Das, was Sie hier vordergründig sehen, ist nicht immer das, was es scheint“, belehrt die Archäologin Louise Cantor ihre Studenten. „Unsere Aufgabe ist es, das Unsichtbare sichtbar zu machen.“ Wenig später wird sie ihre Theorie in der Praxis erproben müssen. Und diese Erfahrung wird schmerzlich sein. Ihr Sohn ist tot. Die Polizei geht von Selbstmord aus, doch die Mutter kann und will es nicht glauben. Auch wenn sie erkennen muss, dass sie wenig von ihm weiß (Egomane? Bigamist? HIV positiv?), so ist sie fest davon überzeugt, dass ihr Sohn, der ein überaus engagierter Journalist war, ermordet wurde. Er muss an einer brisanten Geschichte gearbeitet haben. Louise Cantor will verstehen, was passiert ist. So reist sie mit ihrem Ex-Mann nach Südafrika, den Spuren der letzten Reise des Sohns hinterher.
Foto: Degeto / Bavaria / David Guhr
Iris Berben ist Louise Cantor, keine Patin, keine Patriarchin, keine Primadonna. Zwar hat diese Heldin das Glück des Tüchtigen, aber sie mutiert nicht zum Superweib, sondern sie bleibt eine emotional verunsicherte, vom Schicksal geprüfte Thriller-Figur. Das ist schon mal ein dickes Plus für „Kennedys Hirn“. Auch sonst weiß der Film von Urs Egger gut mit der Bürde eines Zweiteilers umzugehen. Die ersten 60 Minuten geben einen bedächtigen Erzählrhythmus vor, bei dem einige szenische Umständlichkeiten in poetischen Bildern schwedischer Schwermut atmosphärisch aufgelöst werden. Im zweiten Teil zieht das Tempo mächtig an. Und die Spannung steigt von Minute zu Minute. Vom deutschen Sehnsuchtsland Schweden – bei Henning Mankell indes Schwedenkrimi-like ein Land der trüben Gedanken – geht es bereits im Schlussdrittel des ersten Teils auf den Sehnsuchtskontinent der Deutschen: Afrika.
Der Look ist edel, das afrikanische Elend aber wird nicht ausgestellt, nicht auf Hochglanz poliert. Obgleich bei Afrika-Filmen immer der Exotik-Effekt eine Rolle spielt, so entspricht der weitgehend realistisch-dokumentarische Kamerablick auf die Armenviertel in Kapstadt dem Blick der Heldin: einer aufgeklärten, feinfühligen Europäerin. Auch die AIDS-Problematik wird geschickt über die Geschichte in den Film eingebaut, inklusive des zynischen Forschungsszenarios, das der Afrika-Kenner Mankell in seinem Roman freilich vielschichtiger entwickelt. Den Eindruck, man bediene sich des Schreckens und des Leids des schwarzen Kontinents, um den Europäern einen wohligen Schauder zu verabreichen – diesen Eindruck bekommt man bei „Kennedys Hirn“ nicht. Und auch wenn die relativ eindimensionale Handlung einigermaßen simpel über die Identifikationsschiene Einzelkämpferin funktioniert, so spielt er gelegentlich mit den klassischen Thriller-Klischees: „Können Sie morgen in mein Büro kommen“, sagt der Informant und dem Wallace-Reinecker-Durbridge erfahrenen Zuschauer schwant Übles. Doch der Informant erfreut sich tags darauf bester Gesundheit.