Wer nicht weiß, dass die Krimis mit Heino Ferch als Kommissar aus Mönchengladbach auf wahren Begebenheiten beruhen, wird die Handlung dieses siebten Falls vermutlich für ziemlich weit hergeholt halten. Ferchs Vorbild für die Rolle, der echte Ingo Thiel, ist im Sommer verstorben, sein Buch „Soko im Einsatz“ über den „Fall Mirco“ und „weitere brisante Kriminalgeschichten“ war ein Bestseller. Ob sich die Ereignisse, die Christine Hartmann (Buch und Regie) in ihrer ersten Arbeit für die Reihe erzählt, wirklich so zugetragen haben, sei dahingestellt, aber jenseits des „True Crime“-Anspruchs muss auch solch’ ein Film spannend sein. In dieser Hinsicht bleibt „Die Frau ohne Gesicht“ gerade gemessen an den beiden letzten Episoden von Niki Stein jedoch zu viel schuldig.
Foto: ZDF / Luca Baggio
Sehr interessant ist allerdings nach wie vor die Schilderung der Polizeiarbeit; das war von Anfang an das besondere Merkmal der 2017 mit „Ein Kind wird gesucht“ (besagter „Fall Mirco“) gestarteten Reihe. In den Nachrufen wird Thiel als „Terrier der Wahrheit“ bezeichnet, weil er sich regelrecht in seine Ermittlungen verbissen hat; das ist diesmal nicht anders. Der Film beginnt mit der nächtlichen Heimfahrt einer jungen Frau über eine eigentlich gesperrte Waldlandstraße. Später stellt sich raus, dass sie den Schleichweg genommen hat, weil ihr kurz zuvor der Führerschein abgenommen worden ist. Was nun passiert, lässt Hartmann zunächst offen, denn die Kamera bleibt im Auto, als die Frau aussteigt, nachdem ihr Wagen ein Hindernis überrollt hat. Thiel und seine titelgebende Soko kommen ins Spiel, weil das „Hindernis“ eine nackte weibliche Leiche war. Zum Glück für die Fahrerin war die Frau bereits tot. Das Gesicht, daher der Titel, ist völlig entstellt, ihre DNS gibt auch keinen Aufschluss über ihre Identität. Eine digitale Rekonstruktion der Gesichtszüge dient als Vorlage für einen öffentlichen Aufruf, der ebenso ergebnislos bleibt wie die Überprüfung der Vermisstenmeldungen.
Eine Spur gibt es allerdings doch, und jetzt bekommt der Fall einen ganz anderen Tonfall: Die fünfzig Kilometer vom Tatort entfernt gefundene teure Lederjacke der Frau stammt aus einem Geschäft in Venedig. Eine Kollegin Thiels schlägt vor, dass der Kommissar in der TV-Reihe „Chi era testimone“ („Wer war Zeuge“) mitwirken könnte, dem italienischen Pendant zu „Aktenzeichen XY“. Thiel hält seinen Auftritt allerdings für misslungen: „Kaspertheater mit hyperventilierender Moderatorin“. Tatsächlich versieht Clelia Sarto die Gastgeberin Gloria Livore mit fast schon parodistisch wirkenden, fürs italienische Fernsehen aber durchaus typischen großen Gesten, und da die gebürtige Niedersächsin italienische Wurzeln hat, kann sie die Rolle zweisprachig spielen: Gloria dient Thiel nun als Dolmetscherin. Ihr Mann Alberto (Anton Algrang) ist der Chef der örtlichen Guardia di Financa. Mit seiner Hilfe öffnen sich dem deutschen Kommissar diverse Türen, die ihm sonst verschlossen blieben, Einblicke in Kontenbewegungen inklusive. Dass sich der Behördenchef als derart hilfsbereit erweist und sich sogar persönlich engagiert, wirkt etwas unglaubwürdig, aber vielleicht war es ja tatsächlich so. Weil im Gebäude der Finanzpolizei kein Büro frei ist, richten Thiel und seine nachgereisten Teammitglieder ihr Hauptquartier kurzerhand im Treppenhaus ein.
Foto: ZDF / Stanislav Honzik
Die Ermittlungen entwickeln sich gleichfalls in eine kuriose Richtung, und jetzt wird es personell etwas unübersichtlich: Wo Thiel & Co. bislang im Nebel stocherten (wozu die Auftaktbilder prima passen), tummeln sich plötzlich diverse Verdächtige, allen voran der geschiedene Witwer (Michele Cuciuffo) und die düstere Tochter Antonia (Janina Fautz); außerdem mischt noch ein Düsseldorfer Galerist (Florian Stetter) mit. Eine weitere Hauptrolle spielt selbstredend Venedig. Da sich die Geschichte im Winter zuträgt, zeigt sich „La Serenissima“ von einer wenig touristischen Seite; das ist durchaus reizvoll (Kamera: Peter Nix). Angesichts der unerwartet frischen Temperaturen legt sich der Polizist einen Mantel zu, in dem er, wie Signore Livore anerkennend feststellt, „bella figura macht“. Ohnehin hat sich Hartmann deutlich von jenem sachlichen Stil entfernt, der die ersten Inszenierungen von Urs Egger und Martin Imboden (nach Drehbüchern von Fred Breinersdorfer und Katja Röder) prägte. Einige Szenen wirken zudem effekthascherisch, wenn Antonia eine Kohlezeichnung ihrer Mutter zerfetzt oder der Witwer ein volles Weinglas an die Wand wirft. Durchgehend fesselnd ist der Film ohnehin nicht, zumal nicht alle Darbietungen rundum überzeugen.

