Thomas Eichner macht in Textilien. In Saigon steckt er den Rahmen für ein Joint Venture ab. Dabei lernt der kurz vor seinem 50. Geburtstag stehende „Hemdenverkäufer“ die sehr viel jüngere Vietnamesin Huong kennen. Was als kleine erotische Aufmerksamkeit der neuen Geschäftspartner gedacht war, entpuppt sich für Eichner bald als die so genannte zweite Chance im Leben. Zwar ist er vorübergehend in seiner Eitelkeit gekränkt, außerdem wartet in Köln die an Krebs erkränkte Ehefrau – dennoch treibt es ihn bei seinem nächsten Saigon-Aufenthalt wieder in Huongs Arme. Der Mann aus Deutschland ist hin und her gerisssen zwischen den beiden Ländern, den beiden Frauen, zwischen der Fremde und seiner Familie. Er kann sich nicht entscheiden, hat nicht den Mut, den Frauen die Wahrheit zu sagen. Und dann taucht Huong in Deutschland auf. Eichner versteckt sie und lächelt sanft, wenn sie von „Heiraten“ spricht. Seine Frau ist in der Klinik – und Huong wird immer verzweifelter.
In dem Fernsehfilm „Jahr des Drachen“ taucht ein Mann ein in eine faszinierende, aber ihm unverständliche, fremde Welt. Es ist mehr als Sex, es ist mehr als die exotische Erotik einer schönen, asiatischen Frau, die ihn verführt und ihn nach über 20 Ehejahren das Bisherige in Frage stellen lässt. Die Fremde und die neue Liebe werfen plötzlich ein neues Licht auf seine Existenz. „Bisher hat Eichner eher die Sicherheit gewählt, und nun verspürt er, dass dadurch sein Leben auch kleiner gemacht hat“, betont Torsten C. Fischer („Romy“), der bereits in „Liebeswunsch“ einen anderen extremen Liebesstoff verfilmte. „Er lernt erst ganz langsam, dass es neben der Verantwortung für andere ein Recht gibt, sich um sich selbst zu kümmern.“ Der Lernprozess kommt spät – möglicherweise zu spät. Denn der von Klaus J. Behrendt gespielte Textilfabrikant ist ein Zauderer, ein Feigling, der sich vor einer Entscheidung drückt, er ist kein Denker. Er hat im Beruf und in der Familie jahrelang seine Pflicht getan und sich, selbstbeherrscht und realitätsfixiert wie er ist, alle größeren Träume verboten. „Ich bin ein Hemdenverkäufer – meine intellektuellen Ansprüche halten sich in Grenzen“, sagt er zu seiner einzigen Vertrauten. Sie kennt ihn gut und sie rät ihm, Huong wieder nach Vietnam zu schicken: „Du bist nicht zynisch genug für so eine Geschichte. Du bist zu einfach nett.“
Behrendts Figur bildet das Zentrum des Films. Ihr Lebensentwurf steht zur Disposition. Ihre Perspektive ist es, die die Geschichte bestimmt. Aber das TV-Drama nach dem Drehbuch von Karl-Heinz Käfer ist reich an Zwischentönen. Es spielt eine wichtige Rolle, dass das Land des zweiten Erwachens Vietnam ist. Hier spielt die Politik der kolonialen Strukturen ins Private hinein. „1000 Jahre Chinesen, 100 Jahre Franzosen, 20 Jahre Amerikaner – wir haben gelernt, ironisch zu sein“, witzelt der Dolmetscher. „Wir haben das Geld, sie haben die Körper“, heißt es von Eichners zynischer Freundin, großartig gespielt von Jeanette Hain. Aussehen als Standortvorteil, die europäisch-asiatische Liebe als eine besondere Form des Tauschhandels. Wo der Warenwert aufhört und die Liebe beginnt, kann der Zuschauer nur ahnen.
Käfer und Fischer machen es sich nicht leicht. Saigon wird nicht für den touristischen Blick freigegeben, sondern die Menschen, die Mopeds, die Bewegung, der Krach, das Chaos, die ganze Stadt wird zum Mitspieler. Käfer, Fischer und sein Kameramann Holly Fink („Mogadischu“) haben sich für das Erzählkonzept des Kinos entschieden – situativ, realistisch, visuell. Die Geschichte schält sich nach und nach aus den Bildern. Man muss hinschauen und entdecken wollen, sonst hat man keine Chance bei diesem TV-Drama, das darauf verzichtet, die Liebe als sinnliche amour fou melodramatisch aufzuladen oder das Äußere, die Exotik, zum Seelenspiegelbild werden zu lassen. „Jahr des Drachen“ wahrt Distanz zum Geschehen und zu seinen Protagonisten. Die Sprache, Bruchstücke aus Englisch, Deutsch und nicht übersetztem Vietnamesisch, dient hier nicht zum Verstehen, sondern sie erschafft auf sinnliche Weise eine Atmosphäre des Fremdseins. Das ist in Zeiten des lautstark das Emotionale fordernden Fernsehens ungewöhnlich, mutig – aber auch nicht leicht rezipierbar.
Ein Wort zur möglichen Rezeption: Sicher wird es Zuschauer geben, die es bemängeln werden, dass sie nicht „richtig“ berührt werden von diesem Film. Vielleicht wird Klaus J. Behrendt, der mit seinen grauen Haaren und dem Bärtchen fast ein bisschen asiatisch aussieht, einige Zuschauer dazu verführen, dran zu bleiben, obwohl ihnen diese Art des cineastischen „Seh-Fernsehens“ fremd ist. Und die, die ein solches Erzählen mögen, die dürften mit der Hauptfigur wenig anzufangen wissen, weil diese hinter ihre intellektuellen Ansprüche zurückfällt.