. Aus dieser originellen Konstellation ergeben sich auch für das Genre reizvolle Möglichkeiten. Thriller werden zwar auch innerhalb der Reihen-Krimis immer häufiger erzählt, auch ist es nicht neu, dass eine Hauptfigur in Lebensgefahr gerät, aber mit diesen Optionen in eine neue Reihe zu starten ist ungewöhnlich. „Freund oder Feind“ kommt ganz ohne den Polizeiapparat aus und ein zu lösender Fall läuft allenfalls im Hintergrund als C-Plot mit: Sehr viel essenzieller ist die Bedrohung der Neu-Passauerinnen, außerdem sind es die Aktionen des umtriebigen Zankl, die die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich ziehen. Der C-Plot um einen vermeintlichen jugendlichen Selbstmörder und eine junge Wirtshausbedienung (Pauline Werner) verdichtet vor allem die Narration und er charakterisiert die Heldin: Zwar ist sie keine echte Sympathiefigur, sie ist ruppig, sie geht immer wieder hart mit ihrer Tochter ins Gericht, ja, sie besinnt sich sogar ihrer kriminellen Energien, dennoch ist ihr moralisches Wertesystem intakt. Sie löst quasi den Fall ganz im Stillen – als Engel der Gerechtigkeit. Ähnlich macht das auch Zankl, der sich nicht ganz zu Unrecht zum Schutzengel der „Bader“-Frauen stilisiert.
Komplexe Narration – und Ermitteln heißt in beiden „Passau-Krimis“ beobachten
Dramaturgisch ähnlich komplex angelegt ist auch die zweite Episode, „Die Donau ist tief“, in der das Abhängigkeitsverhältnis der beiden Hauptfiguren umgekehrt wird: Zankl ist dank der stümperhaften Ermittlungen einer Provinz-Hauptkommissarin (Xenia Tiling) der einzige Verdächtige im Mordfall an einer Tierheimbesitzerin, die mit dem eigenwilligen Privatdetektiv einige Monate liiert war, bevor sie ihm kurz vor ihrem Tod den Laufpass gab. Während Zankl im Knast sitzt, gibt es höchst ungute „Entwicklungen“ im Bayerischen Wald, die ihm, aber auch „Frederike Bader“ – im wahrsten Sinne des Wortes – den Kopf kosten könnten. Auch in den zweiten neunzig Minuten werden mehrere Handlungsstränge und gelegentliche Rückblenden geschickt miteinander verwoben. Sind die Flashbacks im ersten Film suggestiv gestaltete Montagen, die ohne verbale Erläuterungen Aspekte der Backstory aufscheinen lassen, werden im zweiten Film darüber hinaus wesentliche Passagen aus „Freund oder Feind“ noch einmal erzählt. So lässt sich „Die Donau ist tief“ auch ohne Kenntnis der Auftaktepisode verstehen. Ein wesentlicher Unterschied zu den herkömmlichen Ermittlerkrimis liegt in der Art der Handlungsführung: Ermitteln heißt in beiden „Passau-Krimis“ beobachten, Rückschlüsse aus dem Gesehenen ziehen, Menschen auf die Schliche kommen.
