Die Ehe von Nina (Laura Tonke) und Paul Lieberstein (Felix Klare) steht vor dem Aus. Jahrelang haben die ehemalige Leistungssportlerin und der erfolgreiche Chirurg ein überglückliches Leben geführt. Ein Paar wie aus dem Kitschroman. Eine Traumvilla in einem Hamburger Nobelviertel, Freunde aus besseren Kreisen, ein gut geratener Sohn, bald ein zweites Kind… Es folgt der Absturz ins Bodenlose. Hinter der Fassade einer perfekten Familie schlidderte der Ehemann in die Tablettensucht. Ohne „Papas kleine Helfer“ konnte er den hohen Ansprüchen, die er und seine Frau an ihr Leben hatten, nicht genügen. Jetzt ist die Beziehung kaputt, Enttäuschung, Demütigung, Wut sind die aktuellen Gefühlslagen. Der erste Termin beim Scheidungsanwalt steht bevor. Und im freien Fall geht es bei den Liebersteins weiter: Als Nina Viktor Hoffmann (Sebastian Becker), dem Hockeytrainer ihres Sohnes Tim (Tyler Worbs), nicht nur schöne Augen macht, sondern nach einer zufälligen Begegnung am Abend mit zu ihm nach Hause geht, wird sie beinahe von ihm vergewaltigt. Es kommt zum Gerangel. In dem Moment dringt Paul, der den beiden gefolgt war, in die Wohnung ein. Er kracht durchs Glas, irritiert blickt sich Hoffmann um – und im Bruchteil einer Sekunde schlägt Nina zu und trifft ihn tödlich. Das Paar steht vor der Frage: Was tun? Zur Polizei gehen oder die Tat vertuschen? Ein Schlag auf den Hinterkopf, der (einst) tablettensüchtige Ehemann am Tatort… Würde man den beiden die Notwehrsituation überhaupt abnehmen?
Der ARD-Fernsehfilm „Kein einfacher Mord“ entwickelt sich innerhalb von zwanzig Filmminuten vom Ehedrama zum Psychothriller. Dem Abziehbild vom häuslichen Glück, noch in romantische „Guldenburgs“-Optik verpackt, folgt der Niedergang einer Ehe. Der Chirurg verliert seine Approbation, muss als Pharmavertreter Klinken putzen, und die einstige Vorzeigeehefrau arbeitet in einer Reinigung. Emotional ist die Beziehung ein Scherbenhaufen, da wollen beide wenigstens die Fassade so gut wie möglich aufrechterhalten. Die Fassade, das ist vor allem ihre mondäne Villa, die sie sich noch immer leisten wollen, offenbar als Zeichen dafür, dass sie es eben doch geschafft haben. Der Totschlag macht nun alles noch komplizierter. Ohnehin ist es fraglich, ob Nina dem Druck der polizeilichen Ermittlungen standhalten wird. Pauls Bereitschaft, die Tat auf sich zu nehmen, signalisiert zumindest, dass sich die beiden nicht gegenseitig in den Rücken fallen werden. Im Gegenteil: Jetzt sind mehr denn je Absprachen, Zusammenhalt und Rücksichtnahme gefragt, um am Ende nicht alles zu verlieren. Womöglich auch noch den Sohn, wenn mindestens einer von beiden ins Gefängnis geht. „Diese Bedrohung von außen schweißt die beiden zusammen, sie sind gezwungen, sich als Paar neu zu erfinden“, bringt es die weibliche Hauptdarstellerin Laura Tonke („Bist du glücklich?“) auf den Punkt. Ob das Paar seine zweite Chance nutzen kann, ist auch abhängig von Kommissarin Märthesheimer (Barbara Philipp) und ihrem Kollegen (Bernd-Christian Althoff), die den Liebersteins zunehmend auf die Pelle rücken.
