Es ist 41 Jahre her – da wurde ihr Mann von einem RAF-Mitglied erschossen. Erika Welves wohnt noch immer in der gemeinsamen Wohnung, sie idealisiert die Liebe zu ihrem Mann – und sie kann die Ereignisse nicht ruhen lassen. Die Gespräche mit einem Journalisten, der Kontakt mit ihr aufgenommen hat, spülen den Schmerz wieder an die Oberfläche – und die Wut über „das schreiende Unrecht“, das ihr widerfahren ist: Anton Welves war Polizist; sein Mörder wurde zwar verhaftet und angeklagt, doch die Kronzeugenregelung verhinderte die Verurteilung. Jener Hans-Peter Schulz kam frei, bekam eine neue Identität und Geld für den Neuanfang. Die Witwe kann nicht zur Tagesordnung übergehen. Sie klaut dem Journalisten seine Notizen und folgt der Spur der Verantwortlichen von damals. 41 Jahre hat sie dafür gelebt, dem Mörder ihres Mannes ins Gesicht zu schauen – ihn vielleicht auch zu töten?
„In den besten Jahren“ sei kein RAF-Stück, so Autor-Regisseur Hartmut Schoen. „Der Film erzählt die Geschichte einer Traumatisierung und Retraumatisierung.“ Im Mittelpunkt steht eine Frau, die darunter leidet, dass der Straftat nicht die Genugtuung der Bestrafung folgte, eine Frau, die sich von der Rechtssprechung allein gelassen fühlt. Schoen blendet die politische Dimension bewusst aus. Einmal hebt ein neuer Freund der Hauptfigur zu einer subjektiven Einschätzung der RAF für die gesellschaftliche Entwicklung der 70er an – da wird er von Erika Welves kalt abserviert. Ihre Gefühle sind resistent gegenüber soziologischen Relativierungen. „Mir ging es immer nur darum, wie sie das menschlich ausgehalten und wie die Umwelt darauf reagiert hat“, sagt Schoen über die Gespräche, die er mit der Witwe eines Polizisten geführt hat. Es ist für ihn ein Versäumnis der Geschichte an der Menschlichkeit, „dass man oft genug nicht darüber nachgedacht hat, was mit denen geschehen ist, die zurückgeblieben sind, die das Ergebnis der überschäumenden Revolte waren“.
Senta Berger spielt Erika Welves – und sie lässt vergessen, dass man sie jahrzehntelang ganz anders sah. Mit dem Rücken zur Kamera wird sie eingeführt. Mehr noch als in „Frau Böhm sagt nein“ oder ihren sozialkritischen „Unter-Verdacht“-Krimis ordnet sich der Star seiner Rolle unter. „Es ist schwer, eine völlig verschlossene, in sich gefangene Frau zu spielen, eine Frau, die sich kaum erklären kann“, sagt Senta Berger. Sie habe beim Lesen immer an einen Vulkan gedacht, „an seine graue Asche, unter der der glühende Lavastrom unaufhörlich fließt“. Der Film zeigt, dass die „Versteinerung“ der Heldin, die jahrelange Fixierung und Idealisierung ihres toten Mannes weitere „Opfer“ nach sich gezogen hat: die eigene Tochter, die mitunter, wie sie sagt, geradezu eifersüchtig gewesen sei auf den Vater. Berger erkennt im Verhalten ihrer Erika Welves eine gewisse „Rücksichtslosigkeit, mit der die Witwe ihren Schmerz ausgelebt hat, rücksichtslos gegen alle anderen und auch ihrem Kind gegenüber“.
Hartmut Schoen verzichtet auf die Einbindung der „schweren“ Geschichte in ein entlastend wirkendes Genre. So konsequent privat diese Reise der Heldin in die Vergangenheit ist, so puristisch ist sie gleichsam umgesetzt. „In den besten Jahren“ versteckt sich weder hinter rationalisierter Geschichtsschreibung noch hinter vordergründiger Spannungsdramaturgie und filmischen Hilfsmitteln. Kaum Rückblenden, kein paralleles Erzählen. Eine am Szenischen, am Schauspieler orientierte Dramaturgie, eine strenge, reduzierte Form, eine karge Ausstattung bestimmen den Film und geben ihm eine trockene Poesie. Entsprechend wortkarg auch die Hauptfigur. Und doch dominiert ihre „Sprache“ den Film: die langsam gesprochenen Sätze mit ihren Pausen, das Nonverbale, die Körpersprache, das Schweigen. Wie unlängst Götz George in „Nacht ohne Morgen“ (WDR), so scheint auch Senta Berger mit „In den besten Jahren“ (WDR) auf dem Höhepunkt ihrer Kunst angekommen zu sein.