„Die Tonalität der Drehbücher hat mich gereizt. Vielschichtige, ungewöhnliche Figuren aus unterschiedlichen Welten prallen an einem so reichen Schauplatz wie Passau aufeinander, der eine lange und bewegte Historie mit sich bringt. Zeugenschutzgeschichte und Kriminalfilm, geheimnisvoll, spannend und auch immer wieder emotional und humorvoll mit einem bunten Ensemble aus markanten Figuren – Passauer, Österreicher, Tschechen, Berliner. Eine Mischung, die diese Reihe in meinen Augen so einzigartig macht. Wem kann ich trauen? Wer sagt die Wahrheit? Freund oder Feind? Die Krimis aus Passau haben eine eigene Atmosphäre, und das hat mich sofort gepackt.“ (Maurice Hübner, Regisseur)
Auch der Zuschauer wird zum Beobachter, und er kann so den Film selbst lesen
Und der Zuschauer, der beim Katz-und-Mausspiel von Detektiv und Ex-Kommissarin einen lustvollen Wissensvorsprung hat, ist nun seinerseits Beobachter und kann sich auf alles selbst einen Reim machen. Er kann diese Filme lesen. Erklärungen gibt es nur, wenn es nicht anders geht: Aber selbst die Erläuterungen des Zeugenschützers sind sachlich, knapp und immer der Situation angemessen. Das ist anders in einer Szene, in der ein Todgeweihter ausgesprochen gesprächig ist, was die kriminelle Vergangenheit von Mutter und Tochter betrifft. Diese Szene ist aber so wunderbar absurd, dass man diese Info eher mit einem Schmunzeln quittiert. Ansonsten aber verzichtet Autor Michael Vershinin alias Michael Illner, seit 25 Jahren ein Vielschreiber mit Qualitätsanspruch (Grimme-Preis für „Balko“), bei seinen Geschichten auf Genre-Ironie, wie sie Holger Karsten Schmidt in Krimi-Reihen wie „Nord bei Nordwest“ oder „Harter Brocken“ etabliert hat. Dass das kein Manko sein muss, ergibt sich aus der bereits beschriebenen Dramaturgie, die ihrerseits dem talentierten Jungregisseur Maurice Hübner („Blaumacher“ / „Ella Schön“) eine attraktive Filmsprache nahelegt. Blicke sind die Währung der Kinokunst. So ein bisschen darf der Zuschauer nun auch in den Passau-Krimis daran schnuppern. Der Fluss, der Wald, der Nebel, das geschichtsträchtige niederbayerische Städtchen, wohlweislich im Winter (dadurch bestimmt nicht das Zuckerbäcker-Ambiente des Klein-Venedig den Look) – so lassen sich Filme erzählen. Und dazu dieses immer wieder schöne Spiel für den Zuschauer: zu sehen, wie einer einen anderen beobachtet. In „Freund oder Feind“ wird diese Situation sogar noch um ein weiteres Augenpaar potenziert.
Verzicht auf Ironie & frühzeitige Versöhnung: eine Umarmung pro Film muss reichen
Und die fehlende Ironie hat in diesem Fall einen weiteren positiven Nebeneffekt: Beide Krimithriller, so sehr sie auch Genrefilme sind, vermitteln einem viel von der psychologischen Realität eines solchen Zeugenschutzprogrammes. Zwei Menschen in permanenter Lebensgefahr. Zwei Menschen, die aufeinander angewiesen sind, denn jede verräterische, noch so kleine Aktion, ein Glas Wein oder ein Joint zu viel, könnte beiden das Leben kosten. Das alles wird immer wieder spürbar – in jedem bösen Blick von Marie Leuenberger („Wer’s glaubt wird selig“ / „Neben der Spur“), die die Ex-Polizistin im Ausnahmezustand äußerst glaubwürdig verkörpert. Und auch Nadja Sabersky („Allein in den Bergen“ / „Play“) findet feine Nuancen für den Frust ihrer Figur, die in den Rückblenden in ihre Drogenkarriere eine andere zu sein scheint. Nicht nur ein, zwei sehr brutal-blutige Aktionen werden ungeschönt gezeigt, auch in der Beziehung von Mutter und Adoptivtochter („Mias“ Vater, mit dem „Frederike“ eine Beziehung hatte, gilt seit Jahren als verschollen) gibt es nur ganz selten versöhnliche Momente. Eine einzige Umarmung pro Film muss reichen. Die Sucht-Karriere der Tochter hat vieles in der Beziehung der beiden kaputt gemacht. Die Distanz zwischen den Frauen ist also ein Zeichen für Realismus. Mal sehen, welches Schicksal die „Krimis aus Passau“ nehmen werden. Für die meisten außergewöhnlichen Donnerstagskrimis wie „Louise Boni“, Palfraders Metzger und „Kommissar Pascha“ war nach nur zwei Filmen Schluss. Es bleibt zu hoffen, dass die Baders & Zankl weitere Chancen bekommen – und dass ihre drei Biographien zusammenfließen wie Donau, Inn und Ilz an der Ortsspitze von Passau. Das Konzept der Produktionsfirma Hager Moss jedenfalls sieht vor, dass der Privatdetektiv der ehemaligen LKA-Frau eine „stille Partnerschaft“ anbieten wird. (Text-Stand: 12.9.2020)