Das Verschweigen der Tat, das Zusammenhalten als Ehepaar, das ist am Ende auch eine Frage der Moral. Wie weit gehen die beiden, um ihr privates Glück zu schützen? Könnten sie es zum Beispiel verantworten, wenn eine andere Person massiv unter Verdacht geraten würde? Die Frage lässt sich auch ans Fernsehpublikum weitergeben. „Kein einfacher Mord“ beginnt mit einer Ausgangssituation im Konjunktiv, die narrative Konstruktion ist hypothetisch: Was aus dieser Was-wäre-wenn-Versuchsanordnung folgt, die Reaktion auf das Dilemma, ist allerdings plausibel und psychologisch nachvollziehbar. So groß die Verletzungen auch sind: Das Paar muss wieder als Einheit funktionieren. Als Zuschauer steht man von vornherein auf dessen Seite – und das, obwohl vor allem die Ehefrau anfangs nicht gerade sympathisch gezeigt wird und aufgeklärte Menschen diese Glücksvorstellungen des gehobenen Mittelstands eher irritieren dürfte. Doch nach dem Totschlag aus Notwehr setzen Drehbuchautor Stefan Rogall (Grimme-Preis für „Polizeiruf 110 – Kleine Frau“, zahlreiche „Wilsbergs“) und Regisseur Sebastian Ko („Tatort“-Episoden „Kartenhaus“, „Heile Welt“, „Mitgehangen“) auf das Mitgefühl beim Zuschauer, bevor Nina und Paul schließlich – vor einer existentiellen Entscheidung stehend – zu echten Sympathieträgern werden. Die Besetzung mit Schwiegermutterschwarm Felix Klare und Laura Tonke, die – so eigenwillig ihre Figuren auch sein können – seit jeher und selbst noch mit 48 Jahren immer auch etwas Beschützenswertes in ihren Blick zu legen vermag, unterstreicht die Emotionspolitik des Films.
Zu den Stärken von „Kein einfacher Mord“ gehört auch die filmische Umsetzung. So viel (Drehbuch-)Dialoge wie nötig, so viel visuelle Lösungen wie möglich. „Erst machst du alles mit deiner Tablettensucht kaputt und dann spielst du den großen Retter“, hält Nina Paul vor und erklärt ihre Situation der letzten zwei Jahre: „Ich konnte keine Schwäche zulassen, weil ich Angst haben musste, dass du wieder rückfällig wirst.“ Anfangs mischen sich Vorwürfe in die Erklärungen. Solche Sätze lassen den Zuschauer besser verstehen, was in der Zeit, die im Film ausgespart bleibt, (psychologisch) vorgefallen ist, sind aber mehr als Informationssätze für den Zuschauer. Tatsächlich erst jetzt, nach der Tat, redet das Paar wieder miteinander. Auf dieser Grundlage lassen sich viele Bilder besser lesen. Immer wieder dieser leere Blick Ninas – in der eigenen Waschküche oder auch in der Reinigung. Die Maschinentrommel bewegt sich mechanisch und monoton. Eine Metapher für ihr sinnentleertes Leben. Aber auch das Motiv selbst ist gut gewählt: Immer muss die Ehefrau saubermachen, das Blut oder die Tomatensoße auf der eigenen Bluse, und dann auch noch die schmutzige Wäsche der anderen waschen. Auch für den Kontrast zwischen gesellschaftlicher Ordnung und individuellen Trieben hat Ko optische Entsprechungen gesucht und gefunden. Beispielsweise die Natur, der Garten, als Gegenentwurf zur geregelten Welt. „Das Haus symbolisiert das bessere, das gelungene Leben. Aber dann bricht immer wieder die Natur durch; alles, was die Figuren unterdrücken an Trieben und Lust, lässt sich nicht kontrollieren – und das bedroht die Welt.“ Eine realistisch-romantische Entscheidung des Paares auf der Zielgeraden könnte diesen Gegensatz auflösen.