Im Namen meines Sohnes

Tobias Moretti, Damir Lukacevic, ein Sexualmord und 19 Jahre nicht gelebtes Leben

Foto: ZDF / Nicolas Maack
Foto Rainer Tittelbach

Nach dem Mord an seinem Sohn findet ein Vater nicht mehr zurück ins Leben.Die Suche nach dem Täter wird zu seiner persönlichen Mission. Der Wunsch nach Gerechtigkeit hat einen hohen Preis. „Im Namen meines Sohnes“ erzählt von der Verzweiflung eines Mannes, dem es nicht gegeben ist, das Schreckliche auf einer Vorstufe der Verdrängung abzulegen. Tobias Moretti spielt ihn als Getriebenen. Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit; diesen „Unermüdlichen“ gab es tatsächlich – und Damir Lukacevic bleibt nah an dessen Geschichte. Dadurch entsteht ein klug distanziertes Stationen-Drama ohne die herkömmliche Spannungsdramaturgie. Dass der Film einen als Zuschauer dennoch ungemein mitnimmt, ist weniger dem grausigen Thema als der großen Kunst aller Beteiligten zu verdanken.

Die Suche nach dem Mörder wird zur persönlichen Mission
„Irgendwann sieht man den Kerl an jeder Straßenecke, in jeder Situation. Er ist immer da. Es gibt auch keine Versöhnung, keine Schönheit mehr, nur noch diesen Alptraum, der alles zerfetzt, alles zerstört.“ Claus Jansen steht kurz vor dem Ziel, das seine Wut ihm 19 lange Jahre vorgegeben hat. Endlich wird der Mann überführt, der 1992 seinen 13jährigen Sohn missbraucht und getötet hat. Es waren anfangs auch Vorwürfe gegen sich selbst, die ihn nicht ruhen ließen – war er es doch, der den Jungen aufs Internat schicken wollte, wo er in die Fänge eines Kindermörders geriet. Bald macht Jansen die Suche nach dem Täter zu seiner persönlichen Mission, weil die Kriminalpolizei seiner Meinung nach fahrlässig ermittelt und weil er sich auch von der Staatsanwaltschaft im Stich gelassen fühlt. Seine Garage wird zur Einsatzzentrale seiner Ein-Mann-SOKO, zwischenzeitlich engagiert er sogar einen russischen Privatdetektiv, gibt kostspielige DNA-Analysen in Auftrag und verliert ein ansatzweise normales Leben völlig aus dem Blick. Dennoch hält seine Frau viele Jahre zu ihm, obwohl die Dinge des Alltags mehr und mehr auf ihren Schultern lasten. Der jüngere Sohn der Jansens wächst so gut wie vaterlos auf; erst als der junge Mann nach dem Abitur das Haus verlässt, registriert der Vater langsam seine Versäumnisse. Wird es nach der Überführung des Täters vielleicht doch noch zur Versöhnung kommen? Wird es endlich ein Ende der Trauer geben?

Ein selbst zerstörerischer Akt, dem sich der Vater hingibt
„Im Namen meines Sohnes“ erzählt von der Verzweiflung eines Vaters, dem es nicht gegeben ist, still mit seinem Kummer zu leben und das Schreckliche auf irgendeiner Vorstufe der Verdrängung abzulegen. Es ist ein geradezu selbst zerstörerischer Akt, dem sich die Hauptfigur in dem ZDF-Fernsehfilm hingibt. Der vermeintliche Wunsch nach Gerechtigkeit hat einen hohen Preis. Tobias Moretti spielt jenen Claus Jansen so, als wäre seine Reaktion auf die traumatische Tat, sein männlicher Aktionismus, für ihn die einzige Option. Das TV-Drama von Damir Lukacevic („Transfer“) ist ganz auf jenen umtriebigen tragischen Helden ausgerichtet. Auch dramaturgisch ist er die treibende Kraft. Ein Grund dafür: Der Film beruht auf einer wahren Begebenheit. Diesen „Unermüdlichen“ gab es tatsächlich, Ulrich Jahr hieß er im realen Leben. Das Drehbuch ist in Rücksprache mit ihm entstanden; nach dessen Tod betreute der Sohn, Oliver Jahr, das Projekt und nahm die letzte Drehbuchfassung ab. Der Autor-Regisseur wollte die kräftezehrende Jagd nach dem soganannten „Maskenmann“ zeigen und er wollte die Geschichte jenes Mannes erzählen, der Opfer war, aber auf dem Weg zu seinem neuen „Lebensziel“ nicht davor zurückschreckte, auch Täter zu werden. „Jahr hat Grenzen überschritten, immer wieder attackierte er unschuldige Menschen, und er hat in Kauf genommen, dass er jemanden zu Unrecht beschuldigte“, so Lukacevic. „Das sei ein geringerer Preis angesichts seiner Hilflosigkeit und seiner Leere gewesen“, habe Jahr ihm im Gespräch erklärt. Moretti interpretiert ihn entsprechend: „Er ist für seine Umgebung kein angenehmer Zeitgenosse mehr, sehr eindimensional, einer, der anderen furchtbar auf die Nerven geht.“

Im Namen meines SohnesFoto: ZDF / Nicolas Maack
„Wir haben noch ein Kind.“ Normalität herzustellen ist so gut wie unmöglich nach dem Tod ihres älteren Sohnes. Heike Jansen (Inka Friedrich) versucht es. Ihr Mann Claus (Tobias Moretti) kann das nicht. „Aber er läuft doch da draußen rum!“

