Sie kommt aus dem Westen, hat zwei Kinder, einen konservativen Ehemann und ein Fertighaus. Er wohnt in der „Zone“, hat auch zwei Kinder, ist auch verheiratet, arbeitet als Tischler und hat eine Datsche am See. Es scheint Liebe auf den ersten Blick zu sein, als sich Elke und Gregor 1971 das erste Mal in Halle begegnen. Ein Jahr später fährt sie mit einem goldenen Mercedes vor. „Es ist wie Weihnachten, wenn die Westpakete kommen“, sagt Gregor und zeigt der prüden, jungen Frau aus dem Westen, dass sie in der DDR keine sexuelle Revolution brauchen. Im Juni 1974 geht die leidenschaftliche Ost-West-Affäre (im Film) weiter. Es ist Fußball WM, Elke ist schwanger – und die alljährlichen Tage der Liebe müssen künftig im sozialistischen Ausland stattfinden. Mitte der 80er Jahre steckt nicht nur die Romanze der beiden in der Krise – die Lage in der DDR für selbstständige Handwerker ist frustrierend; Gregor verfällt in Depression. 1989 dann der Aufbruch in eine neue Zeit. Ein Wiedersehen in Freiheit. Ist es der Anfang eines wohlverdienten Happy Ends?
Foto: MDR / Arte / Marc Meyerbroeker
„Jedes Jahr im Juni“ erzählt die Geschichte einer Liebe, die unter ungewöhnlichen Bedingungen die äußeren Zeitläufte überlebt und die persönlichen Veränderungen übersteht. Der Film von Markus O. Rosenmüller nach dem Drehbuch von Silke Zertz rekurriert dabei zu Beginn immer wieder in liebevollen Details auf den Zeitgeist der 70er Jahre – und relativiert dabei so manchen Mythos. Oswald Kolle und Beate Uhse sind deutlich an Hausfrau Elke aus der bayerischen Provinz vorbeigegangen. Aber nicht nur sexuell („Ich warte, dass du mich nimmst“) hat die West-Elke Nachholbedarf. „Was machen Sie da?“, fragt sie bei der ersten Begegnung ihren zukünftigen Lover. „Abtrocknen, warum?!“ Immer wenn diese Ost-West-Mentalitäten des Alltags beiläufig gestreift werden, hat der Film in den ersten 30 Minuten seine stärksten Momente. Im Verlauf der Handlung, die unterteilt ist in fünf Stationen (1972, 1974, 1980, 1984, 1989) sowie Prolog (1971) und Epilog (1995), finden zunehmend äußere Konflikte Eingang in die Romanze. Im legendären Fußball-WM-Jahr gibt es die ersten Dissonanzen: „Ich bin vielleicht schwanger von meinem Mann und du willst Fußball gucken.“ Aber diese lassen sich aushalten. Besonders mit einem 1:0 Sieg für die DDR gegen die Bundesrepublik im Rücken. 1980 in Prag, wo beide plötzlich ohne Geld dastehen, kommen erste Vorwürfe und dicke Vorurteile ins Liebesspiel. Jetzt wird deutlich: Beide machen sich falsche Vorstellungen vom Leben des Anderen. 1984 gerät ein Überraschungsbesuch in Halle zum emotionalen Tiefpunkt der Beziehung der beiden. Elke hat einen weiteren Sprung in Sachen Emanzipation getan, während Gregor seine Existenz um die Ohren fliegt.
Soundtrack:
George McCrae („Rock your Baby“), Albert Hammond („It never rains in Southern California“), Take That („Back for good“)
Foto: MDR / Arte / Marc Meyerbroeker
Die Phasen-Dramaturgie (sie in Fernsehfilmen zu etablieren ist zumeist ein schweres Unterfangen) funktioniert sehr viel besser, als zu erwarten war. Silke Zertz kombiniert die historische Chronologie und die individuelle Entwicklung ihrer Figuren äußerst wirkungsvoll zu einer klassischen Fünf-Akt-Form und spielt gleichzeitig mit dem Faktor Zeit(geschichte). Zwischen den Sequenzen gibt es Filmschnipsel aus dem Privatarchiv von Elkes und Gregors Familie. Dadurch kann sich auch der Zuschauer ein Bild machen von dem, was rund 360 Tage im Jahr den Alltag der Helden ausmacht. Er blättert quasi mit durchs Video-Familienalbum. Umgekehrt ist es dramaturgisch klug gewesen, sich in den ausgespielten Szenen ganz auf das Liebespaar zu konzentrieren. Katharina Wackernagel bedient hier nur auf den ersten Blick ihre häufige „Seelchen“-Rolle. So nuanciert und mit so zurückgenommenen Augenspiel (sie muss „nur“ ihr charismatisches Strahlen einsetzen) sah man die Schauspielerin lange nicht. Und Arthaus-Gesicht Peter Schneider wird nach dieser Arte/MDR-Koproduktion und dem RB-„Tatort – Er wird töten“ verstärkt fürs Fernsehen zu entdecken sein. Filmästhetisch dagegen hätte man sich „Jedes Jahr im Juni“ schon ein bisschen raffinierter, phantasievoller, schwebender vorstellen können – und vor allem mit etwas weniger Kammerorchester, das allzu romantisierend den Liebesweg der beiden begleitet.
Diese kleinen Miniaturen, diese (fünf bis sieben) Mini-Sequenzen zeichnen mehr nach als eine Liebe unter dem Vorzeichen der deutschen Geschichte. „Jedes Jahr im Juni“, der in seinen besten Momenten an Richard Linklaters Liebes-Triloge aus „Before Sunrise“, „Before Sunset“ und „Before Midnight“ erinnert, erzählt – wenn man so will – auch von den Phasen der Liebe: verliebtes Schweben über den Dingen, der Alltag hält Einzug, die Konflikte verfestigen sich, die Kommunikation ist auf dem Tiefpunkt, Neuanfang oder Trennung. Und doch ist diese Liebe anders. Und das macht sie für das Medium Film und für diesen Film so attraktiv: Denn hier suchen zwei Liebende nicht nach den Konventionen der Liebe, nach Sicherheit und Geborgenheit im Alltag, sondern nach einer Gegenwelt aus Leidenschaft und innerer Freiheit. 25 Jahre Sehnsucht. „Du liebst die Sehnsucht – genau wie ich“, sagt Elke zu ihrem Gregor. Die Liebe ein Traum – zu sehr Sehnsucht, um wahr zu werden. (Text-Stand: 21.8.2013)