Das „zerfetzte“ Leben findet seinen Widerhall in der Montage
Entstanden ist ein faszinierender Film. „Im Namen des Sohnes“ ist angelegt als ein Stationen-Drama über den Zeitraum von 19 Jahren, nah und konzentriert am Fall, wenig Personal, kaum äußere Handlung. Die Ereignisse werden episodisch aufgefächert; Zeitsprünge kommen überraschend. Spannt bereits die erste Szene einen Bogen zum finalen Schlüsselbild, der Blick des Vaters in die Augen des Mörders, so unterläuft Lukacevic innerhalb der Sequenzen ein ums andere Mal die klassische Spannungsdramaturgie, weil er sich weitgehend an die Chronologie der realen Ereignisse hält – und die ergibt keine ästhetisch perfekte Spannungskurve. Kaum gibt es eine neue Spur, wird sie schon wieder als falsch eingestuft. Der Hoffnung folgt rasch die Ernüchterung – das ist der Lauf der Dinge im Fall Hannes J., aus dem nach vielen falschen Fährten später ein Serienmörder-Fall wird. „Wenn er nicht noch ein Kind umbringt, haben wir keine Chance, ihn zu überführen“ – zumindest damit behält der ermittelnde Kriminalbeamte am Ende Recht. Konsequent ist die im Vergleich mit den üblichen Krimigeschichten sprunghafte Handlungsführung auch von der Erzählperspektive her: Das „zerfetzte“ Leben wird so quasi mit Hilfe der Montage sichtbar gemacht. Da kann sich Moretti entsprechend zurückhalten mit der Darstellung seiner Wut. Ein einziges Mal muss er schreien („Wie ich ihn hasse“), nachdem sein Mörderjäger Einsicht in die Akten genommen hat. Ein anstrengender und mitunter rücksichtloser Mann ist Jansen dennoch; seine Penetranz und Verschwörungstheorien, Aktionen eines Verzweifelten, werden glücklicherweise nicht zu äußerlichen Konflikten aufgebauscht: hier eine Verleumdung, dort eine Strafanzeige – der von Jansen verunglimpfte Polizist, der zwischenzeitlich von der Bildfläche verschwindet, bleibt ihm bis zum Ende dennoch gewogen. Maxim Mehmet spielt ihn als einen Mann, den nichts so schnell aus der Ruhe bringt; dass er jünger ist und selber Kinder hat (und diesen Jansen, der sein Leben aufgibt für die Jagd nach einem Mörder, ein Stück weit auch bewundert), macht die Beziehung der beiden, obwohl sie wie beiläufig hingetuscht wirkt, tief und glaubwürdig.

Bei aller Distanz: Diese Tragik – und der Schauer auf dem Rücken!
Die narrativ übermächtige Hauptfigur von „Im Namen meines Sohnes“ wird zwar mit Kraft und Energie von Tobias Moretti gespielt, filmisch aber behält Damir Lukacevic durchaus eine gewisse Distanz aufrecht zu dieser tragischen Figur. Als sich der russische Privatdetektiv aus dem Leben Jansens verabschiedet, geschieht das beispielsweise in einer Landschaftstotalen: Melancholie liegt in der Luft. Es ist der Anfang vom Ende. Es beginnt eine Phase völliger Verlorenheit. Dann sieht man Jansen allein in seiner Ermittlungszentrale werkeln. „Kriegst du in deiner Garage noch irgendwas mit?“, fragt ihn später sein mittlerweile fast erwachsener Sohn. Auch im Haus spiegelt sich die totale Isolation. Richtig gemütlich war es nach dem Tod des Sohnes hier ja nie. Nach 19 Jahren aber wird das verlorene Leben darüber hinaus signifikant sichtbar: Einen schäbigen Ledersessel, Baujahr späte 80er Jahre, hat sich Jansen, mittlerweile 62, in den Garten geschoben. Papa allein zu Haus – und nichts hat sich verändert in den letzten zwei Jahrzehnten. Das Leben blieb stehen. Solche Sinn-Bilder, die zugleich auch Seh-Bilder sind, bilden den emotionalen Ausgleich zu all den Distanz schaffenden Maßnahmen: der verhinderten Spannungsdramaturgie, den Zeitsprüngen, dem Prinzip der Konzentration. Das wohl Faszinierendste an diesem Film: Am Ende obsiegt das Gefühl, ohne dass die Darstellung ins „Gefühlige“ abdriften würde. Moretti spricht von einer „minutiösen Welt der Zwischenräume“. Vielleicht berührt der Film deshalb nicht nur, sondern nimmt einen als Zuschauer richtig mit (weil man ihn vielschichtiger wahrnimmt). Und das Schicksal dieses Mannes bewegt einen mehr, als man (auch als abgebrühter Kritiker) lange Zeit annimmt. Den Schauer, der einem bei der letzten Einstellung, während man den Abspann liest, über den Rücken läuft, verspürt man jedenfalls nicht oft bei einem Fernsehfilm. (Text-Stand: 8.4.2016)

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Fernsehfilm

ZDF

Mit Tobias Moretti, Inka Friedrich, Maxim Mehmet, Eugen Knecht, Marc Zwinz, Merlin Rose, Finn Fiebig, Greta Maiwirth, Falk Rockstroh

Kamera: Jörg Widmer

Szenenbild: Tom Hornig

Schnitt: Uta Schmidt

Musik: Ingo Ludwig Frenzel

Soundtrack: Huey Lewis („Some Kind Of Wonderful“), Billy Joel („Uptown Girl“)

Produktionsfirma: Jumping Horse Film

Drehbuch: Damir Lukacevic

Regie: Damir Lukacevic

Quote: 4,54 Mio. Zuschauer (14,7% MA)

EA: 02.05.2016 20:15 Uhr | ZDF

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